Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

stellen. Die Inseln sind in unsern hauptsächlichsten Gebirgszügen erhalten,
doch erreichten dieselben entfernt nicht die Höhe von heutzutage, sondern bil¬
deten mehr ein Hügelland, zwischen dem sich Ebenen von geringer Länge und
Breite hinzogen. Ganz Nordirland, der größte Theil von England, beträcht¬
liche Strecken von Portugal, Spanien und Italien, die ganze Westhälfte von
Frankreich, ganz Norddeutschland, Dänemark, Schweden und Finnland, sowie
das gesammte europäische Rußland waren Meeresboden. Die Lombardei
und Venetien bildeten eine große Bucht, Ungarn und die untern Donauländer
ebenfalls. Böhmen war ein gewaltiger Landsee, u. s. w. Nichts aber war
fest und bleibend. Flüsse füllten mit verwittertem Gestein und Sand die
Thalmulden aus, indem sie die Berge abtrugen. Das Meer durchbrach die
ihm gesetzten Dämme, die Binnenseen entleerten ihren Inhalt, durch Niveau-
Veränderungen veranlaßt, ins Meer und legten so ihren Grund mit seinen
Sedimenten trocken, der dann wieder durch andere Revolutionen mit Schlamm-
und Sandfluthen bedeckt wurde. Die dichten Urwälder, welche das Land be¬
kleideten, wurden bei diesen Vorgängen häufig niedergebrochen und nach jenen
Buchten, Seen und Flußdeltas gespült, wo ihre Stämme, Blätter und Früchte
sich zu ungeheuren Massen häuften und, mit Sand und Gestein überschüttet,
allmülig zu dem wurden, was wir Braunkohle nennen.

War das Europa der Molassepcriode beträchtlich kleiner als das heutige,
so lassen die äußerst wenigen tertiären Ablagerungen des transatlantischen
Continents mit Sicherheit erkennen, daß dieser Welttheil sich schon damals
in seiner ganzen Ausdehnung über dem Meeresspiegel befand, ja Gründe,
die sich aus den Tiefenmessungen des atlantischen Oceans ergeben, machen
es wahrscheinlich, daß Amerika damals viel weiter nach Osten reichte.

Wie es endlich mit den Inseln, die zwischen Europa und Amerika liegen,
zu jener Zeit stand, ergibt sich ebenfalls aus dem Vorkommen urweltlicher
Pflanzenablagerungen, und zwar machen dieselben wenigstens wahrscheinlich,
daß diese Inseln an der Verbindung zwischen den beiden Welttheilen Antheil
hatten. Auf Island finden wir zahlreiche Spuren von Braunkohlenlagern,
und ein großer Theil der in denselben vorhandenen Pflanzenreste stimmt ge¬
nau mit den entsprechenden Arten der Flora überein, welche in der Tertiär¬
zeit Europa bedeckte, während die acht Gattungen Nadelholz, denen wir in
jener isländischen Braunkohle begegnen, allesammt in Nordamerikas Nadel¬
wäldern ihre Analoga haben. Weniger ausgiebig für unsere Beweisführung
haben sich die südlichen Inselgruppen, die Azoren, Madera, die Canarien und
Capverden erwiesen. Indeß hat man im Bassalttuff Maderas fossile Pflanzen¬
reste entdeckt. Da dieselben mehr den jetzt dieses Eilandes bekleidenden, als
unsern tertiären gleichen,' so hat man die Zeit, wo sie wuchsen und grünten,
in eine spätere Erdepochc als die Tertiärzeit versetzen wollen. Doch werden


stellen. Die Inseln sind in unsern hauptsächlichsten Gebirgszügen erhalten,
doch erreichten dieselben entfernt nicht die Höhe von heutzutage, sondern bil¬
deten mehr ein Hügelland, zwischen dem sich Ebenen von geringer Länge und
Breite hinzogen. Ganz Nordirland, der größte Theil von England, beträcht¬
liche Strecken von Portugal, Spanien und Italien, die ganze Westhälfte von
Frankreich, ganz Norddeutschland, Dänemark, Schweden und Finnland, sowie
das gesammte europäische Rußland waren Meeresboden. Die Lombardei
und Venetien bildeten eine große Bucht, Ungarn und die untern Donauländer
ebenfalls. Böhmen war ein gewaltiger Landsee, u. s. w. Nichts aber war
fest und bleibend. Flüsse füllten mit verwittertem Gestein und Sand die
Thalmulden aus, indem sie die Berge abtrugen. Das Meer durchbrach die
ihm gesetzten Dämme, die Binnenseen entleerten ihren Inhalt, durch Niveau-
Veränderungen veranlaßt, ins Meer und legten so ihren Grund mit seinen
Sedimenten trocken, der dann wieder durch andere Revolutionen mit Schlamm-
und Sandfluthen bedeckt wurde. Die dichten Urwälder, welche das Land be¬
kleideten, wurden bei diesen Vorgängen häufig niedergebrochen und nach jenen
Buchten, Seen und Flußdeltas gespült, wo ihre Stämme, Blätter und Früchte
sich zu ungeheuren Massen häuften und, mit Sand und Gestein überschüttet,
allmülig zu dem wurden, was wir Braunkohle nennen.

War das Europa der Molassepcriode beträchtlich kleiner als das heutige,
so lassen die äußerst wenigen tertiären Ablagerungen des transatlantischen
Continents mit Sicherheit erkennen, daß dieser Welttheil sich schon damals
in seiner ganzen Ausdehnung über dem Meeresspiegel befand, ja Gründe,
die sich aus den Tiefenmessungen des atlantischen Oceans ergeben, machen
es wahrscheinlich, daß Amerika damals viel weiter nach Osten reichte.

Wie es endlich mit den Inseln, die zwischen Europa und Amerika liegen,
zu jener Zeit stand, ergibt sich ebenfalls aus dem Vorkommen urweltlicher
Pflanzenablagerungen, und zwar machen dieselben wenigstens wahrscheinlich,
daß diese Inseln an der Verbindung zwischen den beiden Welttheilen Antheil
hatten. Auf Island finden wir zahlreiche Spuren von Braunkohlenlagern,
und ein großer Theil der in denselben vorhandenen Pflanzenreste stimmt ge¬
nau mit den entsprechenden Arten der Flora überein, welche in der Tertiär¬
zeit Europa bedeckte, während die acht Gattungen Nadelholz, denen wir in
jener isländischen Braunkohle begegnen, allesammt in Nordamerikas Nadel¬
wäldern ihre Analoga haben. Weniger ausgiebig für unsere Beweisführung
haben sich die südlichen Inselgruppen, die Azoren, Madera, die Canarien und
Capverden erwiesen. Indeß hat man im Bassalttuff Maderas fossile Pflanzen¬
reste entdeckt. Da dieselben mehr den jetzt dieses Eilandes bekleidenden, als
unsern tertiären gleichen,' so hat man die Zeit, wo sie wuchsen und grünten,
in eine spätere Erdepochc als die Tertiärzeit versetzen wollen. Doch werden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0078" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111510"/>
            <p xml:id="ID_219" prev="#ID_218"> stellen. Die Inseln sind in unsern hauptsächlichsten Gebirgszügen erhalten,<lb/>
doch erreichten dieselben entfernt nicht die Höhe von heutzutage, sondern bil¬<lb/>
deten mehr ein Hügelland, zwischen dem sich Ebenen von geringer Länge und<lb/>
Breite hinzogen. Ganz Nordirland, der größte Theil von England, beträcht¬<lb/>
liche Strecken von Portugal, Spanien und Italien, die ganze Westhälfte von<lb/>
Frankreich, ganz Norddeutschland, Dänemark, Schweden und Finnland, sowie<lb/>
das gesammte europäische Rußland waren Meeresboden. Die Lombardei<lb/>
und Venetien bildeten eine große Bucht, Ungarn und die untern Donauländer<lb/>
ebenfalls. Böhmen war ein gewaltiger Landsee, u. s. w. Nichts aber war<lb/>
fest und bleibend. Flüsse füllten mit verwittertem Gestein und Sand die<lb/>
Thalmulden aus, indem sie die Berge abtrugen. Das Meer durchbrach die<lb/>
ihm gesetzten Dämme, die Binnenseen entleerten ihren Inhalt, durch Niveau-<lb/>
Veränderungen veranlaßt, ins Meer und legten so ihren Grund mit seinen<lb/>
Sedimenten trocken, der dann wieder durch andere Revolutionen mit Schlamm-<lb/>
und Sandfluthen bedeckt wurde. Die dichten Urwälder, welche das Land be¬<lb/>
kleideten, wurden bei diesen Vorgängen häufig niedergebrochen und nach jenen<lb/>
Buchten, Seen und Flußdeltas gespült, wo ihre Stämme, Blätter und Früchte<lb/>
sich zu ungeheuren Massen häuften und, mit Sand und Gestein überschüttet,<lb/>
allmülig zu dem wurden, was wir Braunkohle nennen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_220"> War das Europa der Molassepcriode beträchtlich kleiner als das heutige,<lb/>
so lassen die äußerst wenigen tertiären Ablagerungen des transatlantischen<lb/>
Continents mit Sicherheit erkennen, daß dieser Welttheil sich schon damals<lb/>
in seiner ganzen Ausdehnung über dem Meeresspiegel befand, ja Gründe,<lb/>
die sich aus den Tiefenmessungen des atlantischen Oceans ergeben, machen<lb/>
es wahrscheinlich, daß Amerika damals viel weiter nach Osten reichte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_221" next="#ID_222"> Wie es endlich mit den Inseln, die zwischen Europa und Amerika liegen,<lb/>
zu jener Zeit stand, ergibt sich ebenfalls aus dem Vorkommen urweltlicher<lb/>
Pflanzenablagerungen, und zwar machen dieselben wenigstens wahrscheinlich,<lb/>
daß diese Inseln an der Verbindung zwischen den beiden Welttheilen Antheil<lb/>
hatten. Auf Island finden wir zahlreiche Spuren von Braunkohlenlagern,<lb/>
und ein großer Theil der in denselben vorhandenen Pflanzenreste stimmt ge¬<lb/>
nau mit den entsprechenden Arten der Flora überein, welche in der Tertiär¬<lb/>
zeit Europa bedeckte, während die acht Gattungen Nadelholz, denen wir in<lb/>
jener isländischen Braunkohle begegnen, allesammt in Nordamerikas Nadel¬<lb/>
wäldern ihre Analoga haben. Weniger ausgiebig für unsere Beweisführung<lb/>
haben sich die südlichen Inselgruppen, die Azoren, Madera, die Canarien und<lb/>
Capverden erwiesen. Indeß hat man im Bassalttuff Maderas fossile Pflanzen¬<lb/>
reste entdeckt. Da dieselben mehr den jetzt dieses Eilandes bekleidenden, als<lb/>
unsern tertiären gleichen,' so hat man die Zeit, wo sie wuchsen und grünten,<lb/>
in eine spätere Erdepochc als die Tertiärzeit versetzen wollen. Doch werden</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0078] stellen. Die Inseln sind in unsern hauptsächlichsten Gebirgszügen erhalten, doch erreichten dieselben entfernt nicht die Höhe von heutzutage, sondern bil¬ deten mehr ein Hügelland, zwischen dem sich Ebenen von geringer Länge und Breite hinzogen. Ganz Nordirland, der größte Theil von England, beträcht¬ liche Strecken von Portugal, Spanien und Italien, die ganze Westhälfte von Frankreich, ganz Norddeutschland, Dänemark, Schweden und Finnland, sowie das gesammte europäische Rußland waren Meeresboden. Die Lombardei und Venetien bildeten eine große Bucht, Ungarn und die untern Donauländer ebenfalls. Böhmen war ein gewaltiger Landsee, u. s. w. Nichts aber war fest und bleibend. Flüsse füllten mit verwittertem Gestein und Sand die Thalmulden aus, indem sie die Berge abtrugen. Das Meer durchbrach die ihm gesetzten Dämme, die Binnenseen entleerten ihren Inhalt, durch Niveau- Veränderungen veranlaßt, ins Meer und legten so ihren Grund mit seinen Sedimenten trocken, der dann wieder durch andere Revolutionen mit Schlamm- und Sandfluthen bedeckt wurde. Die dichten Urwälder, welche das Land be¬ kleideten, wurden bei diesen Vorgängen häufig niedergebrochen und nach jenen Buchten, Seen und Flußdeltas gespült, wo ihre Stämme, Blätter und Früchte sich zu ungeheuren Massen häuften und, mit Sand und Gestein überschüttet, allmülig zu dem wurden, was wir Braunkohle nennen. War das Europa der Molassepcriode beträchtlich kleiner als das heutige, so lassen die äußerst wenigen tertiären Ablagerungen des transatlantischen Continents mit Sicherheit erkennen, daß dieser Welttheil sich schon damals in seiner ganzen Ausdehnung über dem Meeresspiegel befand, ja Gründe, die sich aus den Tiefenmessungen des atlantischen Oceans ergeben, machen es wahrscheinlich, daß Amerika damals viel weiter nach Osten reichte. Wie es endlich mit den Inseln, die zwischen Europa und Amerika liegen, zu jener Zeit stand, ergibt sich ebenfalls aus dem Vorkommen urweltlicher Pflanzenablagerungen, und zwar machen dieselben wenigstens wahrscheinlich, daß diese Inseln an der Verbindung zwischen den beiden Welttheilen Antheil hatten. Auf Island finden wir zahlreiche Spuren von Braunkohlenlagern, und ein großer Theil der in denselben vorhandenen Pflanzenreste stimmt ge¬ nau mit den entsprechenden Arten der Flora überein, welche in der Tertiär¬ zeit Europa bedeckte, während die acht Gattungen Nadelholz, denen wir in jener isländischen Braunkohle begegnen, allesammt in Nordamerikas Nadel¬ wäldern ihre Analoga haben. Weniger ausgiebig für unsere Beweisführung haben sich die südlichen Inselgruppen, die Azoren, Madera, die Canarien und Capverden erwiesen. Indeß hat man im Bassalttuff Maderas fossile Pflanzen¬ reste entdeckt. Da dieselben mehr den jetzt dieses Eilandes bekleidenden, als unsern tertiären gleichen,' so hat man die Zeit, wo sie wuchsen und grünten, in eine spätere Erdepochc als die Tertiärzeit versetzen wollen. Doch werden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/78
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/78>, abgerufen am 25.08.2024.