Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

neben sehr vielen Gewächsen jenes fernen Kontinents nur wenigen Pflanzen-
formen des nachbarlichen Asiens begegnen, berechtigt zu der Annahme, daß
seit der Zeit, wo Europa mit solchen Baumgattungen bedeckt war, durch¬
greifende Veränderungen in der Gestalt und dem Klima dieses Welttheils
sowie in verschiedenen andern Lebensbedingungen seiner Gewächse vorgegangen
sind. Nun können die Pflanzen eines bestimmten Gebiets von demselben
nur auf zweifache Weise Besitz ergriffen haben: entweder sie sind Autochthonen
dieses Landstrichs, oder sie sind durch Einwanderung von anderswoher dahin
gelangt. Dies aus die in den Braunkohlen erhaltene Flora der europäischen
Tertinrzeit oder Mvlasseperiodc angewandt, ist kein Grund zu der Vermuthung,
daß dieselbe auf dem Boden Europas ihren Ursprung genommen habe, und
wenn wir somit anzunehmen haben, daß zwischen beiden Floren jener Erd-
periode, der europäischen und der amerikanischen, ein Zusammenhang stattge¬
funden, so sind wieder nur zwei Fälle denkbar: entweder hat sich unsere Mo-
lasscflora allmälig nach Amerika hinübergezogen, oder dieselbe ist von dem
westlichen Kontinent im Laus der Jahrtausende zu uns herübergewandert.
Der letztere Fall ist der wahrscheinlichere. Wollte man dagegen die Meinung
aufstellen, daß sich ja die pflanzenbildende Schöpferthätlgkeit diesseits wie jen¬
seits des Oceans zu gleicher Zeit in gleichen Formen entfaltet haben konnte,
so würde das sicher gegen das Gesetz der Sparsamkeit verstoßen. Amerika
hat seit der Mvlasseperiodc im Wesentlichen denselben Vegetationscharakter
behalten, die Flora Europas dagegen ist erwiesenermaßen seitdem sehr weit¬
gehenden Veränderungen unterworfen gewesen. Es spricht folglich mehr als
ein Grund dafür, daß die vegetabilische Welt Europas, deren Leichname in
unsern Braunkohleuwcrkeu aufgeschichtet sind, ihr Bildungscentrum fern von
diesen Lagerstätten, und zwar in den Südstaaten der nordamerikanischen Union
hatte, wo in den Wäldern noch jetzt Amber- und Tulpenbäume grünen.

Ist dieser Satz begründet, so wird die Frage, wie die Einwanderung jener
transatlantischen Pflanzen und ihre weite Verbreitung über Europa vor sich
gegangen sein müsse, nicht schwer zu beantworten sein. Sie können entweder
durch Luft- oder Wasserströme, Wind oder Meer, oder aber über eine Brücke
zu uns gelangt sein, die in der Tertiärzeit beide Welttheile verband, später
aber auf irgend eine Weise zerstört wurde und verschwand. Daß Gewächse
in Gestalt von Samen durch Winde und Meeresströmungen von Insel zu
Insel, ja von Kontinent zu Continent verpflanzt werden, daß sie, nachdem
sie im Magen von Zugvögeln weite Wanderungen gemacht, fern von ihrer
Heimnth keimen und Wurzel schlagen, ist eine bekannte Thatsache. Indeß ist,
da zu solcher Einbürgerung aus fremdem Boden eine gute Natur und vor
Allem eine beträchtliche Schmiegsamkeit gehört, die Zahl der auf diese Weise
verbreiteten Bäume sehr gering. ' Nirgends steigt sie so hoch, daß sie den


neben sehr vielen Gewächsen jenes fernen Kontinents nur wenigen Pflanzen-
formen des nachbarlichen Asiens begegnen, berechtigt zu der Annahme, daß
seit der Zeit, wo Europa mit solchen Baumgattungen bedeckt war, durch¬
greifende Veränderungen in der Gestalt und dem Klima dieses Welttheils
sowie in verschiedenen andern Lebensbedingungen seiner Gewächse vorgegangen
sind. Nun können die Pflanzen eines bestimmten Gebiets von demselben
nur auf zweifache Weise Besitz ergriffen haben: entweder sie sind Autochthonen
dieses Landstrichs, oder sie sind durch Einwanderung von anderswoher dahin
gelangt. Dies aus die in den Braunkohlen erhaltene Flora der europäischen
Tertinrzeit oder Mvlasseperiodc angewandt, ist kein Grund zu der Vermuthung,
daß dieselbe auf dem Boden Europas ihren Ursprung genommen habe, und
wenn wir somit anzunehmen haben, daß zwischen beiden Floren jener Erd-
periode, der europäischen und der amerikanischen, ein Zusammenhang stattge¬
funden, so sind wieder nur zwei Fälle denkbar: entweder hat sich unsere Mo-
lasscflora allmälig nach Amerika hinübergezogen, oder dieselbe ist von dem
westlichen Kontinent im Laus der Jahrtausende zu uns herübergewandert.
Der letztere Fall ist der wahrscheinlichere. Wollte man dagegen die Meinung
aufstellen, daß sich ja die pflanzenbildende Schöpferthätlgkeit diesseits wie jen¬
seits des Oceans zu gleicher Zeit in gleichen Formen entfaltet haben konnte,
so würde das sicher gegen das Gesetz der Sparsamkeit verstoßen. Amerika
hat seit der Mvlasseperiodc im Wesentlichen denselben Vegetationscharakter
behalten, die Flora Europas dagegen ist erwiesenermaßen seitdem sehr weit¬
gehenden Veränderungen unterworfen gewesen. Es spricht folglich mehr als
ein Grund dafür, daß die vegetabilische Welt Europas, deren Leichname in
unsern Braunkohleuwcrkeu aufgeschichtet sind, ihr Bildungscentrum fern von
diesen Lagerstätten, und zwar in den Südstaaten der nordamerikanischen Union
hatte, wo in den Wäldern noch jetzt Amber- und Tulpenbäume grünen.

Ist dieser Satz begründet, so wird die Frage, wie die Einwanderung jener
transatlantischen Pflanzen und ihre weite Verbreitung über Europa vor sich
gegangen sein müsse, nicht schwer zu beantworten sein. Sie können entweder
durch Luft- oder Wasserströme, Wind oder Meer, oder aber über eine Brücke
zu uns gelangt sein, die in der Tertiärzeit beide Welttheile verband, später
aber auf irgend eine Weise zerstört wurde und verschwand. Daß Gewächse
in Gestalt von Samen durch Winde und Meeresströmungen von Insel zu
Insel, ja von Kontinent zu Continent verpflanzt werden, daß sie, nachdem
sie im Magen von Zugvögeln weite Wanderungen gemacht, fern von ihrer
Heimnth keimen und Wurzel schlagen, ist eine bekannte Thatsache. Indeß ist,
da zu solcher Einbürgerung aus fremdem Boden eine gute Natur und vor
Allem eine beträchtliche Schmiegsamkeit gehört, die Zahl der auf diese Weise
verbreiteten Bäume sehr gering. ' Nirgends steigt sie so hoch, daß sie den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0076" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111508"/>
            <p xml:id="ID_214" prev="#ID_213"> neben sehr vielen Gewächsen jenes fernen Kontinents nur wenigen Pflanzen-<lb/>
formen des nachbarlichen Asiens begegnen, berechtigt zu der Annahme, daß<lb/>
seit der Zeit, wo Europa mit solchen Baumgattungen bedeckt war, durch¬<lb/>
greifende Veränderungen in der Gestalt und dem Klima dieses Welttheils<lb/>
sowie in verschiedenen andern Lebensbedingungen seiner Gewächse vorgegangen<lb/>
sind. Nun können die Pflanzen eines bestimmten Gebiets von demselben<lb/>
nur auf zweifache Weise Besitz ergriffen haben: entweder sie sind Autochthonen<lb/>
dieses Landstrichs, oder sie sind durch Einwanderung von anderswoher dahin<lb/>
gelangt. Dies aus die in den Braunkohlen erhaltene Flora der europäischen<lb/>
Tertinrzeit oder Mvlasseperiodc angewandt, ist kein Grund zu der Vermuthung,<lb/>
daß dieselbe auf dem Boden Europas ihren Ursprung genommen habe, und<lb/>
wenn wir somit anzunehmen haben, daß zwischen beiden Floren jener Erd-<lb/>
periode, der europäischen und der amerikanischen, ein Zusammenhang stattge¬<lb/>
funden, so sind wieder nur zwei Fälle denkbar: entweder hat sich unsere Mo-<lb/>
lasscflora allmälig nach Amerika hinübergezogen, oder dieselbe ist von dem<lb/>
westlichen Kontinent im Laus der Jahrtausende zu uns herübergewandert.<lb/>
Der letztere Fall ist der wahrscheinlichere. Wollte man dagegen die Meinung<lb/>
aufstellen, daß sich ja die pflanzenbildende Schöpferthätlgkeit diesseits wie jen¬<lb/>
seits des Oceans zu gleicher Zeit in gleichen Formen entfaltet haben konnte,<lb/>
so würde das sicher gegen das Gesetz der Sparsamkeit verstoßen. Amerika<lb/>
hat seit der Mvlasseperiodc im Wesentlichen denselben Vegetationscharakter<lb/>
behalten, die Flora Europas dagegen ist erwiesenermaßen seitdem sehr weit¬<lb/>
gehenden Veränderungen unterworfen gewesen. Es spricht folglich mehr als<lb/>
ein Grund dafür, daß die vegetabilische Welt Europas, deren Leichname in<lb/>
unsern Braunkohleuwcrkeu aufgeschichtet sind, ihr Bildungscentrum fern von<lb/>
diesen Lagerstätten, und zwar in den Südstaaten der nordamerikanischen Union<lb/>
hatte, wo in den Wäldern noch jetzt Amber- und Tulpenbäume grünen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_215" next="#ID_216"> Ist dieser Satz begründet, so wird die Frage, wie die Einwanderung jener<lb/>
transatlantischen Pflanzen und ihre weite Verbreitung über Europa vor sich<lb/>
gegangen sein müsse, nicht schwer zu beantworten sein. Sie können entweder<lb/>
durch Luft- oder Wasserströme, Wind oder Meer, oder aber über eine Brücke<lb/>
zu uns gelangt sein, die in der Tertiärzeit beide Welttheile verband, später<lb/>
aber auf irgend eine Weise zerstört wurde und verschwand. Daß Gewächse<lb/>
in Gestalt von Samen durch Winde und Meeresströmungen von Insel zu<lb/>
Insel, ja von Kontinent zu Continent verpflanzt werden, daß sie, nachdem<lb/>
sie im Magen von Zugvögeln weite Wanderungen gemacht, fern von ihrer<lb/>
Heimnth keimen und Wurzel schlagen, ist eine bekannte Thatsache. Indeß ist,<lb/>
da zu solcher Einbürgerung aus fremdem Boden eine gute Natur und vor<lb/>
Allem eine beträchtliche Schmiegsamkeit gehört, die Zahl der auf diese Weise<lb/>
verbreiteten Bäume sehr gering. ' Nirgends steigt sie so hoch, daß sie den</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0076] neben sehr vielen Gewächsen jenes fernen Kontinents nur wenigen Pflanzen- formen des nachbarlichen Asiens begegnen, berechtigt zu der Annahme, daß seit der Zeit, wo Europa mit solchen Baumgattungen bedeckt war, durch¬ greifende Veränderungen in der Gestalt und dem Klima dieses Welttheils sowie in verschiedenen andern Lebensbedingungen seiner Gewächse vorgegangen sind. Nun können die Pflanzen eines bestimmten Gebiets von demselben nur auf zweifache Weise Besitz ergriffen haben: entweder sie sind Autochthonen dieses Landstrichs, oder sie sind durch Einwanderung von anderswoher dahin gelangt. Dies aus die in den Braunkohlen erhaltene Flora der europäischen Tertinrzeit oder Mvlasseperiodc angewandt, ist kein Grund zu der Vermuthung, daß dieselbe auf dem Boden Europas ihren Ursprung genommen habe, und wenn wir somit anzunehmen haben, daß zwischen beiden Floren jener Erd- periode, der europäischen und der amerikanischen, ein Zusammenhang stattge¬ funden, so sind wieder nur zwei Fälle denkbar: entweder hat sich unsere Mo- lasscflora allmälig nach Amerika hinübergezogen, oder dieselbe ist von dem westlichen Kontinent im Laus der Jahrtausende zu uns herübergewandert. Der letztere Fall ist der wahrscheinlichere. Wollte man dagegen die Meinung aufstellen, daß sich ja die pflanzenbildende Schöpferthätlgkeit diesseits wie jen¬ seits des Oceans zu gleicher Zeit in gleichen Formen entfaltet haben konnte, so würde das sicher gegen das Gesetz der Sparsamkeit verstoßen. Amerika hat seit der Mvlasseperiodc im Wesentlichen denselben Vegetationscharakter behalten, die Flora Europas dagegen ist erwiesenermaßen seitdem sehr weit¬ gehenden Veränderungen unterworfen gewesen. Es spricht folglich mehr als ein Grund dafür, daß die vegetabilische Welt Europas, deren Leichname in unsern Braunkohleuwcrkeu aufgeschichtet sind, ihr Bildungscentrum fern von diesen Lagerstätten, und zwar in den Südstaaten der nordamerikanischen Union hatte, wo in den Wäldern noch jetzt Amber- und Tulpenbäume grünen. Ist dieser Satz begründet, so wird die Frage, wie die Einwanderung jener transatlantischen Pflanzen und ihre weite Verbreitung über Europa vor sich gegangen sein müsse, nicht schwer zu beantworten sein. Sie können entweder durch Luft- oder Wasserströme, Wind oder Meer, oder aber über eine Brücke zu uns gelangt sein, die in der Tertiärzeit beide Welttheile verband, später aber auf irgend eine Weise zerstört wurde und verschwand. Daß Gewächse in Gestalt von Samen durch Winde und Meeresströmungen von Insel zu Insel, ja von Kontinent zu Continent verpflanzt werden, daß sie, nachdem sie im Magen von Zugvögeln weite Wanderungen gemacht, fern von ihrer Heimnth keimen und Wurzel schlagen, ist eine bekannte Thatsache. Indeß ist, da zu solcher Einbürgerung aus fremdem Boden eine gute Natur und vor Allem eine beträchtliche Schmiegsamkeit gehört, die Zahl der auf diese Weise verbreiteten Bäume sehr gering. ' Nirgends steigt sie so hoch, daß sie den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/76
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/76>, abgerufen am 24.08.2024.