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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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im "Timäus" angewiesen ist. hinweMdeuten. Da kommt plötzlich ein
Geolog, sieht sich die Fabel noch einmal an, erinnert sich, was er in den Hie¬
roglyphen der Braunkohlenschachte von der Vorwelt gelesen, vergleicht die
ägyptische Hieroglyphe damit, findet den Schlüssel zu dieser in jenen, den
Schlüssel zu jenen in dieser, und siehe da, aus dem düstern Nebel der Fabel¬
welt hebt sich ihm ein fester wirklicher Kern, aus dem Ocean zwischen der alten
und der neuen Welt taucht, genau an der Stelle, wo sie nach Platons Bericht
versunken, die alte Atlantis empor -- allerdings noch nicht bevölkert, am
wenigsten von einem staatlich geordneten und erobernden Volke, vielleicht, ja
wahrscheinlich sogar, unfähig Menschen zu tragen, aber vollkommen fest und
greifbar, bedeckt mit schönen Wäldern bis hoch in den Norden hinauf und
durchaus geeignet, um sich auf ihr die Hochzeit des jugendlichen Zeus mit der
jugendlichen Here vollzogen zu denken.

Der Zeichendeuter und Wiederentdecker der verschollenen Insel ist Professor
Unger in Wien, dem wir bekanntlich schon manchen bedeutenden Beitrag
zur Kunde der antediluvianischer Lebensgeschichte unseres Erdballs danken, und
der seinen Fund jetzt in einer Abhandlung veröffentlicht hat. welcher wir das
Folgende im Auszug entnehmen.*) Geologen und Botaniker mögen nach¬
forschen, ob in der Schlußfolgerung zwischen Plato und der Braunkohle nicht
^wa ein Mittelglied fehlt oder falsch construirt ist. Für uns genügt es, auf
die Entdeckung aufmerksam zu machen und damit zugleich auf die Dienste hin¬
zuweisen, welche die eine große an der Erziehung der Menschheit zu voll¬
kommener Erkenntniß der Dinge arbeitende Kraft, die Naturforschung, ihrer
Schwester, der Geschichtsforschung, unter Umstanden zu leisten im Stande ist.

Professor Unger beginnt mit einem Blick auf die sogenannte Tertiärzeit
der Erdcntwickelung. die auch als Molasseperiode bezeichnet wird, und deren
Reste wir vorzüglich in den Braunkohlen vor uns haben. Er bemerkt, daß
ein beträchtlicher Theil der in Europa gefundenen Fossilien dieser Art seiner
Structur nach offenbar auf Pflanzengeschlechter hinweist, die gegenwärtig nur
noch in Amerika wild wachsen, und zu denen namentlich Tulpen- und Amber¬
bäume. Robinien, zahlreiche Nußarten und eine große Anzahl von Ahorn-.
Eichen-, Pappel-, Föhren- und Taxusgattungen gehören. Einige von diesen
Ueberbleibseln aller europäischer Wälder stimmen völlig mit noch jetzt lebenden
Bäumen dieser Arten auf dem transatlantischen Festland überein. andere
haben wenigstens hier ihre nächsten Verwandten, und so ist es erlaubt, zu
behaupten, der Charakter unsrer cisatlantischen Braunkohlenslora
sei kein europäischer, sondern ein amerikanischer.

Diese Bemerkung, die um so auffallender ist, als wir in der Braunkohle



') Die verschwundene Insel Atlantis. Wien, Braumüllcr, 1660.
Grenzboten II. 1861.
Y

im „Timäus" angewiesen ist. hinweMdeuten. Da kommt plötzlich ein
Geolog, sieht sich die Fabel noch einmal an, erinnert sich, was er in den Hie¬
roglyphen der Braunkohlenschachte von der Vorwelt gelesen, vergleicht die
ägyptische Hieroglyphe damit, findet den Schlüssel zu dieser in jenen, den
Schlüssel zu jenen in dieser, und siehe da, aus dem düstern Nebel der Fabel¬
welt hebt sich ihm ein fester wirklicher Kern, aus dem Ocean zwischen der alten
und der neuen Welt taucht, genau an der Stelle, wo sie nach Platons Bericht
versunken, die alte Atlantis empor — allerdings noch nicht bevölkert, am
wenigsten von einem staatlich geordneten und erobernden Volke, vielleicht, ja
wahrscheinlich sogar, unfähig Menschen zu tragen, aber vollkommen fest und
greifbar, bedeckt mit schönen Wäldern bis hoch in den Norden hinauf und
durchaus geeignet, um sich auf ihr die Hochzeit des jugendlichen Zeus mit der
jugendlichen Here vollzogen zu denken.

Der Zeichendeuter und Wiederentdecker der verschollenen Insel ist Professor
Unger in Wien, dem wir bekanntlich schon manchen bedeutenden Beitrag
zur Kunde der antediluvianischer Lebensgeschichte unseres Erdballs danken, und
der seinen Fund jetzt in einer Abhandlung veröffentlicht hat. welcher wir das
Folgende im Auszug entnehmen.*) Geologen und Botaniker mögen nach¬
forschen, ob in der Schlußfolgerung zwischen Plato und der Braunkohle nicht
^wa ein Mittelglied fehlt oder falsch construirt ist. Für uns genügt es, auf
die Entdeckung aufmerksam zu machen und damit zugleich auf die Dienste hin¬
zuweisen, welche die eine große an der Erziehung der Menschheit zu voll¬
kommener Erkenntniß der Dinge arbeitende Kraft, die Naturforschung, ihrer
Schwester, der Geschichtsforschung, unter Umstanden zu leisten im Stande ist.

Professor Unger beginnt mit einem Blick auf die sogenannte Tertiärzeit
der Erdcntwickelung. die auch als Molasseperiode bezeichnet wird, und deren
Reste wir vorzüglich in den Braunkohlen vor uns haben. Er bemerkt, daß
ein beträchtlicher Theil der in Europa gefundenen Fossilien dieser Art seiner
Structur nach offenbar auf Pflanzengeschlechter hinweist, die gegenwärtig nur
noch in Amerika wild wachsen, und zu denen namentlich Tulpen- und Amber¬
bäume. Robinien, zahlreiche Nußarten und eine große Anzahl von Ahorn-.
Eichen-, Pappel-, Föhren- und Taxusgattungen gehören. Einige von diesen
Ueberbleibseln aller europäischer Wälder stimmen völlig mit noch jetzt lebenden
Bäumen dieser Arten auf dem transatlantischen Festland überein. andere
haben wenigstens hier ihre nächsten Verwandten, und so ist es erlaubt, zu
behaupten, der Charakter unsrer cisatlantischen Braunkohlenslora
sei kein europäischer, sondern ein amerikanischer.

Diese Bemerkung, die um so auffallender ist, als wir in der Braunkohle



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Grenzboten II. 1861.
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[0075] im „Timäus" angewiesen ist. hinweMdeuten. Da kommt plötzlich ein Geolog, sieht sich die Fabel noch einmal an, erinnert sich, was er in den Hie¬ roglyphen der Braunkohlenschachte von der Vorwelt gelesen, vergleicht die ägyptische Hieroglyphe damit, findet den Schlüssel zu dieser in jenen, den Schlüssel zu jenen in dieser, und siehe da, aus dem düstern Nebel der Fabel¬ welt hebt sich ihm ein fester wirklicher Kern, aus dem Ocean zwischen der alten und der neuen Welt taucht, genau an der Stelle, wo sie nach Platons Bericht versunken, die alte Atlantis empor — allerdings noch nicht bevölkert, am wenigsten von einem staatlich geordneten und erobernden Volke, vielleicht, ja wahrscheinlich sogar, unfähig Menschen zu tragen, aber vollkommen fest und greifbar, bedeckt mit schönen Wäldern bis hoch in den Norden hinauf und durchaus geeignet, um sich auf ihr die Hochzeit des jugendlichen Zeus mit der jugendlichen Here vollzogen zu denken. Der Zeichendeuter und Wiederentdecker der verschollenen Insel ist Professor Unger in Wien, dem wir bekanntlich schon manchen bedeutenden Beitrag zur Kunde der antediluvianischer Lebensgeschichte unseres Erdballs danken, und der seinen Fund jetzt in einer Abhandlung veröffentlicht hat. welcher wir das Folgende im Auszug entnehmen.*) Geologen und Botaniker mögen nach¬ forschen, ob in der Schlußfolgerung zwischen Plato und der Braunkohle nicht ^wa ein Mittelglied fehlt oder falsch construirt ist. Für uns genügt es, auf die Entdeckung aufmerksam zu machen und damit zugleich auf die Dienste hin¬ zuweisen, welche die eine große an der Erziehung der Menschheit zu voll¬ kommener Erkenntniß der Dinge arbeitende Kraft, die Naturforschung, ihrer Schwester, der Geschichtsforschung, unter Umstanden zu leisten im Stande ist. Professor Unger beginnt mit einem Blick auf die sogenannte Tertiärzeit der Erdcntwickelung. die auch als Molasseperiode bezeichnet wird, und deren Reste wir vorzüglich in den Braunkohlen vor uns haben. Er bemerkt, daß ein beträchtlicher Theil der in Europa gefundenen Fossilien dieser Art seiner Structur nach offenbar auf Pflanzengeschlechter hinweist, die gegenwärtig nur noch in Amerika wild wachsen, und zu denen namentlich Tulpen- und Amber¬ bäume. Robinien, zahlreiche Nußarten und eine große Anzahl von Ahorn-. Eichen-, Pappel-, Föhren- und Taxusgattungen gehören. Einige von diesen Ueberbleibseln aller europäischer Wälder stimmen völlig mit noch jetzt lebenden Bäumen dieser Arten auf dem transatlantischen Festland überein. andere haben wenigstens hier ihre nächsten Verwandten, und so ist es erlaubt, zu behaupten, der Charakter unsrer cisatlantischen Braunkohlenslora sei kein europäischer, sondern ein amerikanischer. Diese Bemerkung, die um so auffallender ist, als wir in der Braunkohle ') Die verschwundene Insel Atlantis. Wien, Braumüllcr, 1660. Grenzboten II. 1861. Y

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/75>, abgerufen am 22.07.2024.