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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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und Nachtmahl. Denn wer weih, was er thun und lassen soll und es in
seinem Gewissen bekennt, trotzdem ober den Menschen und Secten heuchelt
wider sein eigen Wissen und Gewissen -- der verdammt sich selbst, und sein
Urtheil ist recht über ihm. Wer aber nicht gewiß weiß, was er thun soll
oder nicht, den wird der Geist nicht richten, denn dem Reinen ist Alles rein.
Wer bist du nun, der du einen Andern richtest und sprichst, er sei von der
Wahren Religion abgefallen? Wenn ihn sein eigen Gewissen nicht richtet, so
mag ihn Niemand verdammen; wenn ihn aber sein eigen Gewissen verdammt,
Wer will ihn selig machen, außer Gott, der noch größer ist. als der Menschen
Herz und Gewissen. Haben doch die Abgefallenen weder Gott noch Christum
noch den heiligen Geist verlnugnet, sondern nur eine menschliche Secte. die
in etlichen Punkten menschlicher Weise und Urtheile nach anders lehrt, als
der Papst, vor Gott. Christo und dem heiligen Geiste aber eins mit ihm ist.
Deshalb kann kein Sectirer den andern verdammen, weil einer so gut ist,
wie der andere, noch auch selig preisen, weil einer vor Gott "ebensowol ein
Widerchrist ist, wie der andere.

Weil nun am Gewissen des Menschen so viel liegt, da es ein Verhält¬
niß der Seligkeit und der Verdammniß zugleich ist. so bemüht sich der Satan
auf das Allermöglichste. dieses Haus und diesen Tempel einzunehmen, und
braucht dazu die menschlichen Sectirer und Secten, welche allerlei Lehre. Ar¬
tikel und Confessionen erdichten und erfinden. AIs seine Lockvögel stehen sie
auf den Kanzeln und schreien und locken die armen Seelen und Gewissen zu
sich, sie zu sahen. Dann legen sie ihnen ihre Confessionen und Glaubens¬
artikel vor. geben ihnen das Sacrament und ihre Malzeichen an Stirn und
Hand und erschweren die Last, welche sie in ihr Gewissen gelegt haben, noch
durch den Eid. Wenn man aber irgend einen Glaubensartikel wollte dispu-
Urlich machen, so halten sie es für die größte Gefahr; darum forschen sie die
armen Gewissen immerdar, ob sie auch noch sest an sie gebunden sind, und
examiniren sie von ihren Artikeln. So werden die Gewissen von diesen
Mückenseigern und Kameelverschluckern mit unerträglichen Lasten beschwert, als
°d die Seligkeit in ihrer heillosen Lehre, verwirrten Glauben und ihren
Psaffennrtikeln und in einer von Gott. Christo und seinem Geist unerkann¬
ten Konfession bestünde; oder ob man darum nicht könnte selig Werden, wenn
"lau dies und das nicht wüßte, glaubte und für wahr hielt -- da doch die
^über. die weder rechts noch links wissen, am seligsten sind. Oder als ob
^ große Sünde wäre, wenn man nicht eines jeglichen Baalspsaffen sein Ge-
b'ehe und Fabel für recht und wahr erkennen will, während doch die heilige
Schrift durch den großen Apostel im Geist ausdrücklich bezeugt, daß die Liebe
^'t über allen Glauben sei. Auch haben ja die Apostel nie eine Confession
^gestellt oder Glaubensartikel und Gewissensfragen gethan, um die Gewissen


und Nachtmahl. Denn wer weih, was er thun und lassen soll und es in
seinem Gewissen bekennt, trotzdem ober den Menschen und Secten heuchelt
wider sein eigen Wissen und Gewissen — der verdammt sich selbst, und sein
Urtheil ist recht über ihm. Wer aber nicht gewiß weiß, was er thun soll
oder nicht, den wird der Geist nicht richten, denn dem Reinen ist Alles rein.
Wer bist du nun, der du einen Andern richtest und sprichst, er sei von der
Wahren Religion abgefallen? Wenn ihn sein eigen Gewissen nicht richtet, so
mag ihn Niemand verdammen; wenn ihn aber sein eigen Gewissen verdammt,
Wer will ihn selig machen, außer Gott, der noch größer ist. als der Menschen
Herz und Gewissen. Haben doch die Abgefallenen weder Gott noch Christum
noch den heiligen Geist verlnugnet, sondern nur eine menschliche Secte. die
in etlichen Punkten menschlicher Weise und Urtheile nach anders lehrt, als
der Papst, vor Gott. Christo und dem heiligen Geiste aber eins mit ihm ist.
Deshalb kann kein Sectirer den andern verdammen, weil einer so gut ist,
wie der andere, noch auch selig preisen, weil einer vor Gott "ebensowol ein
Widerchrist ist, wie der andere.

Weil nun am Gewissen des Menschen so viel liegt, da es ein Verhält¬
niß der Seligkeit und der Verdammniß zugleich ist. so bemüht sich der Satan
auf das Allermöglichste. dieses Haus und diesen Tempel einzunehmen, und
braucht dazu die menschlichen Sectirer und Secten, welche allerlei Lehre. Ar¬
tikel und Confessionen erdichten und erfinden. AIs seine Lockvögel stehen sie
auf den Kanzeln und schreien und locken die armen Seelen und Gewissen zu
sich, sie zu sahen. Dann legen sie ihnen ihre Confessionen und Glaubens¬
artikel vor. geben ihnen das Sacrament und ihre Malzeichen an Stirn und
Hand und erschweren die Last, welche sie in ihr Gewissen gelegt haben, noch
durch den Eid. Wenn man aber irgend einen Glaubensartikel wollte dispu-
Urlich machen, so halten sie es für die größte Gefahr; darum forschen sie die
armen Gewissen immerdar, ob sie auch noch sest an sie gebunden sind, und
examiniren sie von ihren Artikeln. So werden die Gewissen von diesen
Mückenseigern und Kameelverschluckern mit unerträglichen Lasten beschwert, als
°d die Seligkeit in ihrer heillosen Lehre, verwirrten Glauben und ihren
Psaffennrtikeln und in einer von Gott. Christo und seinem Geist unerkann¬
ten Konfession bestünde; oder ob man darum nicht könnte selig Werden, wenn
"lau dies und das nicht wüßte, glaubte und für wahr hielt — da doch die
^über. die weder rechts noch links wissen, am seligsten sind. Oder als ob
^ große Sünde wäre, wenn man nicht eines jeglichen Baalspsaffen sein Ge-
b'ehe und Fabel für recht und wahr erkennen will, während doch die heilige
Schrift durch den großen Apostel im Geist ausdrücklich bezeugt, daß die Liebe
^'t über allen Glauben sei. Auch haben ja die Apostel nie eine Confession
^gestellt oder Glaubensartikel und Gewissensfragen gethan, um die Gewissen


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[0303] und Nachtmahl. Denn wer weih, was er thun und lassen soll und es in seinem Gewissen bekennt, trotzdem ober den Menschen und Secten heuchelt wider sein eigen Wissen und Gewissen — der verdammt sich selbst, und sein Urtheil ist recht über ihm. Wer aber nicht gewiß weiß, was er thun soll oder nicht, den wird der Geist nicht richten, denn dem Reinen ist Alles rein. Wer bist du nun, der du einen Andern richtest und sprichst, er sei von der Wahren Religion abgefallen? Wenn ihn sein eigen Gewissen nicht richtet, so mag ihn Niemand verdammen; wenn ihn aber sein eigen Gewissen verdammt, Wer will ihn selig machen, außer Gott, der noch größer ist. als der Menschen Herz und Gewissen. Haben doch die Abgefallenen weder Gott noch Christum noch den heiligen Geist verlnugnet, sondern nur eine menschliche Secte. die in etlichen Punkten menschlicher Weise und Urtheile nach anders lehrt, als der Papst, vor Gott. Christo und dem heiligen Geiste aber eins mit ihm ist. Deshalb kann kein Sectirer den andern verdammen, weil einer so gut ist, wie der andere, noch auch selig preisen, weil einer vor Gott "ebensowol ein Widerchrist ist, wie der andere. Weil nun am Gewissen des Menschen so viel liegt, da es ein Verhält¬ niß der Seligkeit und der Verdammniß zugleich ist. so bemüht sich der Satan auf das Allermöglichste. dieses Haus und diesen Tempel einzunehmen, und braucht dazu die menschlichen Sectirer und Secten, welche allerlei Lehre. Ar¬ tikel und Confessionen erdichten und erfinden. AIs seine Lockvögel stehen sie auf den Kanzeln und schreien und locken die armen Seelen und Gewissen zu sich, sie zu sahen. Dann legen sie ihnen ihre Confessionen und Glaubens¬ artikel vor. geben ihnen das Sacrament und ihre Malzeichen an Stirn und Hand und erschweren die Last, welche sie in ihr Gewissen gelegt haben, noch durch den Eid. Wenn man aber irgend einen Glaubensartikel wollte dispu- Urlich machen, so halten sie es für die größte Gefahr; darum forschen sie die armen Gewissen immerdar, ob sie auch noch sest an sie gebunden sind, und examiniren sie von ihren Artikeln. So werden die Gewissen von diesen Mückenseigern und Kameelverschluckern mit unerträglichen Lasten beschwert, als °d die Seligkeit in ihrer heillosen Lehre, verwirrten Glauben und ihren Psaffennrtikeln und in einer von Gott. Christo und seinem Geist unerkann¬ ten Konfession bestünde; oder ob man darum nicht könnte selig Werden, wenn "lau dies und das nicht wüßte, glaubte und für wahr hielt — da doch die ^über. die weder rechts noch links wissen, am seligsten sind. Oder als ob ^ große Sünde wäre, wenn man nicht eines jeglichen Baalspsaffen sein Ge- b'ehe und Fabel für recht und wahr erkennen will, während doch die heilige Schrift durch den großen Apostel im Geist ausdrücklich bezeugt, daß die Liebe ^'t über allen Glauben sei. Auch haben ja die Apostel nie eine Confession ^gestellt oder Glaubensartikel und Gewissensfragen gethan, um die Gewissen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/303>, abgerufen am 22.07.2024.