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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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geschieht es bisweilen, daß der Dorfrath bei mißlungnen Ernten und in
Kriegszeiten die Schuldner von der Verpflichtung Zinsen zu zahlen entbindet,
so daß nur das Capital zurückzuerstatten ist.

Das Vermögen geht durch Erbschaft vom Vater auf die engere Familie
über. Jeder freie Mann hat die Befugniß, bei Lebzeiten von seinem Eigen¬
thum zu verschenken. Dagegen darf Niemand durch Testament über sein Le¬
ben hinaus in Betreff seines Vermögens etwas bestimmen, vielmehr ist die
Vertheilung der Verlassenschaft durch die Sitte unabänderlich festgesetzt. Der
Erstgeborne erbt alle weißen Kühe, alle Stiere und Kälber, Esel und Pferde,
alle im Hause befindlichen Waffen und Geräthe, alles Getreide und Geld,
die Leibeignen und die Tigre. die Frauen und die Verantwortlichkeit sür die
Schulden des Vaters. Der Rest des Vermögens wird zu gleichen Theilen
unter die übrigen männlrchen Kinder vertheilt, das leere Haus bleibt dem
jüngsten Sohne, die Töchter erben gar nichts.

Sehr eigenthümliche Bestimmungen enthält das Criminalrecht der Bogos.
Als Verletzer des Eigenthums wird nicht bloß der, welcher bei der Verletzung
hilft, sondern auch der betrachtet, welcher die Frucht der Verletzung mitge¬
nießt. Der Dieb, der seine That sofort gesteht, ist nur zu einfacher, der da¬
gegen, welcher erst durch Eid überwiesen werden muß., zu fünffacher Rücker¬
stattung des Gestohlenen gehalten. Sind der Thäter oder Mitgcnießer mehre,
so hat jeder den ganzen Werth des Geraubten zu erlegen. Dabei kommt man
Zu seltsamen Consequenzen. Ist jemand z. B. überführt, ein Stück Vieh
von dem Dorfe, wo er sich aufhält, gestohlen und in dem eignen Hause ge¬
schlachtet und verzehrt zu haben, so wird nicht allein jedes Glied seiner Fa¬
milie, sondern auch jedes dabei gebrauchte Geräth, der Kochtopf, die Schüssel
u. s. w. als Mitgenießer angesehen, und der Räuber ist verpflichtet, den ge¬
stohlenen Werth soviele Male zu ersetzen, so daß es geschehen kann, daß er
diesen Werth zwanzig- und mehrfach zu erlegen hat.

Das traurigste Capitel der Bogos ist das, welches von der Blutrache han¬
delt. Es ist die Quelle steter Fehden und hat das Volk wiederholt auf das
Furchtbarste decimirt. Seine Bestimmungen treffen im Wesentlichen mit dem
überein, was unter der arabischen Landbevölkerung Syriens und Aegyptens
d>e Sitte in dieser Beziehung verlangt. Die Nachkommen eines Vaters bis
"Uf sieben Grade bilden die Blutsverwandtschaft, deren Glieder sich wechsel-
^Mg ih^ Person garantiren und blutsverantwortlich sind. Mit andern
Worten: dieser Familienkreis hat nach der Anschauung des Volkes Ein Blut
"ud darum verletzt die Rache zu nehmen, verletzend die Verantwortlichkeit zu
^ager. Das Blutrecht unterscheidet ganzes und halbes Blut. Die ganze
Blutschuld ladet auf sich: wer eine Person tödtet, wobei kein Unterschied ge¬
macht wird, ob die That unter den Begriff der Tödtung. des Todtschlags


Grenzboten III. 1861. 23

geschieht es bisweilen, daß der Dorfrath bei mißlungnen Ernten und in
Kriegszeiten die Schuldner von der Verpflichtung Zinsen zu zahlen entbindet,
so daß nur das Capital zurückzuerstatten ist.

Das Vermögen geht durch Erbschaft vom Vater auf die engere Familie
über. Jeder freie Mann hat die Befugniß, bei Lebzeiten von seinem Eigen¬
thum zu verschenken. Dagegen darf Niemand durch Testament über sein Le¬
ben hinaus in Betreff seines Vermögens etwas bestimmen, vielmehr ist die
Vertheilung der Verlassenschaft durch die Sitte unabänderlich festgesetzt. Der
Erstgeborne erbt alle weißen Kühe, alle Stiere und Kälber, Esel und Pferde,
alle im Hause befindlichen Waffen und Geräthe, alles Getreide und Geld,
die Leibeignen und die Tigre. die Frauen und die Verantwortlichkeit sür die
Schulden des Vaters. Der Rest des Vermögens wird zu gleichen Theilen
unter die übrigen männlrchen Kinder vertheilt, das leere Haus bleibt dem
jüngsten Sohne, die Töchter erben gar nichts.

Sehr eigenthümliche Bestimmungen enthält das Criminalrecht der Bogos.
Als Verletzer des Eigenthums wird nicht bloß der, welcher bei der Verletzung
hilft, sondern auch der betrachtet, welcher die Frucht der Verletzung mitge¬
nießt. Der Dieb, der seine That sofort gesteht, ist nur zu einfacher, der da¬
gegen, welcher erst durch Eid überwiesen werden muß., zu fünffacher Rücker¬
stattung des Gestohlenen gehalten. Sind der Thäter oder Mitgcnießer mehre,
so hat jeder den ganzen Werth des Geraubten zu erlegen. Dabei kommt man
Zu seltsamen Consequenzen. Ist jemand z. B. überführt, ein Stück Vieh
von dem Dorfe, wo er sich aufhält, gestohlen und in dem eignen Hause ge¬
schlachtet und verzehrt zu haben, so wird nicht allein jedes Glied seiner Fa¬
milie, sondern auch jedes dabei gebrauchte Geräth, der Kochtopf, die Schüssel
u. s. w. als Mitgenießer angesehen, und der Räuber ist verpflichtet, den ge¬
stohlenen Werth soviele Male zu ersetzen, so daß es geschehen kann, daß er
diesen Werth zwanzig- und mehrfach zu erlegen hat.

Das traurigste Capitel der Bogos ist das, welches von der Blutrache han¬
delt. Es ist die Quelle steter Fehden und hat das Volk wiederholt auf das
Furchtbarste decimirt. Seine Bestimmungen treffen im Wesentlichen mit dem
überein, was unter der arabischen Landbevölkerung Syriens und Aegyptens
d>e Sitte in dieser Beziehung verlangt. Die Nachkommen eines Vaters bis
"Uf sieben Grade bilden die Blutsverwandtschaft, deren Glieder sich wechsel-
^Mg ih^ Person garantiren und blutsverantwortlich sind. Mit andern
Worten: dieser Familienkreis hat nach der Anschauung des Volkes Ein Blut
"ud darum verletzt die Rache zu nehmen, verletzend die Verantwortlichkeit zu
^ager. Das Blutrecht unterscheidet ganzes und halbes Blut. Die ganze
Blutschuld ladet auf sich: wer eine Person tödtet, wobei kein Unterschied ge¬
macht wird, ob die That unter den Begriff der Tödtung. des Todtschlags


Grenzboten III. 1861. 23
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[0187] geschieht es bisweilen, daß der Dorfrath bei mißlungnen Ernten und in Kriegszeiten die Schuldner von der Verpflichtung Zinsen zu zahlen entbindet, so daß nur das Capital zurückzuerstatten ist. Das Vermögen geht durch Erbschaft vom Vater auf die engere Familie über. Jeder freie Mann hat die Befugniß, bei Lebzeiten von seinem Eigen¬ thum zu verschenken. Dagegen darf Niemand durch Testament über sein Le¬ ben hinaus in Betreff seines Vermögens etwas bestimmen, vielmehr ist die Vertheilung der Verlassenschaft durch die Sitte unabänderlich festgesetzt. Der Erstgeborne erbt alle weißen Kühe, alle Stiere und Kälber, Esel und Pferde, alle im Hause befindlichen Waffen und Geräthe, alles Getreide und Geld, die Leibeignen und die Tigre. die Frauen und die Verantwortlichkeit sür die Schulden des Vaters. Der Rest des Vermögens wird zu gleichen Theilen unter die übrigen männlrchen Kinder vertheilt, das leere Haus bleibt dem jüngsten Sohne, die Töchter erben gar nichts. Sehr eigenthümliche Bestimmungen enthält das Criminalrecht der Bogos. Als Verletzer des Eigenthums wird nicht bloß der, welcher bei der Verletzung hilft, sondern auch der betrachtet, welcher die Frucht der Verletzung mitge¬ nießt. Der Dieb, der seine That sofort gesteht, ist nur zu einfacher, der da¬ gegen, welcher erst durch Eid überwiesen werden muß., zu fünffacher Rücker¬ stattung des Gestohlenen gehalten. Sind der Thäter oder Mitgcnießer mehre, so hat jeder den ganzen Werth des Geraubten zu erlegen. Dabei kommt man Zu seltsamen Consequenzen. Ist jemand z. B. überführt, ein Stück Vieh von dem Dorfe, wo er sich aufhält, gestohlen und in dem eignen Hause ge¬ schlachtet und verzehrt zu haben, so wird nicht allein jedes Glied seiner Fa¬ milie, sondern auch jedes dabei gebrauchte Geräth, der Kochtopf, die Schüssel u. s. w. als Mitgenießer angesehen, und der Räuber ist verpflichtet, den ge¬ stohlenen Werth soviele Male zu ersetzen, so daß es geschehen kann, daß er diesen Werth zwanzig- und mehrfach zu erlegen hat. Das traurigste Capitel der Bogos ist das, welches von der Blutrache han¬ delt. Es ist die Quelle steter Fehden und hat das Volk wiederholt auf das Furchtbarste decimirt. Seine Bestimmungen treffen im Wesentlichen mit dem überein, was unter der arabischen Landbevölkerung Syriens und Aegyptens d>e Sitte in dieser Beziehung verlangt. Die Nachkommen eines Vaters bis "Uf sieben Grade bilden die Blutsverwandtschaft, deren Glieder sich wechsel- ^Mg ih^ Person garantiren und blutsverantwortlich sind. Mit andern Worten: dieser Familienkreis hat nach der Anschauung des Volkes Ein Blut "ud darum verletzt die Rache zu nehmen, verletzend die Verantwortlichkeit zu ^ager. Das Blutrecht unterscheidet ganzes und halbes Blut. Die ganze Blutschuld ladet auf sich: wer eine Person tödtet, wobei kein Unterschied ge¬ macht wird, ob die That unter den Begriff der Tödtung. des Todtschlags Grenzboten III. 1861. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/187>, abgerufen am 26.08.2024.