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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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ein Zauber über die italienische Renaissance des Cinquecento ausgegossen ist,
ist ein für allemal dahin; es war die Zeit, in der die Schönheit voll froher,
edler Weltlichkeit, unverhüllt und unverkümmert auf Erden ging und in Stein
und Farbe tausendfach sich widerspiegelte. Das läßt sich freilich von der
Prosa des 19. Jahrhunderts nicht erwarten. Aber eben deshalb, da von
der Gegenwart ein frisches eigenthümliches Kunstle.ben vorerst nicht zu hoffen
ist, sind wir auf den Nachlaß der Vergangenheit angewiesen und vorab auf
die Kunstform, welche das Schöne am reichsten und mannigfaltigsten, ich
möchte sagen am heimlichsten entwickelt hat und die zugleich unserer An¬
schauungsweise am nächsten verwandt ist, unseren Zwecken am besten sich an¬
paßt. Daß sie, in einer unkünstlerischen Zeit reproducirt, nach den modernen
Bedürfnissen umgemodelt, an Charakter und Werth verliert, läßt sich nicht
ändern. Von einem "Rhythmus der Massen", einer schönen Harmonie der
Verhältnisse kann bei den umfangreichen Miethbauten der Neuzeit nicht mehr
die Rede sein; die Ornamentik wird selbst da, wo nicht gespart wird, nicht
gleichmäßig durchgeführt, und von einer lebendig individuellen Behandlung
derselben zeigen sich nur seltene Spuren. Aber der Aufbau der Stockwerke
wird durch reiche Horizontalgesimse, welche ebensowol trennen als verbinden,
die Masse der Fenster durch eine in Stein gehauene passende Einfassung dem
Auge erträglich, die einförmige Mauer durch eine Verticalgliederung, seien es
Pilaster oder Halbsüulen, welche die sich aufthürmende Last zu stützen scheinen,
Wohlthätig unterbrochen, endlich durch den mannigfaltigen Schmuck des Bild¬
hauers der Blick vori der rohen Construction abgezogen. Und so macht auch
noch der moderne, abgeschwächte Renaissancebau einen heiteren, lebendigen
Eindruck, die innere Vertheilung der Räume spricht sich in der Facade
ehrlich aus und, indem man mit freier Wahl bald diese, bald jene Periode
des Styls zum Muster nimmt, auch wol verschiedene mischt, wird selbst in
den nüchternen modernen Straßen eine unterhaltende Abwechslung erreicht.

Indem sich nun in Paris auch die neueste Zeit fast durchweg an die
Renaissance gehalten hat, so ist wol durch den Umbau ganzer Stadttheile,
durch die neue Disposition, die der gerade Lauf der Straßen herbeigeführt
hat, die Physiognomie der Stadt verändert, aber das Neue steht nicht fremd
und unvermittelt neben dem Alten, fällt aus dem Gesammtcharakter nicht
heraus. Man merkt, daß dem Franzosen diese Bauweise in Fleisch und Blut
übergegangen ist, daß er sie für seine Zwecke frei zu gebrauchen weiß. Von
einer künstlerischen Durchbildung, einem organischen Bau, der den Stoff gleich¬
em in die Form aufhebt, kann, wie gesagt, nicht die Rede sein; aber es ist
schon viel, daß ihre Bauten weder ermüden, noch befremden. Kein lügenhafter
Aufputz naße sich den Schein von Kunst an und andererseits wird die prosaische
Kahlheit des bloß praktischen modernen Hauses anständig bekleidet. Dazu ist


GlMjbvten III. 1361. 18

ein Zauber über die italienische Renaissance des Cinquecento ausgegossen ist,
ist ein für allemal dahin; es war die Zeit, in der die Schönheit voll froher,
edler Weltlichkeit, unverhüllt und unverkümmert auf Erden ging und in Stein
und Farbe tausendfach sich widerspiegelte. Das läßt sich freilich von der
Prosa des 19. Jahrhunderts nicht erwarten. Aber eben deshalb, da von
der Gegenwart ein frisches eigenthümliches Kunstle.ben vorerst nicht zu hoffen
ist, sind wir auf den Nachlaß der Vergangenheit angewiesen und vorab auf
die Kunstform, welche das Schöne am reichsten und mannigfaltigsten, ich
möchte sagen am heimlichsten entwickelt hat und die zugleich unserer An¬
schauungsweise am nächsten verwandt ist, unseren Zwecken am besten sich an¬
paßt. Daß sie, in einer unkünstlerischen Zeit reproducirt, nach den modernen
Bedürfnissen umgemodelt, an Charakter und Werth verliert, läßt sich nicht
ändern. Von einem „Rhythmus der Massen", einer schönen Harmonie der
Verhältnisse kann bei den umfangreichen Miethbauten der Neuzeit nicht mehr
die Rede sein; die Ornamentik wird selbst da, wo nicht gespart wird, nicht
gleichmäßig durchgeführt, und von einer lebendig individuellen Behandlung
derselben zeigen sich nur seltene Spuren. Aber der Aufbau der Stockwerke
wird durch reiche Horizontalgesimse, welche ebensowol trennen als verbinden,
die Masse der Fenster durch eine in Stein gehauene passende Einfassung dem
Auge erträglich, die einförmige Mauer durch eine Verticalgliederung, seien es
Pilaster oder Halbsüulen, welche die sich aufthürmende Last zu stützen scheinen,
Wohlthätig unterbrochen, endlich durch den mannigfaltigen Schmuck des Bild¬
hauers der Blick vori der rohen Construction abgezogen. Und so macht auch
noch der moderne, abgeschwächte Renaissancebau einen heiteren, lebendigen
Eindruck, die innere Vertheilung der Räume spricht sich in der Facade
ehrlich aus und, indem man mit freier Wahl bald diese, bald jene Periode
des Styls zum Muster nimmt, auch wol verschiedene mischt, wird selbst in
den nüchternen modernen Straßen eine unterhaltende Abwechslung erreicht.

Indem sich nun in Paris auch die neueste Zeit fast durchweg an die
Renaissance gehalten hat, so ist wol durch den Umbau ganzer Stadttheile,
durch die neue Disposition, die der gerade Lauf der Straßen herbeigeführt
hat, die Physiognomie der Stadt verändert, aber das Neue steht nicht fremd
und unvermittelt neben dem Alten, fällt aus dem Gesammtcharakter nicht
heraus. Man merkt, daß dem Franzosen diese Bauweise in Fleisch und Blut
übergegangen ist, daß er sie für seine Zwecke frei zu gebrauchen weiß. Von
einer künstlerischen Durchbildung, einem organischen Bau, der den Stoff gleich¬
em in die Form aufhebt, kann, wie gesagt, nicht die Rede sein; aber es ist
schon viel, daß ihre Bauten weder ermüden, noch befremden. Kein lügenhafter
Aufputz naße sich den Schein von Kunst an und andererseits wird die prosaische
Kahlheit des bloß praktischen modernen Hauses anständig bekleidet. Dazu ist


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[0147] ein Zauber über die italienische Renaissance des Cinquecento ausgegossen ist, ist ein für allemal dahin; es war die Zeit, in der die Schönheit voll froher, edler Weltlichkeit, unverhüllt und unverkümmert auf Erden ging und in Stein und Farbe tausendfach sich widerspiegelte. Das läßt sich freilich von der Prosa des 19. Jahrhunderts nicht erwarten. Aber eben deshalb, da von der Gegenwart ein frisches eigenthümliches Kunstle.ben vorerst nicht zu hoffen ist, sind wir auf den Nachlaß der Vergangenheit angewiesen und vorab auf die Kunstform, welche das Schöne am reichsten und mannigfaltigsten, ich möchte sagen am heimlichsten entwickelt hat und die zugleich unserer An¬ schauungsweise am nächsten verwandt ist, unseren Zwecken am besten sich an¬ paßt. Daß sie, in einer unkünstlerischen Zeit reproducirt, nach den modernen Bedürfnissen umgemodelt, an Charakter und Werth verliert, läßt sich nicht ändern. Von einem „Rhythmus der Massen", einer schönen Harmonie der Verhältnisse kann bei den umfangreichen Miethbauten der Neuzeit nicht mehr die Rede sein; die Ornamentik wird selbst da, wo nicht gespart wird, nicht gleichmäßig durchgeführt, und von einer lebendig individuellen Behandlung derselben zeigen sich nur seltene Spuren. Aber der Aufbau der Stockwerke wird durch reiche Horizontalgesimse, welche ebensowol trennen als verbinden, die Masse der Fenster durch eine in Stein gehauene passende Einfassung dem Auge erträglich, die einförmige Mauer durch eine Verticalgliederung, seien es Pilaster oder Halbsüulen, welche die sich aufthürmende Last zu stützen scheinen, Wohlthätig unterbrochen, endlich durch den mannigfaltigen Schmuck des Bild¬ hauers der Blick vori der rohen Construction abgezogen. Und so macht auch noch der moderne, abgeschwächte Renaissancebau einen heiteren, lebendigen Eindruck, die innere Vertheilung der Räume spricht sich in der Facade ehrlich aus und, indem man mit freier Wahl bald diese, bald jene Periode des Styls zum Muster nimmt, auch wol verschiedene mischt, wird selbst in den nüchternen modernen Straßen eine unterhaltende Abwechslung erreicht. Indem sich nun in Paris auch die neueste Zeit fast durchweg an die Renaissance gehalten hat, so ist wol durch den Umbau ganzer Stadttheile, durch die neue Disposition, die der gerade Lauf der Straßen herbeigeführt hat, die Physiognomie der Stadt verändert, aber das Neue steht nicht fremd und unvermittelt neben dem Alten, fällt aus dem Gesammtcharakter nicht heraus. Man merkt, daß dem Franzosen diese Bauweise in Fleisch und Blut übergegangen ist, daß er sie für seine Zwecke frei zu gebrauchen weiß. Von einer künstlerischen Durchbildung, einem organischen Bau, der den Stoff gleich¬ em in die Form aufhebt, kann, wie gesagt, nicht die Rede sein; aber es ist schon viel, daß ihre Bauten weder ermüden, noch befremden. Kein lügenhafter Aufputz naße sich den Schein von Kunst an und andererseits wird die prosaische Kahlheit des bloß praktischen modernen Hauses anständig bekleidet. Dazu ist GlMjbvten III. 1361. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/147>, abgerufen am 03.07.2024.