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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Charakter der Vegetation bestimmt, und überall erscheinen die als Luftschiffer
oder Seefahrer eingewanderten Pflanzen im Vergleich mit den autochthonen
als Fremdlinge und Sonderlinge. Wie wenig die Meereswellen der Verbrei¬
tung der Pflanzen dienen können, haben die Versuche von Darwin, Berkeley.
Martins und A. gezeigt; von 93 Arten, mit deren Same" dieselben angestellt
wurden, behielten nach sechswöchentlichen Aufenthalt im Meer nur 10. nach
dreimonatlichen nur 7 ihre Keimfähigkeit, alle übrigen verfaulten.*) Es bleibt
somit, wenn die Pflanzengeschlechter der europäischen Braunkohle Abkömmlinge
nordamerikanischrr Stammeltern sind, für die Übersiedelung derselben auf un¬
sern Kontinent nur die Erklärung übrig, daß dieselben durch schrittweise Wan¬
derung, bei welcher die zur Zeit der Fruchtreife herrschenden Westwinde mit¬
gewirkt haben mögen, aus einer festen Landbrücke, über einen Mittelcontinent,
von jenseits des Meeres zu uns gelangt sind. Mit andern Worten: Europa
muß in der Mo l assepc riode mit Nordamerika in Verbindung ge¬
standen haben, der ut lantisch e O ce an durch ein Festland getheilt
gewesen sein.

Darauf deutet außer dem Gesagten auch der gleichartige Charakter der
Küstenfauna derber Welttheile, darauf ferner ein Vergleich der amerikanischen
Jnsectenfauna der Tertiärzeit mit der damaligen europäischen, darauf endlich
auch das Verhältniß der Urbevölkerung Amerikas zu der von Afrika und den
canarischen Inseln hin. Die Aehnlichkeit der Schädel von Karaiben und
brasilischen Guaranis mit denen der canarischen Guanchen und der nord-
"fnkanischeu Berbern, Tuariks und Kopten ist nach Retzius in die Augen
springend.

Es bleibt nun noch übrig, zu untersuchen, wie groß ungefähr das
>n der Molasseperiode zwischen Amerika und Europa sich hinstreckende Festland
oder, wenn man will, wie groß die Insel Atlantis gewesen sein mag. und
"und dafür findet Unger einige Anhaltspunkte, die wenigstens so viel fest¬
stellen, daß die verschwundene Insel eine sehr bedeutende Ausdehnung gehabt
haben muß, ja daß sie größer gewesen sein kann, als das damalige Europa.
Die Beschaffenheit, welche dessen Vegetation hatte, läßt auf ein mildes Klima
schließen, und von diesem wieder kommen wir zu dem Schluß, daß der Welt-
theil damals weder sehr hohe Gebirge noch weit ausgedehnte Ebenen hatte.
Dies wird dann bestätigt durch die ungeheure Ausdehnung und Mächtigkeit
der Braunkohlenlagcr, welche sich nur als Bodensatz von Wasserbecken bil¬
den konnten, und so haben wir uns das Europa der Molasseperiode nicht als
ein großes Festland, sondern als eine Gruppe von Inseln und Halbinseln,
gespalten von Meeresbuchten und größer" oder kleinern Süßwasserseen vorm-



') Vgl, dazu Klöden. Handbuch der Erdkunde. Erster Theil S, 7"7. wo dies weiter
ausgeführt ist.
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Charakter der Vegetation bestimmt, und überall erscheinen die als Luftschiffer
oder Seefahrer eingewanderten Pflanzen im Vergleich mit den autochthonen
als Fremdlinge und Sonderlinge. Wie wenig die Meereswellen der Verbrei¬
tung der Pflanzen dienen können, haben die Versuche von Darwin, Berkeley.
Martins und A. gezeigt; von 93 Arten, mit deren Same» dieselben angestellt
wurden, behielten nach sechswöchentlichen Aufenthalt im Meer nur 10. nach
dreimonatlichen nur 7 ihre Keimfähigkeit, alle übrigen verfaulten.*) Es bleibt
somit, wenn die Pflanzengeschlechter der europäischen Braunkohle Abkömmlinge
nordamerikanischrr Stammeltern sind, für die Übersiedelung derselben auf un¬
sern Kontinent nur die Erklärung übrig, daß dieselben durch schrittweise Wan¬
derung, bei welcher die zur Zeit der Fruchtreife herrschenden Westwinde mit¬
gewirkt haben mögen, aus einer festen Landbrücke, über einen Mittelcontinent,
von jenseits des Meeres zu uns gelangt sind. Mit andern Worten: Europa
muß in der Mo l assepc riode mit Nordamerika in Verbindung ge¬
standen haben, der ut lantisch e O ce an durch ein Festland getheilt
gewesen sein.

Darauf deutet außer dem Gesagten auch der gleichartige Charakter der
Küstenfauna derber Welttheile, darauf ferner ein Vergleich der amerikanischen
Jnsectenfauna der Tertiärzeit mit der damaligen europäischen, darauf endlich
auch das Verhältniß der Urbevölkerung Amerikas zu der von Afrika und den
canarischen Inseln hin. Die Aehnlichkeit der Schädel von Karaiben und
brasilischen Guaranis mit denen der canarischen Guanchen und der nord-
"fnkanischeu Berbern, Tuariks und Kopten ist nach Retzius in die Augen
springend.

Es bleibt nun noch übrig, zu untersuchen, wie groß ungefähr das
>n der Molasseperiode zwischen Amerika und Europa sich hinstreckende Festland
oder, wenn man will, wie groß die Insel Atlantis gewesen sein mag. und
«und dafür findet Unger einige Anhaltspunkte, die wenigstens so viel fest¬
stellen, daß die verschwundene Insel eine sehr bedeutende Ausdehnung gehabt
haben muß, ja daß sie größer gewesen sein kann, als das damalige Europa.
Die Beschaffenheit, welche dessen Vegetation hatte, läßt auf ein mildes Klima
schließen, und von diesem wieder kommen wir zu dem Schluß, daß der Welt-
theil damals weder sehr hohe Gebirge noch weit ausgedehnte Ebenen hatte.
Dies wird dann bestätigt durch die ungeheure Ausdehnung und Mächtigkeit
der Braunkohlenlagcr, welche sich nur als Bodensatz von Wasserbecken bil¬
den konnten, und so haben wir uns das Europa der Molasseperiode nicht als
ein großes Festland, sondern als eine Gruppe von Inseln und Halbinseln,
gespalten von Meeresbuchten und größer« oder kleinern Süßwasserseen vorm-



') Vgl, dazu Klöden. Handbuch der Erdkunde. Erster Theil S, 7»7. wo dies weiter
ausgeführt ist.
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[0077] Charakter der Vegetation bestimmt, und überall erscheinen die als Luftschiffer oder Seefahrer eingewanderten Pflanzen im Vergleich mit den autochthonen als Fremdlinge und Sonderlinge. Wie wenig die Meereswellen der Verbrei¬ tung der Pflanzen dienen können, haben die Versuche von Darwin, Berkeley. Martins und A. gezeigt; von 93 Arten, mit deren Same» dieselben angestellt wurden, behielten nach sechswöchentlichen Aufenthalt im Meer nur 10. nach dreimonatlichen nur 7 ihre Keimfähigkeit, alle übrigen verfaulten.*) Es bleibt somit, wenn die Pflanzengeschlechter der europäischen Braunkohle Abkömmlinge nordamerikanischrr Stammeltern sind, für die Übersiedelung derselben auf un¬ sern Kontinent nur die Erklärung übrig, daß dieselben durch schrittweise Wan¬ derung, bei welcher die zur Zeit der Fruchtreife herrschenden Westwinde mit¬ gewirkt haben mögen, aus einer festen Landbrücke, über einen Mittelcontinent, von jenseits des Meeres zu uns gelangt sind. Mit andern Worten: Europa muß in der Mo l assepc riode mit Nordamerika in Verbindung ge¬ standen haben, der ut lantisch e O ce an durch ein Festland getheilt gewesen sein. Darauf deutet außer dem Gesagten auch der gleichartige Charakter der Küstenfauna derber Welttheile, darauf ferner ein Vergleich der amerikanischen Jnsectenfauna der Tertiärzeit mit der damaligen europäischen, darauf endlich auch das Verhältniß der Urbevölkerung Amerikas zu der von Afrika und den canarischen Inseln hin. Die Aehnlichkeit der Schädel von Karaiben und brasilischen Guaranis mit denen der canarischen Guanchen und der nord- "fnkanischeu Berbern, Tuariks und Kopten ist nach Retzius in die Augen springend. Es bleibt nun noch übrig, zu untersuchen, wie groß ungefähr das >n der Molasseperiode zwischen Amerika und Europa sich hinstreckende Festland oder, wenn man will, wie groß die Insel Atlantis gewesen sein mag. und «und dafür findet Unger einige Anhaltspunkte, die wenigstens so viel fest¬ stellen, daß die verschwundene Insel eine sehr bedeutende Ausdehnung gehabt haben muß, ja daß sie größer gewesen sein kann, als das damalige Europa. Die Beschaffenheit, welche dessen Vegetation hatte, läßt auf ein mildes Klima schließen, und von diesem wieder kommen wir zu dem Schluß, daß der Welt- theil damals weder sehr hohe Gebirge noch weit ausgedehnte Ebenen hatte. Dies wird dann bestätigt durch die ungeheure Ausdehnung und Mächtigkeit der Braunkohlenlagcr, welche sich nur als Bodensatz von Wasserbecken bil¬ den konnten, und so haben wir uns das Europa der Molasseperiode nicht als ein großes Festland, sondern als eine Gruppe von Inseln und Halbinseln, gespalten von Meeresbuchten und größer« oder kleinern Süßwasserseen vorm- ') Vgl, dazu Klöden. Handbuch der Erdkunde. Erster Theil S, 7»7. wo dies weiter ausgeführt ist. 9*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/77>, abgerufen am 25.08.2024.