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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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deuten Künsten steigert sie durch freigebigen Aufwand die Production in's
Unglaubliche, indem sie bei der wahrhaft fabelhaften Umgestaltung der Haupt¬
stadt vor Allem auf die äußere und innere Pracht der öffentlichen Monumente
Bedacht nimmt. Wo nur immer ein Talent sich hervorthut und sich biegsam
zeigt, ist sie bei der Hand zu fördern und zu unterstützen, den schweren Weg
der Kunst ihm leicht zu machen; sie selbst legt Gewicht darauf, ihren Glanz
und ihre Erfolge künstlerisch verherrlicht zu sehen. Bei uns geht manches Ta¬
lent zu Grunde oder schleppt sich kümmerlich durch, weil sich von keiner Seite
auch nur ein Finger ihm bietet, an den es sich halten könnte, und umge¬
kehrt sind die Künstler, welche die Regierungen in ihrem weichen Schooße
pflegen, nicht immer die begabten. Das versteht die französische Regierung
besser. Wenn sie auch die Idealität der Kunst nicht hebt, den einzelnen
Kräften keine freie Bahn läßt, so weiß sie doch die Talente an sich heranzu¬
ziehen und die Fähigkeit durch die Hebel der Uebung, des Wetteifers und des
Lohnes zur Fertigkeit auszubilden. Ueberdies pflegt mit einem gewandten
Despotismus eine geschickte Centralisation Hand in Hand zu gehen; und daß
durch diese die Kunst, wenn auch der Ernst des individuellen Strebens bis¬
weilen unter ihr leiden mag, wenigstens in ihren äußerlichen Bedingungen
nur gewinnt, ist eine Erfahrung von altem Datum.

Schon aus diesen Gründen, ganz abgesehen von den Nachwirkungen
besserer Zeiten, läßt sich die moderne französische Kunst mit dem Ausdruck
Verfall nicht kurzweg abthun. Seit wir in der bildenden Kunst die Kinder¬
schuhe abgetreten haben und den wenigen namhaften Meistern eine Masse
von Jüngern gefolgt ist, die das Handwerk jeder auf eigene Faust und in
seiner eigenen Manier treiben, wird es nachgerade Mode, die eigenen Pro-
ducte zu überschätzen und die fremden gering zu achten. Ein schlimmes
Zeichen, da wir Deutsche uns sonst eher des Gegentheils schuldig machen.
Auch möchte ich der deutschen Kunst, im Ganzen genommen und einzelne
Richtungen abgerechnet, nicht rathen, sich neben die französische zu stellen und
auf den Vergleich es ankommen zu lassen. Was sie in eigenthümlicher Weise
Großes und Tüchtiges hervorgebracht hat, gehört meistens schon der Ver¬
gangenheit an, obwol die Zeit der Production eben erst abgelaufen ist. Der
Spur der Meister, die, wenn es auch 'hier und da am Geschick, an der gründ¬
lich gebildeten Hand fehlen mochte, doch vom echten Wesen, vom ernsten
Sinn der Kunst erfüllt waren, sind Wenige nachgegangen. Zwar hat auch die
jüngste Zeit noch einzelne Blüthen, getrieben, aus denen der lebendige Hauch
einer echt künstlerischen und zugleich deutschen, ebenso empsindungsvollen als
gestaltenden Phantasie den Beschauer anwehe -- wir erinnern nur an Schwind's
sieben Raben --; und noch immer gibt es einzelne tüchtige Künstler, die in
der idealen Welt, gebildet durch das Studium der alten Meister, freilich ab-


deuten Künsten steigert sie durch freigebigen Aufwand die Production in's
Unglaubliche, indem sie bei der wahrhaft fabelhaften Umgestaltung der Haupt¬
stadt vor Allem auf die äußere und innere Pracht der öffentlichen Monumente
Bedacht nimmt. Wo nur immer ein Talent sich hervorthut und sich biegsam
zeigt, ist sie bei der Hand zu fördern und zu unterstützen, den schweren Weg
der Kunst ihm leicht zu machen; sie selbst legt Gewicht darauf, ihren Glanz
und ihre Erfolge künstlerisch verherrlicht zu sehen. Bei uns geht manches Ta¬
lent zu Grunde oder schleppt sich kümmerlich durch, weil sich von keiner Seite
auch nur ein Finger ihm bietet, an den es sich halten könnte, und umge¬
kehrt sind die Künstler, welche die Regierungen in ihrem weichen Schooße
pflegen, nicht immer die begabten. Das versteht die französische Regierung
besser. Wenn sie auch die Idealität der Kunst nicht hebt, den einzelnen
Kräften keine freie Bahn läßt, so weiß sie doch die Talente an sich heranzu¬
ziehen und die Fähigkeit durch die Hebel der Uebung, des Wetteifers und des
Lohnes zur Fertigkeit auszubilden. Ueberdies pflegt mit einem gewandten
Despotismus eine geschickte Centralisation Hand in Hand zu gehen; und daß
durch diese die Kunst, wenn auch der Ernst des individuellen Strebens bis¬
weilen unter ihr leiden mag, wenigstens in ihren äußerlichen Bedingungen
nur gewinnt, ist eine Erfahrung von altem Datum.

Schon aus diesen Gründen, ganz abgesehen von den Nachwirkungen
besserer Zeiten, läßt sich die moderne französische Kunst mit dem Ausdruck
Verfall nicht kurzweg abthun. Seit wir in der bildenden Kunst die Kinder¬
schuhe abgetreten haben und den wenigen namhaften Meistern eine Masse
von Jüngern gefolgt ist, die das Handwerk jeder auf eigene Faust und in
seiner eigenen Manier treiben, wird es nachgerade Mode, die eigenen Pro-
ducte zu überschätzen und die fremden gering zu achten. Ein schlimmes
Zeichen, da wir Deutsche uns sonst eher des Gegentheils schuldig machen.
Auch möchte ich der deutschen Kunst, im Ganzen genommen und einzelne
Richtungen abgerechnet, nicht rathen, sich neben die französische zu stellen und
auf den Vergleich es ankommen zu lassen. Was sie in eigenthümlicher Weise
Großes und Tüchtiges hervorgebracht hat, gehört meistens schon der Ver¬
gangenheit an, obwol die Zeit der Production eben erst abgelaufen ist. Der
Spur der Meister, die, wenn es auch 'hier und da am Geschick, an der gründ¬
lich gebildeten Hand fehlen mochte, doch vom echten Wesen, vom ernsten
Sinn der Kunst erfüllt waren, sind Wenige nachgegangen. Zwar hat auch die
jüngste Zeit noch einzelne Blüthen, getrieben, aus denen der lebendige Hauch
einer echt künstlerischen und zugleich deutschen, ebenso empsindungsvollen als
gestaltenden Phantasie den Beschauer anwehe — wir erinnern nur an Schwind's
sieben Raben —; und noch immer gibt es einzelne tüchtige Künstler, die in
der idealen Welt, gebildet durch das Studium der alten Meister, freilich ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/118>, abgerufen am 22.07.2024.