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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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klingende Münze, und auch der Arbeiter sah goldene Tage wieder; denn der
rasche Gewinn wurde sofort in Waare und Leben umgesetzt und die Zeit des
Niederreißens und Bauens begann. Wie unter Ludwig dem Fünfzehnten gab
in allen Dingen die Aristokratie des Geldes wieder den Ton an, nur daß
sie diesmal nicht aus Einigen, sondern aus Vielen bestand und daß der über
Nacht erworbenen Reichthümer Niemand ein Arg hatte. Fast schien es. als
hätte man die Schätze der Märchenwelt wiedergefunden; denn Unglückliche,
Verlierende, Ruinirte waren nirgends zu sehen. Die wenigen Pessimisten,
welche auf den Fall der neuen Herrschaft rechneten und dabei selber zu Grunde
gingen, waren nicht zu zählen. Das Wunder erklärt sich vielleicht, wenn man
den neuen Aufschwung als die Rückseite der Verluste von Achtundvierzig be¬
trachtet und als das Ergebniß einer schwindelhafter Ausbreitung des Credits
und des bloßen Geldgeschäfts, dessen Lug und Trug der Proceß Mires so¬
eben aufgedeckt hat.

Auf die Prunk- und Genußsucht, die seitdem die verschiedenen Klassen
des französischen Volkes, ärger als je, wie ein Taumel ergriffen hat, näher
einzugehen, ist überflüssig; fast jeder Deutsche hat einen neugierigen Blick in
dies Leben gethan, das den gemüthlichen und denkenden Menschen in ihm
wol abstößt, aber doch durch seinen leichten, heitern, spielenden Fluß und die
Vollendung, die es in seiner Art erreicht hat, einen gewissen Reiz ausübt.
Das eben ist die gefährliche Seite dieses Treibens: der französische Geist hat
ihm die ganze Anmuth und Gefälligkeit seines Wesens aufgedrückt, Luxus und
Genuß erscheinen nicht als Zweck, sondern als Mittel eines behaglichen, durch
die feine liebenswürdige Sitte des gesellschaftlichen Verkehrs und eine gewisse
künstlerische Bildung gehobenen Lebens. Die vorgeschrittene Gesittung bringt
nun einmal eine gewisse Fülle und Bequemlichkeit der äußern Existenz mit
sich, auch den Mittelklassen sind und sollen die Mittel eines gemächlichen
Lebens vollständig und leicht zur Hand sein, der Aufschwung von Handel
und Industrie, die Verbreitung der materiellen Güter gehen ja mit darauf
aus. Andrerseits soll der junge Mann in der sogenannten Welt sich umtrei-
ben und abschleifen, in ihr die dunkeln Triebe und Leidenschaften seiner
Natur loswerden, nicht sich bezwingen, sondern austoben. Wie soll da die
schmale Grenze zwischen dem Genug und Zuviel eingehalten werden, wenn
der Erwerb zum Spiel in jedem Sinne, wie dieses leicht und zufällig gewor¬
den, wenn Pracht und Luxus fertig vor der Thüre stehen und nur auf das
"Herein" warten, wenn der Genuß in reizender, geistreicher Form ungesucht
und ungezwungen sich darbietet? Dazu tritt die Verfeinerung anspruchslos,
unbefangen, mit einer gewissen Einfachheit und Freiheit auf. Wir in Deutsch'
land haben leicht reden und die Philosophen spielen; wir haben es in der
Behaglichkeit und Anmuth des sinnlichen Lebens noch nicht gar weit gebracht'


klingende Münze, und auch der Arbeiter sah goldene Tage wieder; denn der
rasche Gewinn wurde sofort in Waare und Leben umgesetzt und die Zeit des
Niederreißens und Bauens begann. Wie unter Ludwig dem Fünfzehnten gab
in allen Dingen die Aristokratie des Geldes wieder den Ton an, nur daß
sie diesmal nicht aus Einigen, sondern aus Vielen bestand und daß der über
Nacht erworbenen Reichthümer Niemand ein Arg hatte. Fast schien es. als
hätte man die Schätze der Märchenwelt wiedergefunden; denn Unglückliche,
Verlierende, Ruinirte waren nirgends zu sehen. Die wenigen Pessimisten,
welche auf den Fall der neuen Herrschaft rechneten und dabei selber zu Grunde
gingen, waren nicht zu zählen. Das Wunder erklärt sich vielleicht, wenn man
den neuen Aufschwung als die Rückseite der Verluste von Achtundvierzig be¬
trachtet und als das Ergebniß einer schwindelhafter Ausbreitung des Credits
und des bloßen Geldgeschäfts, dessen Lug und Trug der Proceß Mires so¬
eben aufgedeckt hat.

Auf die Prunk- und Genußsucht, die seitdem die verschiedenen Klassen
des französischen Volkes, ärger als je, wie ein Taumel ergriffen hat, näher
einzugehen, ist überflüssig; fast jeder Deutsche hat einen neugierigen Blick in
dies Leben gethan, das den gemüthlichen und denkenden Menschen in ihm
wol abstößt, aber doch durch seinen leichten, heitern, spielenden Fluß und die
Vollendung, die es in seiner Art erreicht hat, einen gewissen Reiz ausübt.
Das eben ist die gefährliche Seite dieses Treibens: der französische Geist hat
ihm die ganze Anmuth und Gefälligkeit seines Wesens aufgedrückt, Luxus und
Genuß erscheinen nicht als Zweck, sondern als Mittel eines behaglichen, durch
die feine liebenswürdige Sitte des gesellschaftlichen Verkehrs und eine gewisse
künstlerische Bildung gehobenen Lebens. Die vorgeschrittene Gesittung bringt
nun einmal eine gewisse Fülle und Bequemlichkeit der äußern Existenz mit
sich, auch den Mittelklassen sind und sollen die Mittel eines gemächlichen
Lebens vollständig und leicht zur Hand sein, der Aufschwung von Handel
und Industrie, die Verbreitung der materiellen Güter gehen ja mit darauf
aus. Andrerseits soll der junge Mann in der sogenannten Welt sich umtrei-
ben und abschleifen, in ihr die dunkeln Triebe und Leidenschaften seiner
Natur loswerden, nicht sich bezwingen, sondern austoben. Wie soll da die
schmale Grenze zwischen dem Genug und Zuviel eingehalten werden, wenn
der Erwerb zum Spiel in jedem Sinne, wie dieses leicht und zufällig gewor¬
den, wenn Pracht und Luxus fertig vor der Thüre stehen und nur auf das
„Herein" warten, wenn der Genuß in reizender, geistreicher Form ungesucht
und ungezwungen sich darbietet? Dazu tritt die Verfeinerung anspruchslos,
unbefangen, mit einer gewissen Einfachheit und Freiheit auf. Wir in Deutsch'
land haben leicht reden und die Philosophen spielen; wir haben es in der
Behaglichkeit und Anmuth des sinnlichen Lebens noch nicht gar weit gebracht'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/224>, abgerufen am 26.08.2024.