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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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werden? Das Himmelreich steht überhaupt nicht bei dieser naseweisen erdich¬
teten Gnadenwahl. daß man sich darum zu bekümmern hätte. sondern bei
Gott und Christo, der keinen Menschen zur Verdammnis; erwählen kann.

So ist es denn eine ganz folgerechte Konsequenz dieser gleichen Aburthei¬
lung aller christlichen Confessionen, wenn der Verfasser weiter erklärt, daß der¬
jenige, welcher von einer Seite zur andern abfalle, keine Sünde wider den
heiligen Geist thue und Christus nicht verläugne. Denn da sie alle ohne
Unterschied einen animalischen, fleischlichen Christus bekennen, so ist ein Ka¬
tholischer nicht zu verdammen, wenn er lutherisch geworden ist, und noch viel
weniger ein Lutherischer, wenn er calvinisch geworden ist: wir reden aber hier
nach Menschen und nicht nach Christi Weise, nach welcher gar keine Secti-
rer sind.

Daher richtet auch der Geist diejenigen, welche in diesen Zeiten gezwun¬
gen worden sind, von einer Secte zur andern überzutreten, nicht nach dem.
was ein Mensch sieht, sondern mit Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit.
Wer zu den Papisten übergetreten ist und unter ihnen sein Leben christlich
weiter führt, der darf sich seinem Seligkeit halber kein Gewissen machen; wer
aber in diesen Zeiten aus Fürwitz, Geiz oder Ehrgeiz katholisch geworden ist
und ist in Sünden geblieben ein Mal wie das andere, und meint, er wolle nun
wiederkehren und gleichwol in Sünden bleiben, der ist ein stinkender Bock.
Vor Gott ist eine Secte wie die andere; er hat unter einer jeden die Seinen.

Das Gewissen im Menschen ist ein göttliches Wissen, ein Mitwissen des
Geistes, nach welchem ma" weiß, was gut und böse, Lüge und Wahrheit ist.
oder vermöge des Gewissens weiß man, was man thun und lassen soll: es
ist der allgemeine Prediger, den Gott von Natur allen Menschen eingepflanzt
hat, ja auch dem, was Creatur und lebendige Seele heißt. Es gibt nur ein
Gewissen, d. h. eine Erkenntniß Gottes, Christi und seines Geistes. Allein
nicht nur ein göttlich Wissen, sondern auch ein göttlich Leben und einen gött¬
lichen Wandel umfaßt der Begriff eines guten Gewissens. Ein solches recht
freies Gewissen ist von allen menschlichen Seelen frei und nirgends angebun¬
den noch gefangen, noch in eines Geistes Macht; daher hat es auch mit-kei¬
nem animalischen, fleischlichen, sectirischen Menschen irgend Etwas gemein,
weder Lehre noch Leben noch fleischliche Liebe, weder Kirche, noch Taufe, "och
Nachtmahl, weder Glauben noch Bekenntniß noch Artikel. Das freie Gewisse"
hat Macht über Alles, es läßt sich aber von Nichts gefangen nehmen, und
wenn es irgend etwas thun oder lassen soll, das.,läßt es sich Gott offenbaren,
und hält an am Gebet, so lange bis es Gott erhört. Wer aber unter aller¬
lei Volk einfältiger Weisheit nach ein gut Gewissen haben will, der thue in
seinem Leben was recht und gut ist; wovon er aber nicht gewiß weiß, daß
es recht sei. das rühre er nicht an, sondern lasse es ja stehen, -- auch Taufe


werden? Das Himmelreich steht überhaupt nicht bei dieser naseweisen erdich¬
teten Gnadenwahl. daß man sich darum zu bekümmern hätte. sondern bei
Gott und Christo, der keinen Menschen zur Verdammnis; erwählen kann.

So ist es denn eine ganz folgerechte Konsequenz dieser gleichen Aburthei¬
lung aller christlichen Confessionen, wenn der Verfasser weiter erklärt, daß der¬
jenige, welcher von einer Seite zur andern abfalle, keine Sünde wider den
heiligen Geist thue und Christus nicht verläugne. Denn da sie alle ohne
Unterschied einen animalischen, fleischlichen Christus bekennen, so ist ein Ka¬
tholischer nicht zu verdammen, wenn er lutherisch geworden ist, und noch viel
weniger ein Lutherischer, wenn er calvinisch geworden ist: wir reden aber hier
nach Menschen und nicht nach Christi Weise, nach welcher gar keine Secti-
rer sind.

Daher richtet auch der Geist diejenigen, welche in diesen Zeiten gezwun¬
gen worden sind, von einer Secte zur andern überzutreten, nicht nach dem.
was ein Mensch sieht, sondern mit Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit.
Wer zu den Papisten übergetreten ist und unter ihnen sein Leben christlich
weiter führt, der darf sich seinem Seligkeit halber kein Gewissen machen; wer
aber in diesen Zeiten aus Fürwitz, Geiz oder Ehrgeiz katholisch geworden ist
und ist in Sünden geblieben ein Mal wie das andere, und meint, er wolle nun
wiederkehren und gleichwol in Sünden bleiben, der ist ein stinkender Bock.
Vor Gott ist eine Secte wie die andere; er hat unter einer jeden die Seinen.

Das Gewissen im Menschen ist ein göttliches Wissen, ein Mitwissen des
Geistes, nach welchem ma» weiß, was gut und böse, Lüge und Wahrheit ist.
oder vermöge des Gewissens weiß man, was man thun und lassen soll: es
ist der allgemeine Prediger, den Gott von Natur allen Menschen eingepflanzt
hat, ja auch dem, was Creatur und lebendige Seele heißt. Es gibt nur ein
Gewissen, d. h. eine Erkenntniß Gottes, Christi und seines Geistes. Allein
nicht nur ein göttlich Wissen, sondern auch ein göttlich Leben und einen gött¬
lichen Wandel umfaßt der Begriff eines guten Gewissens. Ein solches recht
freies Gewissen ist von allen menschlichen Seelen frei und nirgends angebun¬
den noch gefangen, noch in eines Geistes Macht; daher hat es auch mit-kei¬
nem animalischen, fleischlichen, sectirischen Menschen irgend Etwas gemein,
weder Lehre noch Leben noch fleischliche Liebe, weder Kirche, noch Taufe, »och
Nachtmahl, weder Glauben noch Bekenntniß noch Artikel. Das freie Gewisse»
hat Macht über Alles, es läßt sich aber von Nichts gefangen nehmen, und
wenn es irgend etwas thun oder lassen soll, das.,läßt es sich Gott offenbaren,
und hält an am Gebet, so lange bis es Gott erhört. Wer aber unter aller¬
lei Volk einfältiger Weisheit nach ein gut Gewissen haben will, der thue in
seinem Leben was recht und gut ist; wovon er aber nicht gewiß weiß, daß
es recht sei. das rühre er nicht an, sondern lasse es ja stehen, — auch Taufe


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[0302] werden? Das Himmelreich steht überhaupt nicht bei dieser naseweisen erdich¬ teten Gnadenwahl. daß man sich darum zu bekümmern hätte. sondern bei Gott und Christo, der keinen Menschen zur Verdammnis; erwählen kann. So ist es denn eine ganz folgerechte Konsequenz dieser gleichen Aburthei¬ lung aller christlichen Confessionen, wenn der Verfasser weiter erklärt, daß der¬ jenige, welcher von einer Seite zur andern abfalle, keine Sünde wider den heiligen Geist thue und Christus nicht verläugne. Denn da sie alle ohne Unterschied einen animalischen, fleischlichen Christus bekennen, so ist ein Ka¬ tholischer nicht zu verdammen, wenn er lutherisch geworden ist, und noch viel weniger ein Lutherischer, wenn er calvinisch geworden ist: wir reden aber hier nach Menschen und nicht nach Christi Weise, nach welcher gar keine Secti- rer sind. Daher richtet auch der Geist diejenigen, welche in diesen Zeiten gezwun¬ gen worden sind, von einer Secte zur andern überzutreten, nicht nach dem. was ein Mensch sieht, sondern mit Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit. Wer zu den Papisten übergetreten ist und unter ihnen sein Leben christlich weiter führt, der darf sich seinem Seligkeit halber kein Gewissen machen; wer aber in diesen Zeiten aus Fürwitz, Geiz oder Ehrgeiz katholisch geworden ist und ist in Sünden geblieben ein Mal wie das andere, und meint, er wolle nun wiederkehren und gleichwol in Sünden bleiben, der ist ein stinkender Bock. Vor Gott ist eine Secte wie die andere; er hat unter einer jeden die Seinen. Das Gewissen im Menschen ist ein göttliches Wissen, ein Mitwissen des Geistes, nach welchem ma» weiß, was gut und böse, Lüge und Wahrheit ist. oder vermöge des Gewissens weiß man, was man thun und lassen soll: es ist der allgemeine Prediger, den Gott von Natur allen Menschen eingepflanzt hat, ja auch dem, was Creatur und lebendige Seele heißt. Es gibt nur ein Gewissen, d. h. eine Erkenntniß Gottes, Christi und seines Geistes. Allein nicht nur ein göttlich Wissen, sondern auch ein göttlich Leben und einen gött¬ lichen Wandel umfaßt der Begriff eines guten Gewissens. Ein solches recht freies Gewissen ist von allen menschlichen Seelen frei und nirgends angebun¬ den noch gefangen, noch in eines Geistes Macht; daher hat es auch mit-kei¬ nem animalischen, fleischlichen, sectirischen Menschen irgend Etwas gemein, weder Lehre noch Leben noch fleischliche Liebe, weder Kirche, noch Taufe, »och Nachtmahl, weder Glauben noch Bekenntniß noch Artikel. Das freie Gewisse» hat Macht über Alles, es läßt sich aber von Nichts gefangen nehmen, und wenn es irgend etwas thun oder lassen soll, das.,läßt es sich Gott offenbaren, und hält an am Gebet, so lange bis es Gott erhört. Wer aber unter aller¬ lei Volk einfältiger Weisheit nach ein gut Gewissen haben will, der thue in seinem Leben was recht und gut ist; wovon er aber nicht gewiß weiß, daß es recht sei. das rühre er nicht an, sondern lasse es ja stehen, — auch Taufe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/302>, abgerufen am 23.07.2024.