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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Uebereinstimmung der einzelnen religiösen Parteien schärfer betonen, als die
abweichenden Lehrmeinungen, daß sie das persönliche Eingehen in Gott unab¬
hängig hinstellen von dogmatischen Formeln, und daß sie weit über den Glau¬
ben in orthodoxen Sinne die wirksame, von dem gotterfüllten Innern des
Menschen ausgehende Bethätigung am christlichen Leben setzen.

Schon der unglückliche sächsische Kanzler Crell hatte erklärt, daß er weder
Lutheraner noch Calvinist, sondern ein Christ sei. Im Jahre 1600 wurde
bei der gewaltsamen Restitution des Katholicismus in Graz ein Rechtsge-
lehrter sofort entfernt, welcher ebenfalls weder katholisch noch lutherisch, son¬
dern bloß christlich zu sein sich bekannte und daher auch nur Christum für seinen
Seelsorger anzuerkennen bezeugte.*) Herrn Wolfgang von Nostiz spendete sein
Pfarrer, Michas Meister, in der Grabrede dasselbe Lob: Seine Religion be¬
langent war er ein Christ, maßte sich keines satirischen Namens an. als der
sowenig auf Lutherum als aufZwinglium und Calvinum, und so wenig auf
diese als auf jene getauft war. Er hatte auch ein herzliches Mißfallen
an dem Gcbeiße und Geleise unruhiger Theologen, die neben ihrem Schwär¬
men und unschriftmäßigen Lehren Zank und Streit erregen, die Einfältigen
verwirren und Verbitterung bei ihnen machen.^) Namentlich scheinen die
Aerzte der damaligen Zeit als Anhänger von Paracelsischen Ideen auch
diese gemein christlichen Gedanken, die allmälig von selbst zum Philosophiren
trieben, weiter getragen zu haben. Bald nach dem Ausbruche des böhmischen
Krieges nimmt namentlich die populäre Literatur diese Strömung des Zeit¬
geistes auf und fördert in Sprüchen und allerlei Kurzrcden tiefsinnige An¬
schauungen dieser Art auch unter die Massen. Das thut namentlich ein im
Jahre 1621 in dritter Auflage unter dem Titel: Mos. nova WtiMg, oouti-
nus-t-louis der neuen Zeitungen von unterschiedlichen Orten, d. i. die alte
Wahrheit mit einem neuen Titel -- wahrscheinlich in Straßburg erschienener
Tractat. aus dem wir Einiges anführen, um uns auf einmal mitten in die
Gedankenkreise jener Neuerer hineinzuversetzen. "Daß weil die Hirten zanken,
fresse unterdeß der Höllenwolf die Schafe. Daß der Lutheraner und Calvinisten
Götzen seien ihr heimlicher Neid, Ehrgeiz, Stolz, Dünkel, Eigenlieb. Uneinig¬
keit und Zanksucht. Daß Gott von seinen Schuldigern eine Rechnung und
eben keine Bezahlung begehre. Daß welchen der Geist Gottes nicht lehrt,
den lehrt auch kein Pfaff. ob er ihm schon drei Mal täglich predigte oder
misstficirte.^) Daß kein feinerer Glaub sei für junge Kinder und alte
Weiber, als der römische. Daß es den Theologen nicht viel am Hand'
werk schade, wenn sie einander schon Schelmen und Dieb schelten. Daß





-) Hurter Gesch. Kaiser Ferdinands II. Bd. IV. S. 245.
-) Fechner a. a. O. S. 62-
So steht im Text: Man muß an "Messelesscn" und "mystificiren" zugleich denken.

Uebereinstimmung der einzelnen religiösen Parteien schärfer betonen, als die
abweichenden Lehrmeinungen, daß sie das persönliche Eingehen in Gott unab¬
hängig hinstellen von dogmatischen Formeln, und daß sie weit über den Glau¬
ben in orthodoxen Sinne die wirksame, von dem gotterfüllten Innern des
Menschen ausgehende Bethätigung am christlichen Leben setzen.

Schon der unglückliche sächsische Kanzler Crell hatte erklärt, daß er weder
Lutheraner noch Calvinist, sondern ein Christ sei. Im Jahre 1600 wurde
bei der gewaltsamen Restitution des Katholicismus in Graz ein Rechtsge-
lehrter sofort entfernt, welcher ebenfalls weder katholisch noch lutherisch, son¬
dern bloß christlich zu sein sich bekannte und daher auch nur Christum für seinen
Seelsorger anzuerkennen bezeugte.*) Herrn Wolfgang von Nostiz spendete sein
Pfarrer, Michas Meister, in der Grabrede dasselbe Lob: Seine Religion be¬
langent war er ein Christ, maßte sich keines satirischen Namens an. als der
sowenig auf Lutherum als aufZwinglium und Calvinum, und so wenig auf
diese als auf jene getauft war. Er hatte auch ein herzliches Mißfallen
an dem Gcbeiße und Geleise unruhiger Theologen, die neben ihrem Schwär¬
men und unschriftmäßigen Lehren Zank und Streit erregen, die Einfältigen
verwirren und Verbitterung bei ihnen machen.^) Namentlich scheinen die
Aerzte der damaligen Zeit als Anhänger von Paracelsischen Ideen auch
diese gemein christlichen Gedanken, die allmälig von selbst zum Philosophiren
trieben, weiter getragen zu haben. Bald nach dem Ausbruche des böhmischen
Krieges nimmt namentlich die populäre Literatur diese Strömung des Zeit¬
geistes auf und fördert in Sprüchen und allerlei Kurzrcden tiefsinnige An¬
schauungen dieser Art auch unter die Massen. Das thut namentlich ein im
Jahre 1621 in dritter Auflage unter dem Titel: Mos. nova WtiMg, oouti-
nus-t-louis der neuen Zeitungen von unterschiedlichen Orten, d. i. die alte
Wahrheit mit einem neuen Titel — wahrscheinlich in Straßburg erschienener
Tractat. aus dem wir Einiges anführen, um uns auf einmal mitten in die
Gedankenkreise jener Neuerer hineinzuversetzen. „Daß weil die Hirten zanken,
fresse unterdeß der Höllenwolf die Schafe. Daß der Lutheraner und Calvinisten
Götzen seien ihr heimlicher Neid, Ehrgeiz, Stolz, Dünkel, Eigenlieb. Uneinig¬
keit und Zanksucht. Daß Gott von seinen Schuldigern eine Rechnung und
eben keine Bezahlung begehre. Daß welchen der Geist Gottes nicht lehrt,
den lehrt auch kein Pfaff. ob er ihm schon drei Mal täglich predigte oder
misstficirte.^) Daß kein feinerer Glaub sei für junge Kinder und alte
Weiber, als der römische. Daß es den Theologen nicht viel am Hand'
werk schade, wenn sie einander schon Schelmen und Dieb schelten. Daß





-) Hurter Gesch. Kaiser Ferdinands II. Bd. IV. S. 245.
-) Fechner a. a. O. S. 62-
So steht im Text: Man muß an „Messelesscn" und „mystificiren" zugleich denken.
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[0294] Uebereinstimmung der einzelnen religiösen Parteien schärfer betonen, als die abweichenden Lehrmeinungen, daß sie das persönliche Eingehen in Gott unab¬ hängig hinstellen von dogmatischen Formeln, und daß sie weit über den Glau¬ ben in orthodoxen Sinne die wirksame, von dem gotterfüllten Innern des Menschen ausgehende Bethätigung am christlichen Leben setzen. Schon der unglückliche sächsische Kanzler Crell hatte erklärt, daß er weder Lutheraner noch Calvinist, sondern ein Christ sei. Im Jahre 1600 wurde bei der gewaltsamen Restitution des Katholicismus in Graz ein Rechtsge- lehrter sofort entfernt, welcher ebenfalls weder katholisch noch lutherisch, son¬ dern bloß christlich zu sein sich bekannte und daher auch nur Christum für seinen Seelsorger anzuerkennen bezeugte.*) Herrn Wolfgang von Nostiz spendete sein Pfarrer, Michas Meister, in der Grabrede dasselbe Lob: Seine Religion be¬ langent war er ein Christ, maßte sich keines satirischen Namens an. als der sowenig auf Lutherum als aufZwinglium und Calvinum, und so wenig auf diese als auf jene getauft war. Er hatte auch ein herzliches Mißfallen an dem Gcbeiße und Geleise unruhiger Theologen, die neben ihrem Schwär¬ men und unschriftmäßigen Lehren Zank und Streit erregen, die Einfältigen verwirren und Verbitterung bei ihnen machen.^) Namentlich scheinen die Aerzte der damaligen Zeit als Anhänger von Paracelsischen Ideen auch diese gemein christlichen Gedanken, die allmälig von selbst zum Philosophiren trieben, weiter getragen zu haben. Bald nach dem Ausbruche des böhmischen Krieges nimmt namentlich die populäre Literatur diese Strömung des Zeit¬ geistes auf und fördert in Sprüchen und allerlei Kurzrcden tiefsinnige An¬ schauungen dieser Art auch unter die Massen. Das thut namentlich ein im Jahre 1621 in dritter Auflage unter dem Titel: Mos. nova WtiMg, oouti- nus-t-louis der neuen Zeitungen von unterschiedlichen Orten, d. i. die alte Wahrheit mit einem neuen Titel — wahrscheinlich in Straßburg erschienener Tractat. aus dem wir Einiges anführen, um uns auf einmal mitten in die Gedankenkreise jener Neuerer hineinzuversetzen. „Daß weil die Hirten zanken, fresse unterdeß der Höllenwolf die Schafe. Daß der Lutheraner und Calvinisten Götzen seien ihr heimlicher Neid, Ehrgeiz, Stolz, Dünkel, Eigenlieb. Uneinig¬ keit und Zanksucht. Daß Gott von seinen Schuldigern eine Rechnung und eben keine Bezahlung begehre. Daß welchen der Geist Gottes nicht lehrt, den lehrt auch kein Pfaff. ob er ihm schon drei Mal täglich predigte oder misstficirte.^) Daß kein feinerer Glaub sei für junge Kinder und alte Weiber, als der römische. Daß es den Theologen nicht viel am Hand' werk schade, wenn sie einander schon Schelmen und Dieb schelten. Daß -) Hurter Gesch. Kaiser Ferdinands II. Bd. IV. S. 245. -) Fechner a. a. O. S. 62- So steht im Text: Man muß an „Messelesscn" und „mystificiren" zugleich denken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/294>, abgerufen am 22.07.2024.