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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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dem allgemeinen Leben den Charakter geben und auch auf die Kunst nicht
ohne Einfluß geblieben sind.

Und wahrlich, auch in diesen Dingen hat es die Zeit des Kaiserreichs in
ihrem Verlaufe recht weit gebracht. Wer vor zehn Jahren Paris gesehen
und in verschiedenen Kreisen der wohlhabenden, sogenannten gebildeten Klasse
sich umgetrieben hat, der findet nun andere Menschen, andere Sitten. Im
Durchschnitt hat sich die Lebensweise jeder Klasse mindestens um einen Grad
verfeinert, d. h. jede hat sich die Formen, Genüsse und Gewohnheiten der
nächst höheren angeeignet. Wer im Lauf des Jahrzehnts das Treiben hin
und wieder aus der Nähe beobachtete, konnte das allmälige Emporklettern
der verschiedenen Schichten wol verfolgen; wer diesen Faden der Vermittlung
nicht hat, den muß der Wechsel der Dinge wie ein jüher Sprung überraschen.

Der eigentliche Umschwung in der ganzen Lebensweise trat am deutlich¬
sten in dem ersten Jahr des Kaiserthums hervor. Auf die ungewissen Jahre
der Erschlaffung, in denen die Bewegung des Jahres Achtundvierzig ausklang und
an die Stelle verwirrter Bestrebungen nur allmälig feste Staatsformen traten,
folgte endlich die Ruhe eines geordneten Zustandes. Dem Volke war die
Last der Selbstregierung von den ungewohnten Schultern genommen, denn
die neue Kraft schien der Schwere des Amtes gewachsen, man schöpfte
Athem und sah wieder mit frischem Muth in's Leben. Die Nation
hatte empfunden, daß sie unter jener Last zusammenbrechen würde, und die
Unsicherheit, mit der sie dieselbe trug, das Gefühl das Ohnmacht hatte ihr,
dem lebenslustigen Volke, die Freude am gewohnten Schaffen und Treiben,
am Erwerben und Genießen fast benommen. Nun aber brach ein neuer Tag
an. Von den unbequemen Sorgen befreit, fühlte man sich unter einem
Regiment, das den Privaten jeder Theilnahme an den Angelegenheiten des
Staates enthob, um so mehr aufgelegt, sich für die jahrelangen Entbehrungen
Zu entschädigen, als die feste leitende Hand sich gleich fähig zur Behaup¬
tung der äußern Macht als zur strengen Handhabung der innern Ordnung
zeigte. Frankreich hatte wieder ein Oberhaupt, das alle Geschäfte, Lasten
und Pflichten, auf sich nahm, und nun machte sich Jeder emsig daran,
seine Privatinteressen vorwärts zu bringen. Die Schläge des Jahres Acht¬
undvierzig hatten mehr als ein Vermögen zu Grunde gerichtet; nun sollte zu¬
gleich mit der staatlichen Reaction auch in Gelddingen ein Rückschlag, und
Zwar ein glücklicher erfolgen. Alle Stände legten sich auf den raschen und
Richten Erwerb, Alles drängte sich zuversichtlich auf den Markt des Verkehrs -
"ur einige Legitimisten blieben mit dem sicheren Reichthum von Jahrhunderten
'u ihrem Schmollwinkel -- und Alles gewann, große Vermögen schössen wie
V'ize aus der Erde auf und machten nicht einige, sondern in ihrem rastlosen
Nüsse durch alle Klassen viele Reiche; ein grenzenloser Credit ersetzte die


dem allgemeinen Leben den Charakter geben und auch auf die Kunst nicht
ohne Einfluß geblieben sind.

Und wahrlich, auch in diesen Dingen hat es die Zeit des Kaiserreichs in
ihrem Verlaufe recht weit gebracht. Wer vor zehn Jahren Paris gesehen
und in verschiedenen Kreisen der wohlhabenden, sogenannten gebildeten Klasse
sich umgetrieben hat, der findet nun andere Menschen, andere Sitten. Im
Durchschnitt hat sich die Lebensweise jeder Klasse mindestens um einen Grad
verfeinert, d. h. jede hat sich die Formen, Genüsse und Gewohnheiten der
nächst höheren angeeignet. Wer im Lauf des Jahrzehnts das Treiben hin
und wieder aus der Nähe beobachtete, konnte das allmälige Emporklettern
der verschiedenen Schichten wol verfolgen; wer diesen Faden der Vermittlung
nicht hat, den muß der Wechsel der Dinge wie ein jüher Sprung überraschen.

Der eigentliche Umschwung in der ganzen Lebensweise trat am deutlich¬
sten in dem ersten Jahr des Kaiserthums hervor. Auf die ungewissen Jahre
der Erschlaffung, in denen die Bewegung des Jahres Achtundvierzig ausklang und
an die Stelle verwirrter Bestrebungen nur allmälig feste Staatsformen traten,
folgte endlich die Ruhe eines geordneten Zustandes. Dem Volke war die
Last der Selbstregierung von den ungewohnten Schultern genommen, denn
die neue Kraft schien der Schwere des Amtes gewachsen, man schöpfte
Athem und sah wieder mit frischem Muth in's Leben. Die Nation
hatte empfunden, daß sie unter jener Last zusammenbrechen würde, und die
Unsicherheit, mit der sie dieselbe trug, das Gefühl das Ohnmacht hatte ihr,
dem lebenslustigen Volke, die Freude am gewohnten Schaffen und Treiben,
am Erwerben und Genießen fast benommen. Nun aber brach ein neuer Tag
an. Von den unbequemen Sorgen befreit, fühlte man sich unter einem
Regiment, das den Privaten jeder Theilnahme an den Angelegenheiten des
Staates enthob, um so mehr aufgelegt, sich für die jahrelangen Entbehrungen
Zu entschädigen, als die feste leitende Hand sich gleich fähig zur Behaup¬
tung der äußern Macht als zur strengen Handhabung der innern Ordnung
zeigte. Frankreich hatte wieder ein Oberhaupt, das alle Geschäfte, Lasten
und Pflichten, auf sich nahm, und nun machte sich Jeder emsig daran,
seine Privatinteressen vorwärts zu bringen. Die Schläge des Jahres Acht¬
undvierzig hatten mehr als ein Vermögen zu Grunde gerichtet; nun sollte zu¬
gleich mit der staatlichen Reaction auch in Gelddingen ein Rückschlag, und
Zwar ein glücklicher erfolgen. Alle Stände legten sich auf den raschen und
Richten Erwerb, Alles drängte sich zuversichtlich auf den Markt des Verkehrs -
"ur einige Legitimisten blieben mit dem sicheren Reichthum von Jahrhunderten
'u ihrem Schmollwinkel — und Alles gewann, große Vermögen schössen wie
V'ize aus der Erde auf und machten nicht einige, sondern in ihrem rastlosen
Nüsse durch alle Klassen viele Reiche; ein grenzenloser Credit ersetzte die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/223>, abgerufen am 23.12.2024.