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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Rauben Hauses. Sie stellt ferner den Rücktritt frei, aber materielle Interessen,
der "von Gott gesegnete Nothpfennig", die Protection des Oberconvictmeisters
und vortragenden Raths im Ministerium, sein Avancement, die Rücksicht auf
Frau und Kinder wirken bei jedem Bruder auf das Stärkste dem Entschluß,
die Gesellschaft zu verlassen, entgegen. Die Brüderschaft kennt kein absolutes
Cölibat, aber niemand darf bei Verlust seiner Stellung und Mitgliedschaft
heirathen, bevor es ihm der Vorsteher erlaubt, bevor eine Inquisition die
Glaubensfestigkeit seiner Erwählten geprüft und in gutem, Stande gefun¬
den hat.

Nun können wir nichts dawider haben, daß eine solche Gesellschaft sich
constituirt. Jeder muß wissen, was ihm frommt, jeder mag nach seiner Fa^on
selig werden. Was wir aber nicht dulden dürfen, ist das Verhältniß des
Ordens zum Staat. Die Gefährlichkeit dieses neuen Ordens liegt in seiner
durchaus praktischen Tendenz zum Beamtendienst oder, um mit seinen eignen
Worten zu reden, zum Dienst des Herrn bei einem hinreichenden Auskommen.
"Eine Brüderschaft", sagt Dr. Holtzendorff vollkommen richtig, "welche die
ausgesprochene Tendenz hat, ihren Angehörigen ein zum persönlichen Auskommen
genügendes Amt zu verschaffen, ist dem Staat ebenso gefährlich wie die Thä¬
tigkeit der Jesuiten. Ob man aus dem Boden des Staates für die Idee des
Papstthums oder für eine ganz specifisch confessionelle Richtung anderer Art
thätig ist, scheint dabei ganz gleichgültig, wofern der einzelne Beamte durch
eine kirchliche Organisation im Rücken ermuntert und aufrecht erhalten wird."

Dazukommt, daß es auf eine dauernde Einrichtung des Ordens abgesehen
ist. Kein katholischer Orden hat auf die Dauer seinen rein geistlichen Beruf
zu bewahren vermocht. Der Orden der Rauben Brüder wird dieß ebenso¬
wenig können; denn die Welt und die Kirche lassen sich eben nicht so trennen,
wie man sich einbildet. Wenn die Geistlichkeit noch mehr als bisher für die
Interessen der Brüderschaft Partei nimmt, wenn das höhere Beamtenthum ein¬
sieht, daß ihm durch den Anschluß an eine so fest geschlossene einflußreiche Gesell-
schaft Vortheile geboten werden, so wird es nicht an solchen fehlen, welche
sich zur "dreifältigen Schnur" bekehren.. Wir haben jetzt in den Rauhhäus-
lern eine Gemeine in der Gemeine, ein königliches Priestervolk im preußischen
Volk. Wir werden dann einen Staat im Staate haben. Die Anfänge da¬
von sind schon zu Tage getreten. Die große Mehrzahl der Brüder besteht
aus Halbgebildeten, theologischen Subalternen, entlassnen Handwerksgesellen,
und es ist eine alte Erfahrung, daß der Amtsdünkel in dem Maße zunimmt,
wie die Rangfolge nach unten sich abstuft. Der Mangel an wahrer Bildung wird
ersetzt durch einseitige Schärfe, durch Eifer und Bekehrungssucht. die nicht ansteht,
den wirklich Gebildeten zu meistern, und die sich durchaus nicht vor Conflicten
mit der weltlichen Behörde scheut. Die Rauben Brüder sind zu Aufsehern


Rauben Hauses. Sie stellt ferner den Rücktritt frei, aber materielle Interessen,
der „von Gott gesegnete Nothpfennig", die Protection des Oberconvictmeisters
und vortragenden Raths im Ministerium, sein Avancement, die Rücksicht auf
Frau und Kinder wirken bei jedem Bruder auf das Stärkste dem Entschluß,
die Gesellschaft zu verlassen, entgegen. Die Brüderschaft kennt kein absolutes
Cölibat, aber niemand darf bei Verlust seiner Stellung und Mitgliedschaft
heirathen, bevor es ihm der Vorsteher erlaubt, bevor eine Inquisition die
Glaubensfestigkeit seiner Erwählten geprüft und in gutem, Stande gefun¬
den hat.

Nun können wir nichts dawider haben, daß eine solche Gesellschaft sich
constituirt. Jeder muß wissen, was ihm frommt, jeder mag nach seiner Fa^on
selig werden. Was wir aber nicht dulden dürfen, ist das Verhältniß des
Ordens zum Staat. Die Gefährlichkeit dieses neuen Ordens liegt in seiner
durchaus praktischen Tendenz zum Beamtendienst oder, um mit seinen eignen
Worten zu reden, zum Dienst des Herrn bei einem hinreichenden Auskommen.
„Eine Brüderschaft", sagt Dr. Holtzendorff vollkommen richtig, „welche die
ausgesprochene Tendenz hat, ihren Angehörigen ein zum persönlichen Auskommen
genügendes Amt zu verschaffen, ist dem Staat ebenso gefährlich wie die Thä¬
tigkeit der Jesuiten. Ob man aus dem Boden des Staates für die Idee des
Papstthums oder für eine ganz specifisch confessionelle Richtung anderer Art
thätig ist, scheint dabei ganz gleichgültig, wofern der einzelne Beamte durch
eine kirchliche Organisation im Rücken ermuntert und aufrecht erhalten wird."

Dazukommt, daß es auf eine dauernde Einrichtung des Ordens abgesehen
ist. Kein katholischer Orden hat auf die Dauer seinen rein geistlichen Beruf
zu bewahren vermocht. Der Orden der Rauben Brüder wird dieß ebenso¬
wenig können; denn die Welt und die Kirche lassen sich eben nicht so trennen,
wie man sich einbildet. Wenn die Geistlichkeit noch mehr als bisher für die
Interessen der Brüderschaft Partei nimmt, wenn das höhere Beamtenthum ein¬
sieht, daß ihm durch den Anschluß an eine so fest geschlossene einflußreiche Gesell-
schaft Vortheile geboten werden, so wird es nicht an solchen fehlen, welche
sich zur „dreifältigen Schnur" bekehren.. Wir haben jetzt in den Rauhhäus-
lern eine Gemeine in der Gemeine, ein königliches Priestervolk im preußischen
Volk. Wir werden dann einen Staat im Staate haben. Die Anfänge da¬
von sind schon zu Tage getreten. Die große Mehrzahl der Brüder besteht
aus Halbgebildeten, theologischen Subalternen, entlassnen Handwerksgesellen,
und es ist eine alte Erfahrung, daß der Amtsdünkel in dem Maße zunimmt,
wie die Rangfolge nach unten sich abstuft. Der Mangel an wahrer Bildung wird
ersetzt durch einseitige Schärfe, durch Eifer und Bekehrungssucht. die nicht ansteht,
den wirklich Gebildeten zu meistern, und die sich durchaus nicht vor Conflicten
mit der weltlichen Behörde scheut. Die Rauben Brüder sind zu Aufsehern


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[0102] Rauben Hauses. Sie stellt ferner den Rücktritt frei, aber materielle Interessen, der „von Gott gesegnete Nothpfennig", die Protection des Oberconvictmeisters und vortragenden Raths im Ministerium, sein Avancement, die Rücksicht auf Frau und Kinder wirken bei jedem Bruder auf das Stärkste dem Entschluß, die Gesellschaft zu verlassen, entgegen. Die Brüderschaft kennt kein absolutes Cölibat, aber niemand darf bei Verlust seiner Stellung und Mitgliedschaft heirathen, bevor es ihm der Vorsteher erlaubt, bevor eine Inquisition die Glaubensfestigkeit seiner Erwählten geprüft und in gutem, Stande gefun¬ den hat. Nun können wir nichts dawider haben, daß eine solche Gesellschaft sich constituirt. Jeder muß wissen, was ihm frommt, jeder mag nach seiner Fa^on selig werden. Was wir aber nicht dulden dürfen, ist das Verhältniß des Ordens zum Staat. Die Gefährlichkeit dieses neuen Ordens liegt in seiner durchaus praktischen Tendenz zum Beamtendienst oder, um mit seinen eignen Worten zu reden, zum Dienst des Herrn bei einem hinreichenden Auskommen. „Eine Brüderschaft", sagt Dr. Holtzendorff vollkommen richtig, „welche die ausgesprochene Tendenz hat, ihren Angehörigen ein zum persönlichen Auskommen genügendes Amt zu verschaffen, ist dem Staat ebenso gefährlich wie die Thä¬ tigkeit der Jesuiten. Ob man aus dem Boden des Staates für die Idee des Papstthums oder für eine ganz specifisch confessionelle Richtung anderer Art thätig ist, scheint dabei ganz gleichgültig, wofern der einzelne Beamte durch eine kirchliche Organisation im Rücken ermuntert und aufrecht erhalten wird." Dazukommt, daß es auf eine dauernde Einrichtung des Ordens abgesehen ist. Kein katholischer Orden hat auf die Dauer seinen rein geistlichen Beruf zu bewahren vermocht. Der Orden der Rauben Brüder wird dieß ebenso¬ wenig können; denn die Welt und die Kirche lassen sich eben nicht so trennen, wie man sich einbildet. Wenn die Geistlichkeit noch mehr als bisher für die Interessen der Brüderschaft Partei nimmt, wenn das höhere Beamtenthum ein¬ sieht, daß ihm durch den Anschluß an eine so fest geschlossene einflußreiche Gesell- schaft Vortheile geboten werden, so wird es nicht an solchen fehlen, welche sich zur „dreifältigen Schnur" bekehren.. Wir haben jetzt in den Rauhhäus- lern eine Gemeine in der Gemeine, ein königliches Priestervolk im preußischen Volk. Wir werden dann einen Staat im Staate haben. Die Anfänge da¬ von sind schon zu Tage getreten. Die große Mehrzahl der Brüder besteht aus Halbgebildeten, theologischen Subalternen, entlassnen Handwerksgesellen, und es ist eine alte Erfahrung, daß der Amtsdünkel in dem Maße zunimmt, wie die Rangfolge nach unten sich abstuft. Der Mangel an wahrer Bildung wird ersetzt durch einseitige Schärfe, durch Eifer und Bekehrungssucht. die nicht ansteht, den wirklich Gebildeten zu meistern, und die sich durchaus nicht vor Conflicten mit der weltlichen Behörde scheut. Die Rauben Brüder sind zu Aufsehern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/102>, abgerufen am 22.07.2024.