Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.den Gebieten der Kunst und Sitte ist, befindet sich im Rückschritt. Nur läßt Und selbst der schädliche Einfluß des öffentlichen Regimentes liegt nicht ") Erst kürzlich erschien wieder in einer bekannten Zeitung bei Gelegenheit der französischen Ausstellung unter pompöser Ueberschrift ein Artikel, der auf die französische Kunst in ebenso indischer als niedriger Art schimpfte, um dem Imperialismus mit neuem Anlauf den bekann¬ te" Todesstoß zu versetzen. Die Hauptmasse des hesiigcn. aber durchaus unschädlichen Angriffs our wieder eine der bekannten systematischen Unwahrheiten: der Mann, der gewiß selber nur einmal im Salon war, fand, daß er kaum besucht sei. wahrend doch regelmäßig von der Mittagsstunde an dem ruhigen Beschauer die große Menge lästig fällt. Der Artikel bietet sonst keinen Anlaß, sich bei ihm aufzuhalten, 14*
den Gebieten der Kunst und Sitte ist, befindet sich im Rückschritt. Nur läßt Und selbst der schädliche Einfluß des öffentlichen Regimentes liegt nicht ") Erst kürzlich erschien wieder in einer bekannten Zeitung bei Gelegenheit der französischen Ausstellung unter pompöser Ueberschrift ein Artikel, der auf die französische Kunst in ebenso indischer als niedriger Art schimpfte, um dem Imperialismus mit neuem Anlauf den bekann¬ te» Todesstoß zu versetzen. Die Hauptmasse des hesiigcn. aber durchaus unschädlichen Angriffs our wieder eine der bekannten systematischen Unwahrheiten: der Mann, der gewiß selber nur einmal im Salon war, fand, daß er kaum besucht sei. wahrend doch regelmäßig von der Mittagsstunde an dem ruhigen Beschauer die große Menge lästig fällt. Der Artikel bietet sonst keinen Anlaß, sich bei ihm aufzuhalten, 14*
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den Gebieten der Kunst und Sitte ist, befindet sich im Rückschritt. Nur läßt
sich dieses Verhältniß nicht mit der simpeln Behauptung abthun, daß an
allen Uebeln des heutigen Frankreichs lediglich der Imperialismus die Schuld
trage; eine Behauptung, die manche tendenziöse Blätter zum Ueberdruß
wiederkäuen, wie eine Zauberformel, die „den zweiten December" bannen soll,
obwohl sie keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken könnte.*) So einfach
ist das Verhältniß überhaupt nicht, daß es sich in eine kurze Formel bringen
ließe, wie es denn immer mißlich ist, ganze Weltzustände und Beziehungen
formuliren zu wollen. Jenes Verhältniß ist vor Allem, wie schon angedeutet,
ein wechselseitiges: die Abschwächung des Geistes und Charakters, durch die
es der Nation bei aller Fähigkeit der einzelnen Kräfte an einem ernsten und
großen Streben fehlt, machte das neue Kaiserreich möglich und dieses sucht
wieder, sei es nun mit bewußter Absichtlichfeit, sei es durch die den Dingen
einwohnende Konsequenz jede tiefere geistige Regung und jede Anlage von
freier Eigenthümlichkeit niederzuhalten. Daher datirt auch der Verfall der
französischen Kunst nicht vom Beginn der neuen Regierung; er geht in seinem
Anfange weiter zurück. Nur hält er allerdings mit den glänzenden Erfolgen
derselben gleichen Schritt. Jene hat glänzende Erfolge, denn sie hat eine
große individuelle Kraft an ihrer Spitze, oder vielmehr sie ist selbst nichts
als diese Kraft, die, was man auch sonst von ihr halten mag. ebenso fähig
als energisch ist und mit gewandtem Verständniß die Mittel des ganzen Landes
ihren besonderen Zwecken dienstbar macht; dieses, das Land, wird in sich immer
ohnmächtiger. Denn es ist jener Macht gegenüber rein leidend, passives Werk-
Zeug, ohne Selbstthätigkeit, fast ohne eigenthümliches Streben, mit wenigen
Ausnahmen selbst in Kunst und Wissenschaft. Diese Wirkung aus das Ganze
ist immer der Fluch des Despotismus: aber ebenso liegt immer die erste Ur¬
sache dieser Wirkung im Volke selbst.
Und selbst der schädliche Einfluß des öffentlichen Regimentes liegt nicht
so unmittelbar auf der Hand, daß er sich gradezu greifen ließe. Es liegt in
dem Wesen einer klugen Gewaltherrschaft, die Kunst, soweit sie es mit ihren
Mitteln vermag, eher zu begünstigen, als zu unterdrücken. Die Negierung
laßt es an Preisen, officiellen und privaten Aufmunterungen selbst für die ver¬
schiedenen Zweige der Literatur nicht fehlen; in der Architektur und den dit-
") Erst kürzlich erschien wieder in einer bekannten Zeitung bei Gelegenheit der französischen
Ausstellung unter pompöser Ueberschrift ein Artikel, der auf die französische Kunst in ebenso
indischer als niedriger Art schimpfte, um dem Imperialismus mit neuem Anlauf den bekann¬
te» Todesstoß zu versetzen. Die Hauptmasse des hesiigcn. aber durchaus unschädlichen Angriffs
our wieder eine der bekannten systematischen Unwahrheiten: der Mann, der gewiß selber nur
einmal im Salon war, fand, daß er kaum besucht sei. wahrend doch regelmäßig von der
Mittagsstunde an dem ruhigen Beschauer die große Menge lästig fällt. Der Artikel bietet
sonst keinen Anlaß, sich bei ihm aufzuhalten,
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