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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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die Arbeit in dem überaus günstigen Material -- einem anfangs weichen Stein,
welcher, der Luft ausgesetzt, mit der Zeit immer härter und fester wird -- fast
durchweg sauber, mit geübter Hand und einem gewissen Verständnis; für Or¬
namentik ausgeführt. In einer Zeit, wo die individuelle Werkthätigkeit so
gut wie ganz aufgehört hat, ist gerade dies der Vorzug der Massenproduktion,
daß durch Vertheilung der Arbeit bis ins kleinste Detail in jedem Zweige
eine Fertigkeit erlangt wird, die an Vollendung grenzt. Es finden sich selbst
einzelne kleine Paläste, die in der ganzen Ueppigkeit der späteren Renaissance
aufgeführt sind, so daß der ganze Bau unter den Händen des Bildhauers in
eine Fülle von Ornamenten sich aufgelöst zu haben scheint. Diese sind größten-
theils. wenn ihnen auch die Frische der Erfindung und der feine Schwung
und Zug der künstlerischen Hand fehlen, nach guten Mustern fleißig gearbeitet,
und es findet sich fast kein Haus, auf dem nicht irgend ein Schmuck an pas¬
sender Stelle angebracht wäre: nicht etwa in armseliger Vereinzelung,
welche der kahlen Mauer ein nur um so frostigeres Aussehen gibt, sondern
reichlich über die ganze Flüche vertheilt. Dazu die nöthigen Horizontalprofiie
und Verticalgliederungen, mit bald mäßiger, bald stärkerer Ausladung. Nur
so konnten die langen breiten Straßen architektonisch erträglich werden. Dazu
kommt der Reiz der malerischen Wirkung, den die Bauweise der Renaissance
hat; jetzt von um so größerer Bedeutung, als bei dem modernen Hause die
Belebung der Massen durch die rhythmische Disposition nicht möglich ist. Hatte
man das Arkadensystem der Rivolistraße beibehalten, so würde Paris eine
ungeheure Kaserne sein; Hütte man in verschiedenen Seyler gebaut, eine bunte
und doch langweilige Musterkarte. Bloße Mauern, aus deren Fensterlöchern
die Langeweile des modernen Privatlebens herausgähnt und die mit einigen
aufgepappten Rosetten ihrer Nacktheit sich zu schämen scheinen, Mauern,
wie sie nun bei uns hie und da Mode werden, gibt es dort so gut wie
nicht.

Indessen läßt es auch die neueste französische Architektur -- ganz abge¬
sehen von einzelnen fabelhaften Producten einer sogenannten modernen Bau¬
phantasie -- an mancherlei Geschmacklosigkeiten nicht fehlen. Sie sucht sich
zwar im Ganzen in den Grenzen der eigentlichen Renaissance zu halten; aber ohne
gerade die Schweifungen. Kröpfungen, Schnecken, gebrochenen Giebel und
übermäßigen Ausladungen des Barot'Styls anzunehmen, folgt sie ihm doch
nicht selten darin, daß sie die Ornamente dem Bau nur äußerlich anheftet,
Säulen und Pilaster zum bloßen Schmuck anbringt, die Kragsteine sunst, d>e
Profile zu reich bildet. Diese willkürliche phantastische Behandlung des Baus,
welche die Construction in das Ornament aufhebt, erscheint um so mehr als
überflüssiger Pomp, als sonst die Verwilderung des Barokstyls vermieden wird.
Eine solche Ueberladung im decorativer Sinne, eine Art von architektonischem


die Arbeit in dem überaus günstigen Material — einem anfangs weichen Stein,
welcher, der Luft ausgesetzt, mit der Zeit immer härter und fester wird — fast
durchweg sauber, mit geübter Hand und einem gewissen Verständnis; für Or¬
namentik ausgeführt. In einer Zeit, wo die individuelle Werkthätigkeit so
gut wie ganz aufgehört hat, ist gerade dies der Vorzug der Massenproduktion,
daß durch Vertheilung der Arbeit bis ins kleinste Detail in jedem Zweige
eine Fertigkeit erlangt wird, die an Vollendung grenzt. Es finden sich selbst
einzelne kleine Paläste, die in der ganzen Ueppigkeit der späteren Renaissance
aufgeführt sind, so daß der ganze Bau unter den Händen des Bildhauers in
eine Fülle von Ornamenten sich aufgelöst zu haben scheint. Diese sind größten-
theils. wenn ihnen auch die Frische der Erfindung und der feine Schwung
und Zug der künstlerischen Hand fehlen, nach guten Mustern fleißig gearbeitet,
und es findet sich fast kein Haus, auf dem nicht irgend ein Schmuck an pas¬
sender Stelle angebracht wäre: nicht etwa in armseliger Vereinzelung,
welche der kahlen Mauer ein nur um so frostigeres Aussehen gibt, sondern
reichlich über die ganze Flüche vertheilt. Dazu die nöthigen Horizontalprofiie
und Verticalgliederungen, mit bald mäßiger, bald stärkerer Ausladung. Nur
so konnten die langen breiten Straßen architektonisch erträglich werden. Dazu
kommt der Reiz der malerischen Wirkung, den die Bauweise der Renaissance
hat; jetzt von um so größerer Bedeutung, als bei dem modernen Hause die
Belebung der Massen durch die rhythmische Disposition nicht möglich ist. Hatte
man das Arkadensystem der Rivolistraße beibehalten, so würde Paris eine
ungeheure Kaserne sein; Hütte man in verschiedenen Seyler gebaut, eine bunte
und doch langweilige Musterkarte. Bloße Mauern, aus deren Fensterlöchern
die Langeweile des modernen Privatlebens herausgähnt und die mit einigen
aufgepappten Rosetten ihrer Nacktheit sich zu schämen scheinen, Mauern,
wie sie nun bei uns hie und da Mode werden, gibt es dort so gut wie
nicht.

Indessen läßt es auch die neueste französische Architektur — ganz abge¬
sehen von einzelnen fabelhaften Producten einer sogenannten modernen Bau¬
phantasie — an mancherlei Geschmacklosigkeiten nicht fehlen. Sie sucht sich
zwar im Ganzen in den Grenzen der eigentlichen Renaissance zu halten; aber ohne
gerade die Schweifungen. Kröpfungen, Schnecken, gebrochenen Giebel und
übermäßigen Ausladungen des Barot'Styls anzunehmen, folgt sie ihm doch
nicht selten darin, daß sie die Ornamente dem Bau nur äußerlich anheftet,
Säulen und Pilaster zum bloßen Schmuck anbringt, die Kragsteine sunst, d>e
Profile zu reich bildet. Diese willkürliche phantastische Behandlung des Baus,
welche die Construction in das Ornament aufhebt, erscheint um so mehr als
überflüssiger Pomp, als sonst die Verwilderung des Barokstyls vermieden wird.
Eine solche Ueberladung im decorativer Sinne, eine Art von architektonischem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/148>, abgerufen am 23.12.2024.