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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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damit zu forschen oder zu verwirren, viel weniger ihnen die Seligkeit abge¬
sprochen, wenn sie nicht Alles wußten und glaubten, was sie wußten; sie ha¬
ben endlich weder Taufe noch Nachtmahl, geschweige denn das Wort verän¬
dert: sondern Christus und die Apostel sagen nur, daß ein Jeder sich selbst
forschen und prüfen soll, ob er auch ein Christ sei, nicht aber ob er auch
dies oder jenes von Christus und seinem Worte, von Taufe und Abendmahl
glaube. Wer aber eines Andern Gewissen nach Menschenlehre forscht, um es
in seine Secte zu locken oder dabei zu behalten, der ist ein Dieb, ein Mörder,
ein Wolf, Hund und Fuchs. Darum predigt auch der Verfasser allein die
Kinderlehre den Kindern, und sagt nicht, daß sie flugs Alles billigen sollen,
was sie nicht verstehen, oder glauben was er glaubt: auch er kann ja Nie¬
mand auch nur im Geringsten über das, was des Geistes ist, belehren, wir
müssen Alle von Gott gelehrt werden.

Der einzige Grund aber, warum die verführerischen Secten die Gewissen
forschen, ist um über die Herde zu herrschen. Darum versagen sie ihnen
Beichte und Nachtmahl, wenn sie sich nicht in Allem bequemen wollen, wäh¬
rend sie doch zuvor beweisen sollten, daß ihr Concilium oder ihre Confession
und Synode von Christus auch gebilligt ist. Es gibt keinen grausameren
Tyrannen auf Erden, als einen solchen, der über die Gewissen herrscht, was
Gott, der die Liebe und das allergelassenste Wesen ist, selbst nicht thut. Ein
solcher Gewissenstyrann möge nur bedenken, wie gut er es heißen würde,
wenn ein Anderer über sein Gewissen herrschen wollte. Ein wohlgesinnter,
recht vernünftiger und weiser Potentat läßt daher einem Jeglichen sein Ge¬
wissen frei; wer aber gar zu naseweis sein und Niemand, der in einer andern
Secte ist, in seinem Lande dulden will, der wird desto mehr ein Greuel für
Gott sein.

"So laßt uns einander in Liebe vertragen, Geduld mit einander haben,
einander von Herzen vergessen und vergeben! daß sich Keiner wider den An¬
dern aufblase oder rechtfertige oder besser schätze, als seinen Nächsten," der
vielleicht noch katholisch ist oder gewesen ist. oder lutherisch, oder calvinisch,
auch nicht wenn er noch ein Jude ist, ein Türk und ein Heide!

Aus dieser Zusammenstellung der Ideen des unbekannten Paulus, die
man freilich in diesem Zusammenhange nicht bei ihm entwickelt findet, erhellt
klar und deutlich, daß er die speculativen Anschauungen Weigel's und Böhme's
nicht weiter geführt hat, wol aber mit Ernst und Nachdruck praktische Folge¬
rungen aus ihren Lehren zieht, welche jene selbst nur gelegentlich geltend ge'
macht haben. Mit Böhme streitet er sür das Recht freier Forschung, da der
menschliche Geist die Macht besitzt durch alle Geister zu gehen; stärker als der
schlesische Autodidact hebt er das Recht auf Gewissensfreiheit selbst für Juden
und Heiden hervor: ,,So aber nun die Ungetauften Gott fürchten und recht thun,


damit zu forschen oder zu verwirren, viel weniger ihnen die Seligkeit abge¬
sprochen, wenn sie nicht Alles wußten und glaubten, was sie wußten; sie ha¬
ben endlich weder Taufe noch Nachtmahl, geschweige denn das Wort verän¬
dert: sondern Christus und die Apostel sagen nur, daß ein Jeder sich selbst
forschen und prüfen soll, ob er auch ein Christ sei, nicht aber ob er auch
dies oder jenes von Christus und seinem Worte, von Taufe und Abendmahl
glaube. Wer aber eines Andern Gewissen nach Menschenlehre forscht, um es
in seine Secte zu locken oder dabei zu behalten, der ist ein Dieb, ein Mörder,
ein Wolf, Hund und Fuchs. Darum predigt auch der Verfasser allein die
Kinderlehre den Kindern, und sagt nicht, daß sie flugs Alles billigen sollen,
was sie nicht verstehen, oder glauben was er glaubt: auch er kann ja Nie¬
mand auch nur im Geringsten über das, was des Geistes ist, belehren, wir
müssen Alle von Gott gelehrt werden.

Der einzige Grund aber, warum die verführerischen Secten die Gewissen
forschen, ist um über die Herde zu herrschen. Darum versagen sie ihnen
Beichte und Nachtmahl, wenn sie sich nicht in Allem bequemen wollen, wäh¬
rend sie doch zuvor beweisen sollten, daß ihr Concilium oder ihre Confession
und Synode von Christus auch gebilligt ist. Es gibt keinen grausameren
Tyrannen auf Erden, als einen solchen, der über die Gewissen herrscht, was
Gott, der die Liebe und das allergelassenste Wesen ist, selbst nicht thut. Ein
solcher Gewissenstyrann möge nur bedenken, wie gut er es heißen würde,
wenn ein Anderer über sein Gewissen herrschen wollte. Ein wohlgesinnter,
recht vernünftiger und weiser Potentat läßt daher einem Jeglichen sein Ge¬
wissen frei; wer aber gar zu naseweis sein und Niemand, der in einer andern
Secte ist, in seinem Lande dulden will, der wird desto mehr ein Greuel für
Gott sein.

„So laßt uns einander in Liebe vertragen, Geduld mit einander haben,
einander von Herzen vergessen und vergeben! daß sich Keiner wider den An¬
dern aufblase oder rechtfertige oder besser schätze, als seinen Nächsten," der
vielleicht noch katholisch ist oder gewesen ist. oder lutherisch, oder calvinisch,
auch nicht wenn er noch ein Jude ist, ein Türk und ein Heide!

Aus dieser Zusammenstellung der Ideen des unbekannten Paulus, die
man freilich in diesem Zusammenhange nicht bei ihm entwickelt findet, erhellt
klar und deutlich, daß er die speculativen Anschauungen Weigel's und Böhme's
nicht weiter geführt hat, wol aber mit Ernst und Nachdruck praktische Folge¬
rungen aus ihren Lehren zieht, welche jene selbst nur gelegentlich geltend ge'
macht haben. Mit Böhme streitet er sür das Recht freier Forschung, da der
menschliche Geist die Macht besitzt durch alle Geister zu gehen; stärker als der
schlesische Autodidact hebt er das Recht auf Gewissensfreiheit selbst für Juden
und Heiden hervor: ,,So aber nun die Ungetauften Gott fürchten und recht thun,


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[0304] damit zu forschen oder zu verwirren, viel weniger ihnen die Seligkeit abge¬ sprochen, wenn sie nicht Alles wußten und glaubten, was sie wußten; sie ha¬ ben endlich weder Taufe noch Nachtmahl, geschweige denn das Wort verän¬ dert: sondern Christus und die Apostel sagen nur, daß ein Jeder sich selbst forschen und prüfen soll, ob er auch ein Christ sei, nicht aber ob er auch dies oder jenes von Christus und seinem Worte, von Taufe und Abendmahl glaube. Wer aber eines Andern Gewissen nach Menschenlehre forscht, um es in seine Secte zu locken oder dabei zu behalten, der ist ein Dieb, ein Mörder, ein Wolf, Hund und Fuchs. Darum predigt auch der Verfasser allein die Kinderlehre den Kindern, und sagt nicht, daß sie flugs Alles billigen sollen, was sie nicht verstehen, oder glauben was er glaubt: auch er kann ja Nie¬ mand auch nur im Geringsten über das, was des Geistes ist, belehren, wir müssen Alle von Gott gelehrt werden. Der einzige Grund aber, warum die verführerischen Secten die Gewissen forschen, ist um über die Herde zu herrschen. Darum versagen sie ihnen Beichte und Nachtmahl, wenn sie sich nicht in Allem bequemen wollen, wäh¬ rend sie doch zuvor beweisen sollten, daß ihr Concilium oder ihre Confession und Synode von Christus auch gebilligt ist. Es gibt keinen grausameren Tyrannen auf Erden, als einen solchen, der über die Gewissen herrscht, was Gott, der die Liebe und das allergelassenste Wesen ist, selbst nicht thut. Ein solcher Gewissenstyrann möge nur bedenken, wie gut er es heißen würde, wenn ein Anderer über sein Gewissen herrschen wollte. Ein wohlgesinnter, recht vernünftiger und weiser Potentat läßt daher einem Jeglichen sein Ge¬ wissen frei; wer aber gar zu naseweis sein und Niemand, der in einer andern Secte ist, in seinem Lande dulden will, der wird desto mehr ein Greuel für Gott sein. „So laßt uns einander in Liebe vertragen, Geduld mit einander haben, einander von Herzen vergessen und vergeben! daß sich Keiner wider den An¬ dern aufblase oder rechtfertige oder besser schätze, als seinen Nächsten," der vielleicht noch katholisch ist oder gewesen ist. oder lutherisch, oder calvinisch, auch nicht wenn er noch ein Jude ist, ein Türk und ein Heide! Aus dieser Zusammenstellung der Ideen des unbekannten Paulus, die man freilich in diesem Zusammenhange nicht bei ihm entwickelt findet, erhellt klar und deutlich, daß er die speculativen Anschauungen Weigel's und Böhme's nicht weiter geführt hat, wol aber mit Ernst und Nachdruck praktische Folge¬ rungen aus ihren Lehren zieht, welche jene selbst nur gelegentlich geltend ge' macht haben. Mit Böhme streitet er sür das Recht freier Forschung, da der menschliche Geist die Macht besitzt durch alle Geister zu gehen; stärker als der schlesische Autodidact hebt er das Recht auf Gewissensfreiheit selbst für Juden und Heiden hervor: ,,So aber nun die Ungetauften Gott fürchten und recht thun,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/304>, abgerufen am 22.07.2024.