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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Stelle im Staate zu bahnen, ihn und seine Kreaturen mit Ehren und Reich¬
thümern zu überHaufen; diesem Zwecke wurde Alles, die Ehre und der Wohl¬
stand des Landes geopfert; alle Traditionen einer besseren Zeit, die sich der
Einführung des offenen GünstUngregimentes widersetzten, mußten zerstört, alle
Männer, die für die Aufrechthaltung derselben in die Schranken traten, un¬
schädlich gemacht werden. So wurde denn jener Zustand tiefster Korruption
eingeleitet, dessen schmählicher Druck die spanische Nation, die loyalste der
Welt, die den Lehren der Revolution weniger als irgend eine andre Eingang
gestattet, zuletzt dennoch ihren Grundsätzen in die Arme trieb. Die Haupt¬
züge desselben treten schon in den hier behandelten sieben ersten Negierungs-
johren Karls des Vierten in aller Deutlichkeit hervor; die späteren, in gleicher
Ausführlichkeit dargestellt, würden nur das ermüdende Bild einer traurigen
und einförmigen Wiederholung gewähren; der Verfasser wird daher einen kurzen
Rückblick auf denselben seiner verheißenen Geschichte der spanischen Revolution
vorangehen lassen. -- Um so dankbarer sind wir ihm, daß er uns in einer
ausführlichen Einleitung eine Uebersicht der inneren Entwickelung Spaniens
im 18. Jahrhundert gegeben. Hier standen ihm allerdings manche tüchtige
Vorarbeiten zu Gebot; namentlich bietet für die Regierung Karls des Dritten
das Werk Feorer del Ri6s, eine der trefflichsten Leistungen der modernen
spanischen Historiographie, ein sehr reiches Material dar. Die Resultate der¬
selben haben aber bis jetzt fast noch gar keinen Eingang in Deutschland ge-
gefunden. Der Versasser hat ihnen durch den Vergleich mit den homogenen
Reformbestrebungen des übrigen Europa und eine eingehende Berücksichtigung
der lange nicht nach Verdienst beachteten Schriften der spanischen National-
Oekonvmen jener Zeit, eine selbständige Erweiterung gegeben. Und einen
sehr eigenthümlichen Charakter nimmt denn doch auch der sonst so strenge
Geist des 16. Jahrhunderts in diesem classischen Lande der Originalität an.
Es ist ein vollkommen unbegründetes Vorurtheil, in der damaligen spanischen
Geistesbewegung nur eine oberflächliche Nachahmung der französischen sehen
zu wollen., Es beruht wol hauptsächlich auf einem falschen Rückschluß von
dem ästhetischen Gebiete, wo allerdings seit Luzaüs Nachahmung der Boi-
leauschen Poetik der französische Geschmack dominirte, auf die übrigen Rich¬
tungen geistiger Thätigkeit. Diese schlagen aber vollkommen selbständige Bah¬
nen einen und drängen in jener Zeit Poesie und Kunst, die durch eine
lange anhaltende Hyper-Production ihre Kräfte gänzlich erschöpft, voll¬
kommen in den Hintergrund. -- Es tritt in allen diesen Reformver¬
suchen ein conservativ-liberaler Sinn, eine Schonung des Historischen, ein
Anknüpfen an die vorhandenen Zustände und eine Richtung auf das praktisch
Erreichbare hervor, wie mari sie in der Regel nur für die, gereifte Erfahrung-
unsers Jahrhunderts in Anspruch nimmt, und wovon sich in den von radical-


Stelle im Staate zu bahnen, ihn und seine Kreaturen mit Ehren und Reich¬
thümern zu überHaufen; diesem Zwecke wurde Alles, die Ehre und der Wohl¬
stand des Landes geopfert; alle Traditionen einer besseren Zeit, die sich der
Einführung des offenen GünstUngregimentes widersetzten, mußten zerstört, alle
Männer, die für die Aufrechthaltung derselben in die Schranken traten, un¬
schädlich gemacht werden. So wurde denn jener Zustand tiefster Korruption
eingeleitet, dessen schmählicher Druck die spanische Nation, die loyalste der
Welt, die den Lehren der Revolution weniger als irgend eine andre Eingang
gestattet, zuletzt dennoch ihren Grundsätzen in die Arme trieb. Die Haupt¬
züge desselben treten schon in den hier behandelten sieben ersten Negierungs-
johren Karls des Vierten in aller Deutlichkeit hervor; die späteren, in gleicher
Ausführlichkeit dargestellt, würden nur das ermüdende Bild einer traurigen
und einförmigen Wiederholung gewähren; der Verfasser wird daher einen kurzen
Rückblick auf denselben seiner verheißenen Geschichte der spanischen Revolution
vorangehen lassen. — Um so dankbarer sind wir ihm, daß er uns in einer
ausführlichen Einleitung eine Uebersicht der inneren Entwickelung Spaniens
im 18. Jahrhundert gegeben. Hier standen ihm allerdings manche tüchtige
Vorarbeiten zu Gebot; namentlich bietet für die Regierung Karls des Dritten
das Werk Feorer del Ri6s, eine der trefflichsten Leistungen der modernen
spanischen Historiographie, ein sehr reiches Material dar. Die Resultate der¬
selben haben aber bis jetzt fast noch gar keinen Eingang in Deutschland ge-
gefunden. Der Versasser hat ihnen durch den Vergleich mit den homogenen
Reformbestrebungen des übrigen Europa und eine eingehende Berücksichtigung
der lange nicht nach Verdienst beachteten Schriften der spanischen National-
Oekonvmen jener Zeit, eine selbständige Erweiterung gegeben. Und einen
sehr eigenthümlichen Charakter nimmt denn doch auch der sonst so strenge
Geist des 16. Jahrhunderts in diesem classischen Lande der Originalität an.
Es ist ein vollkommen unbegründetes Vorurtheil, in der damaligen spanischen
Geistesbewegung nur eine oberflächliche Nachahmung der französischen sehen
zu wollen., Es beruht wol hauptsächlich auf einem falschen Rückschluß von
dem ästhetischen Gebiete, wo allerdings seit Luzaüs Nachahmung der Boi-
leauschen Poetik der französische Geschmack dominirte, auf die übrigen Rich¬
tungen geistiger Thätigkeit. Diese schlagen aber vollkommen selbständige Bah¬
nen einen und drängen in jener Zeit Poesie und Kunst, die durch eine
lange anhaltende Hyper-Production ihre Kräfte gänzlich erschöpft, voll¬
kommen in den Hintergrund. — Es tritt in allen diesen Reformver¬
suchen ein conservativ-liberaler Sinn, eine Schonung des Historischen, ein
Anknüpfen an die vorhandenen Zustände und eine Richtung auf das praktisch
Erreichbare hervor, wie mari sie in der Regel nur für die, gereifte Erfahrung-
unsers Jahrhunderts in Anspruch nimmt, und wovon sich in den von radical-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/278>, abgerufen am 03.07.2024.