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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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kein Geist durchwehten Theorien des achtzehnten sonst selten eine Spur findet.
Allerdings war nur auf diesem Wege bei einer Nation, die wie keine andre
mit träger Vorliebe und erregbarstem Selbstgefühl an allem Althergebrachten
hing, irgend ein Erfolg zu erwarten, und in der ersten Hälfte des Jahrhun¬
derts, wo der Arm der Inquisition noch mächtig, nöthigte schon die Rücksicht
auf Selbsterhaltung zu äußerster Vorsicht; aber auch als die Regierung Karls
des Vierten eine freiere Bewegung gestattete, richteten sich doch selbst bei den
kühnsten neuerem die Angriffe immer nur gegen die augenfälligen Mißbräuche
in Kirche und Staat, in Gesetz und Sitte; in milder Schonung wußten sie
das Wesen der Dinge davon frei zu halten. Es gewährt einen äußerst wohl¬
thuenden Eindruck, von der kundigen Hand des Verfassers geleitet, diese Reihe
weiser und patriotischer Männer zu betrachten, wie sie sich in stiller und be¬
scheidener Größe der mühevollen Arbeit unterziehen, ihr Volk aus dem unglaub¬
lichen Verfall, in den es unter der langen Mißregierung der Habsburger ver¬
sunken war, emporzuheben, jeder Schritt nach vorwärts muß mit der aus¬
dauerndsten Anstrengung erkämpft werden. Mit besonderer Vorliebe weilt der
Verfasser bei dem Bild von Campomanes, das in manchen Stücken an un¬
sern Möser erinnert. Bemerkenswerth bleibt es für jene Zeit, daß fast alle
diese Männer, neben der vom Geist des Jahrhunderts besonders begünstigten
künstlichen Pflege der Fabrication, in dem Ackerbau die Hauptgrundlage des
Nationalwohlstandes erkennen, daß sie vor allen Dingen die Hebung des im
tiefsten Elend schmachtenden Bauern- und Handwerkerstandes im Auge haben,
daß bei jeder Frage neben der materiellen auch stets die sittliche Seite in Be¬
tracht gezogen wird.

Die lebendigste Theilnahme und thatkräftigste Unterstützung fanden alle
diese Bestrebungen in Karl dem Dritten selbst, der die Hoffnungen, die
Feyjoü schon von dem Knaben für Spaniens Zukunft gehegt, auf das Schönste
erfüllen sollte. Aber wie langsam konnte sich der Fortschritt doch auch jetzt
uur Bahn brechen. Der Verfasser hält diese Kehrseite des Bildes nicht ver¬
borgen, und zeigt uns offen, was man bei Feorer del Rios vermißt, wie groß
^r Abstand zwischen dem Erstrebten und wirklich Erreichten. Das trat dann
bei dem Regierungswechsel auf das Traurigste an den Tag; kaum hatten
Campomanes und Jovellanos durch die Gründung der patriotischen Gesell¬
schaften für die Durchführung und Fortpflanzung ihrer Ideen wirklich frucht-
bare Organe gewonnen, als durch dies Ereigniß alle ihre Schöpfungen in
Twge gestellt, zum großen Theil völlig zerstört wurden. Daß dies so leicht
Möglich, beweist wohl am besten, wie geringe Wurzel sie erst im Leben der
Nation geschlagen hatten. Ein auffallendes Beispiel, wie wenig selbst die
Zunächst Theilnahme an der politischen Entwickelung Berufenen davon
bttührt waren, bieten die Cortes des Jahres 1789. Kaum wird man einen


kein Geist durchwehten Theorien des achtzehnten sonst selten eine Spur findet.
Allerdings war nur auf diesem Wege bei einer Nation, die wie keine andre
mit träger Vorliebe und erregbarstem Selbstgefühl an allem Althergebrachten
hing, irgend ein Erfolg zu erwarten, und in der ersten Hälfte des Jahrhun¬
derts, wo der Arm der Inquisition noch mächtig, nöthigte schon die Rücksicht
auf Selbsterhaltung zu äußerster Vorsicht; aber auch als die Regierung Karls
des Vierten eine freiere Bewegung gestattete, richteten sich doch selbst bei den
kühnsten neuerem die Angriffe immer nur gegen die augenfälligen Mißbräuche
in Kirche und Staat, in Gesetz und Sitte; in milder Schonung wußten sie
das Wesen der Dinge davon frei zu halten. Es gewährt einen äußerst wohl¬
thuenden Eindruck, von der kundigen Hand des Verfassers geleitet, diese Reihe
weiser und patriotischer Männer zu betrachten, wie sie sich in stiller und be¬
scheidener Größe der mühevollen Arbeit unterziehen, ihr Volk aus dem unglaub¬
lichen Verfall, in den es unter der langen Mißregierung der Habsburger ver¬
sunken war, emporzuheben, jeder Schritt nach vorwärts muß mit der aus¬
dauerndsten Anstrengung erkämpft werden. Mit besonderer Vorliebe weilt der
Verfasser bei dem Bild von Campomanes, das in manchen Stücken an un¬
sern Möser erinnert. Bemerkenswerth bleibt es für jene Zeit, daß fast alle
diese Männer, neben der vom Geist des Jahrhunderts besonders begünstigten
künstlichen Pflege der Fabrication, in dem Ackerbau die Hauptgrundlage des
Nationalwohlstandes erkennen, daß sie vor allen Dingen die Hebung des im
tiefsten Elend schmachtenden Bauern- und Handwerkerstandes im Auge haben,
daß bei jeder Frage neben der materiellen auch stets die sittliche Seite in Be¬
tracht gezogen wird.

Die lebendigste Theilnahme und thatkräftigste Unterstützung fanden alle
diese Bestrebungen in Karl dem Dritten selbst, der die Hoffnungen, die
Feyjoü schon von dem Knaben für Spaniens Zukunft gehegt, auf das Schönste
erfüllen sollte. Aber wie langsam konnte sich der Fortschritt doch auch jetzt
uur Bahn brechen. Der Verfasser hält diese Kehrseite des Bildes nicht ver¬
borgen, und zeigt uns offen, was man bei Feorer del Rios vermißt, wie groß
^r Abstand zwischen dem Erstrebten und wirklich Erreichten. Das trat dann
bei dem Regierungswechsel auf das Traurigste an den Tag; kaum hatten
Campomanes und Jovellanos durch die Gründung der patriotischen Gesell¬
schaften für die Durchführung und Fortpflanzung ihrer Ideen wirklich frucht-
bare Organe gewonnen, als durch dies Ereigniß alle ihre Schöpfungen in
Twge gestellt, zum großen Theil völlig zerstört wurden. Daß dies so leicht
Möglich, beweist wohl am besten, wie geringe Wurzel sie erst im Leben der
Nation geschlagen hatten. Ein auffallendes Beispiel, wie wenig selbst die
Zunächst Theilnahme an der politischen Entwickelung Berufenen davon
bttührt waren, bieten die Cortes des Jahres 1789. Kaum wird man einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/279>, abgerufen am 03.07.2024.