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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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war. ist bekannt; denn Solon gestaltete aus ihr kurz vor seinem Tode ein
Gedicht, in welchem er den Stolz und die Vaterlandsliebe seiner Mitbürger
zu wecken suchte, und wie die großen Panathenäen die Erinnerung an den
Sieg der Olympier über die Niesenwelt feierten, so waren die kleinen Pana¬
thenäen bestimmt, das Andenken eines siegreichen Kampfes zu erhalten, den
die Athener unter dem Schutz ihrer Hauptgöttin mit den Atlanten durchgefoch-
ten haben sollten.

Weniger einig sind die Gelehrten über den geschichtlichen Werth der Sage.
Bunsen sieht den echten Kern derselben in dem Namen Nimrods und seinem
Eroberungszuge. Nimrod ist ihm einer der Turanier oder Urscythcn, die durch
Afrika nanu Spanien vordrangen und spater sich wieder zurückwendeten, die
verschwundene Insel Atlantis aber gilt ihm als "reine Erdichtung, welche in
der Voraussetzung oder mweltlichcn Kunde von einer gewaltsamen Trennung
der beiden Welttheile bei Gibraltar ihre Veranlassung hat."

Bailly meint, daß die Atlanten aus Asien, und zwar vom Kaukasus nach
den Mittclmeerlnndern gekommen seien.

Preller betrachtet die Atlantis als Veränderung und Erweiterung der ur¬
alten Mythe von Atlas und den Gärten der Hesperiden, die man sich als in
dem fernen westlichen Weltmeer hausend vorstellte. "Hier war ein Eiland, zu
dem kein Schiffer vordrang, wo die ambrosischen Quellen strömten bei dem
Lager, auf dem Zeus zuerst bei Here geruht, und wo die segensprossende
Erde den Göttern ihre herrlichsten Gaben spendete. Mit der Zeit veränderten
sich diese Ueberlieferungen vorzüglich dadurch, daß man ihnen eine geographische
Wendung gab. Lauge waren die Säule" des Herakles für die Griechen das
äußerste Ende der Schifffahrt gewesen, da drangen zuerst die Saniicr und
Phvläer darüber hinaus, und es eröffnete sich eine ungeahnte Ferne, wo
die Phantasie von Neuem die reichlichste Nahrung fand."

Humboldt hält die Sage von der Atlantis für eine Erinnerung an Plu¬
tonische Umwälzungen, die im Mittelmeer in historischer Zeit vor sich gegangen
und von der Phantasie nur vergrößert worden seien, und schließt seine Be¬
trachtung mit folgenden Worten: "Die Mythen von der alten westlichen Be¬
grenzung der bekannten Welt können also einen gewissen geschichtlichen Grund
haben. Eine Völkerwanderung von Westen nach Osten, deren Andenken in
Aegypten bewahrt, von dort nach Athen verpflanzt und hier durch religiöse
Feste gefeiert wurde, kann Zeiten angehören, d>e weit vor dem Einbruch der
Perser in Mauritanien liegen, von dem Snllust die Spuren entdeckt hat, und
welcher für uns ebenfalls in Dunkel gehüllt ist."

Wir sehen, keiner dieser Gelehrte" erkennt die Existenz einer Insel Atlan¬
tis, wie sie Platons Aegypter nach seinen Büchern beschreibt, an. Für alle
ist sie ein Erzeugnis! der Phantasie. Alle versuchen sie von der Stelle, die ihr


war. ist bekannt; denn Solon gestaltete aus ihr kurz vor seinem Tode ein
Gedicht, in welchem er den Stolz und die Vaterlandsliebe seiner Mitbürger
zu wecken suchte, und wie die großen Panathenäen die Erinnerung an den
Sieg der Olympier über die Niesenwelt feierten, so waren die kleinen Pana¬
thenäen bestimmt, das Andenken eines siegreichen Kampfes zu erhalten, den
die Athener unter dem Schutz ihrer Hauptgöttin mit den Atlanten durchgefoch-
ten haben sollten.

Weniger einig sind die Gelehrten über den geschichtlichen Werth der Sage.
Bunsen sieht den echten Kern derselben in dem Namen Nimrods und seinem
Eroberungszuge. Nimrod ist ihm einer der Turanier oder Urscythcn, die durch
Afrika nanu Spanien vordrangen und spater sich wieder zurückwendeten, die
verschwundene Insel Atlantis aber gilt ihm als „reine Erdichtung, welche in
der Voraussetzung oder mweltlichcn Kunde von einer gewaltsamen Trennung
der beiden Welttheile bei Gibraltar ihre Veranlassung hat."

Bailly meint, daß die Atlanten aus Asien, und zwar vom Kaukasus nach
den Mittclmeerlnndern gekommen seien.

Preller betrachtet die Atlantis als Veränderung und Erweiterung der ur¬
alten Mythe von Atlas und den Gärten der Hesperiden, die man sich als in
dem fernen westlichen Weltmeer hausend vorstellte. „Hier war ein Eiland, zu
dem kein Schiffer vordrang, wo die ambrosischen Quellen strömten bei dem
Lager, auf dem Zeus zuerst bei Here geruht, und wo die segensprossende
Erde den Göttern ihre herrlichsten Gaben spendete. Mit der Zeit veränderten
sich diese Ueberlieferungen vorzüglich dadurch, daß man ihnen eine geographische
Wendung gab. Lauge waren die Säule» des Herakles für die Griechen das
äußerste Ende der Schifffahrt gewesen, da drangen zuerst die Saniicr und
Phvläer darüber hinaus, und es eröffnete sich eine ungeahnte Ferne, wo
die Phantasie von Neuem die reichlichste Nahrung fand."

Humboldt hält die Sage von der Atlantis für eine Erinnerung an Plu¬
tonische Umwälzungen, die im Mittelmeer in historischer Zeit vor sich gegangen
und von der Phantasie nur vergrößert worden seien, und schließt seine Be¬
trachtung mit folgenden Worten: „Die Mythen von der alten westlichen Be¬
grenzung der bekannten Welt können also einen gewissen geschichtlichen Grund
haben. Eine Völkerwanderung von Westen nach Osten, deren Andenken in
Aegypten bewahrt, von dort nach Athen verpflanzt und hier durch religiöse
Feste gefeiert wurde, kann Zeiten angehören, d>e weit vor dem Einbruch der
Perser in Mauritanien liegen, von dem Snllust die Spuren entdeckt hat, und
welcher für uns ebenfalls in Dunkel gehüllt ist."

Wir sehen, keiner dieser Gelehrte» erkennt die Existenz einer Insel Atlan¬
tis, wie sie Platons Aegypter nach seinen Büchern beschreibt, an. Für alle
ist sie ein Erzeugnis! der Phantasie. Alle versuchen sie von der Stelle, die ihr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/74>, abgerufen am 22.07.2024.