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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Erstgebornen. Der Schmagilli ist Beschützer, Sachwalter und Richter seiner
Tigres. Der Tigre schuldet ihm dafür Ehrfurcht und einen gewissen Jahres¬
tribut, der entweder in der Zunge jeder Kuh, die er schlachtet, oder in einem
zu Ostern oder Weihnachten zu entrichtenden Topf Bier besteht. Kommt ein
Tigre von einem erfolgreichen Raubzug zurück, so nimmt sich sein Herr von
der Beute eine Kuh, gewinnt er einen Proceß, so gebührt dem Herrn die
Hälfte der ihm zugesprochncn Buße, stirbt jener ohne Verwandtschaft, so erbt
der Herr seine Habe und seine Frau. Der Tigre ist nicht an den Wohnort
seines Schmagilli gebunden, er hat eignes, unantastbares Vermögen und kann
mit dem "Segen" d. h. mit der Erlaubniß seines Herrn aus seiner Botmä¬
ßigkeit heraustreten, doch muß er sich in diesem Fall sofort nach einem andern
Herrn und Patron umthun, weil er sonst fremd. also Feind und damit vogel¬
frei werden würde. Es gilt für keine Erniedrigung, wenn ein Adliger oder
dessen Tochter in die Familie eines Hörigen heirathet.

Vielweiberei kommt unter den Bogos nicht häufig vor, und sehr selten
hat einer derselben mehr als zwei Frauen. Der Wunsch, reich zu erscheinen,
sowie der, eine große Verwandtschaft zu gewinnen, sind Hauptursachen der
Polygamie; überdies fügt bisweilen der Tod eines Bruders dessen Wittwe
der ersten Frau hinzu.

Um das Civilrecht der Bogos zu charakterisieren mögen die folgenden No¬
tizen dienen. Wer einen fremden Acker zu bebauen wünscht, verspricht dem
Besitzer einen kleinen Antheil von der Ernte. Wer ein solches Grundstück el"
Mal bebaut hat, darf vom Eigenthümer das zweite Jahr nicht an dessen Be¬
bauung gehindert werden. Das dritte Jahr aber hat der Bodenherr die
Pflicht dem Nutznießer das Bcflellungsrecht zu kündigen, womit er in seine
alten Rechte wieder eintritt. Der Grundbesitzer, der sein Land ohne seine Er¬
laubniß bebaut findet, darf, wenn die Saat noch nicht aufgegangen ist, gegen
Rückerstattung des Saatkorns den bestellten Acker als sein Eigenthum behan¬
deln. Der Besitz eines Grundstücks schließt die Nutznießung von dessen Ver¬
längerung gegen die anliegende Bergseite ein. so daß alle dort befindlichen
Bäume, Quellen, Grasplätze und wilden Bienenstöcke als Zubehör des Acker-
stücks anzusehen sind. Ein Fruchtbaum, dessen Aeste auch über fremdes Land
hinüberragen, gehört dem Besitzer des Landes, in dem er wurzelt. Regen-
und Flußwasser hat keinen Eigenthümer, dagegen ist der, welcher einen Brun¬
nen gegraben hat, für alle Zeiten dessen Eigenthümer. Wer einem Honig¬
sammler in der Wildniß begegnet, hat das Recht, sich von dessen Fund satt
zu essen; weigert sich jener dessen, so darf dieser ihm sein Gefäß zerstören.

Der Tigre. welcher außer Stand ist, eine Schuld zu bezahlen, wird Sklave
des Gläubigers; stirbt er vor Tilgung der Schuld, so werden seine Kinder
verkauft. Ausgeliehene Capitalien verzinst man stets mit 100 Procent, doch


Erstgebornen. Der Schmagilli ist Beschützer, Sachwalter und Richter seiner
Tigres. Der Tigre schuldet ihm dafür Ehrfurcht und einen gewissen Jahres¬
tribut, der entweder in der Zunge jeder Kuh, die er schlachtet, oder in einem
zu Ostern oder Weihnachten zu entrichtenden Topf Bier besteht. Kommt ein
Tigre von einem erfolgreichen Raubzug zurück, so nimmt sich sein Herr von
der Beute eine Kuh, gewinnt er einen Proceß, so gebührt dem Herrn die
Hälfte der ihm zugesprochncn Buße, stirbt jener ohne Verwandtschaft, so erbt
der Herr seine Habe und seine Frau. Der Tigre ist nicht an den Wohnort
seines Schmagilli gebunden, er hat eignes, unantastbares Vermögen und kann
mit dem „Segen" d. h. mit der Erlaubniß seines Herrn aus seiner Botmä¬
ßigkeit heraustreten, doch muß er sich in diesem Fall sofort nach einem andern
Herrn und Patron umthun, weil er sonst fremd. also Feind und damit vogel¬
frei werden würde. Es gilt für keine Erniedrigung, wenn ein Adliger oder
dessen Tochter in die Familie eines Hörigen heirathet.

Vielweiberei kommt unter den Bogos nicht häufig vor, und sehr selten
hat einer derselben mehr als zwei Frauen. Der Wunsch, reich zu erscheinen,
sowie der, eine große Verwandtschaft zu gewinnen, sind Hauptursachen der
Polygamie; überdies fügt bisweilen der Tod eines Bruders dessen Wittwe
der ersten Frau hinzu.

Um das Civilrecht der Bogos zu charakterisieren mögen die folgenden No¬
tizen dienen. Wer einen fremden Acker zu bebauen wünscht, verspricht dem
Besitzer einen kleinen Antheil von der Ernte. Wer ein solches Grundstück el»
Mal bebaut hat, darf vom Eigenthümer das zweite Jahr nicht an dessen Be¬
bauung gehindert werden. Das dritte Jahr aber hat der Bodenherr die
Pflicht dem Nutznießer das Bcflellungsrecht zu kündigen, womit er in seine
alten Rechte wieder eintritt. Der Grundbesitzer, der sein Land ohne seine Er¬
laubniß bebaut findet, darf, wenn die Saat noch nicht aufgegangen ist, gegen
Rückerstattung des Saatkorns den bestellten Acker als sein Eigenthum behan¬
deln. Der Besitz eines Grundstücks schließt die Nutznießung von dessen Ver¬
längerung gegen die anliegende Bergseite ein. so daß alle dort befindlichen
Bäume, Quellen, Grasplätze und wilden Bienenstöcke als Zubehör des Acker-
stücks anzusehen sind. Ein Fruchtbaum, dessen Aeste auch über fremdes Land
hinüberragen, gehört dem Besitzer des Landes, in dem er wurzelt. Regen-
und Flußwasser hat keinen Eigenthümer, dagegen ist der, welcher einen Brun¬
nen gegraben hat, für alle Zeiten dessen Eigenthümer. Wer einem Honig¬
sammler in der Wildniß begegnet, hat das Recht, sich von dessen Fund satt
zu essen; weigert sich jener dessen, so darf dieser ihm sein Gefäß zerstören.

Der Tigre. welcher außer Stand ist, eine Schuld zu bezahlen, wird Sklave
des Gläubigers; stirbt er vor Tilgung der Schuld, so werden seine Kinder
verkauft. Ausgeliehene Capitalien verzinst man stets mit 100 Procent, doch


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[0186] Erstgebornen. Der Schmagilli ist Beschützer, Sachwalter und Richter seiner Tigres. Der Tigre schuldet ihm dafür Ehrfurcht und einen gewissen Jahres¬ tribut, der entweder in der Zunge jeder Kuh, die er schlachtet, oder in einem zu Ostern oder Weihnachten zu entrichtenden Topf Bier besteht. Kommt ein Tigre von einem erfolgreichen Raubzug zurück, so nimmt sich sein Herr von der Beute eine Kuh, gewinnt er einen Proceß, so gebührt dem Herrn die Hälfte der ihm zugesprochncn Buße, stirbt jener ohne Verwandtschaft, so erbt der Herr seine Habe und seine Frau. Der Tigre ist nicht an den Wohnort seines Schmagilli gebunden, er hat eignes, unantastbares Vermögen und kann mit dem „Segen" d. h. mit der Erlaubniß seines Herrn aus seiner Botmä¬ ßigkeit heraustreten, doch muß er sich in diesem Fall sofort nach einem andern Herrn und Patron umthun, weil er sonst fremd. also Feind und damit vogel¬ frei werden würde. Es gilt für keine Erniedrigung, wenn ein Adliger oder dessen Tochter in die Familie eines Hörigen heirathet. Vielweiberei kommt unter den Bogos nicht häufig vor, und sehr selten hat einer derselben mehr als zwei Frauen. Der Wunsch, reich zu erscheinen, sowie der, eine große Verwandtschaft zu gewinnen, sind Hauptursachen der Polygamie; überdies fügt bisweilen der Tod eines Bruders dessen Wittwe der ersten Frau hinzu. Um das Civilrecht der Bogos zu charakterisieren mögen die folgenden No¬ tizen dienen. Wer einen fremden Acker zu bebauen wünscht, verspricht dem Besitzer einen kleinen Antheil von der Ernte. Wer ein solches Grundstück el» Mal bebaut hat, darf vom Eigenthümer das zweite Jahr nicht an dessen Be¬ bauung gehindert werden. Das dritte Jahr aber hat der Bodenherr die Pflicht dem Nutznießer das Bcflellungsrecht zu kündigen, womit er in seine alten Rechte wieder eintritt. Der Grundbesitzer, der sein Land ohne seine Er¬ laubniß bebaut findet, darf, wenn die Saat noch nicht aufgegangen ist, gegen Rückerstattung des Saatkorns den bestellten Acker als sein Eigenthum behan¬ deln. Der Besitz eines Grundstücks schließt die Nutznießung von dessen Ver¬ längerung gegen die anliegende Bergseite ein. so daß alle dort befindlichen Bäume, Quellen, Grasplätze und wilden Bienenstöcke als Zubehör des Acker- stücks anzusehen sind. Ein Fruchtbaum, dessen Aeste auch über fremdes Land hinüberragen, gehört dem Besitzer des Landes, in dem er wurzelt. Regen- und Flußwasser hat keinen Eigenthümer, dagegen ist der, welcher einen Brun¬ nen gegraben hat, für alle Zeiten dessen Eigenthümer. Wer einem Honig¬ sammler in der Wildniß begegnet, hat das Recht, sich von dessen Fund satt zu essen; weigert sich jener dessen, so darf dieser ihm sein Gefäß zerstören. Der Tigre. welcher außer Stand ist, eine Schuld zu bezahlen, wird Sklave des Gläubigers; stirbt er vor Tilgung der Schuld, so werden seine Kinder verkauft. Ausgeliehene Capitalien verzinst man stets mit 100 Procent, doch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/186>, abgerufen am 23.12.2024.