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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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riums zu bekennen, dessen Absichten sich noch gar nicht deutlich ausgesprochen
hatten. Jetzt hat es seine Probejahre gemacht und es hat sich wenigstens
soviel ergeben, daß weder in den innern noch in den auswärtigen Angelegen¬
heiten seine Politik den Eindruck der Konsequenz macht. Wir wählen absicht¬
lich diesen milden Ausdruck, weil wir die Möglichkeit nicht bestreiten wollen,
daß es trotzdem ganz insgeheim einen consequenten Plan verfolgt. Für die
Wähler ist das gleichgiltig; denn sie können nicht nach unbestimmten Möglich¬
keiten urtheilen: Candidaten zu wählen, welche sich ausschließlich als ministe¬
riell bekennen, heißt nichts Anderes, als sein Bürgerrecht zu Gunsten einer
unbekannten Macht abdanken, die weder für ihre Einsicht noch für ihre Ent¬
schlossenheit irgend welche Garantien gegeben hat.

Wir billigen daher die Aufstellung eines Wahlprogramms, welches sich
als unabhängig vom Ministerium ausspricht, und indem wir uns vorbehalten
die einzelnen Punkte desselben zu prüfen, erklären wir uns im Allgemeinen
mit den Grundsätzen desselben einverstanden.

Die Aufgabe Preußens ist eine doppelte. Im Innern hat es die Reste
des Mittelalters zu überwinden, die erst in neuster Zeit durch ein künstliches
Flickwerk scheinbar restaurirt worden sind. Es hat die Aufgabe mit der Adels¬
herrschaft ein Ende zu machen. Der Liberalismus ist nicht gegen das König¬
thum gerichtet, sondern gegen das politische Uebergewicht der Aristokratie. Die
socialen Vorzüge des Adels, die immer noch sehr wichtig bleiben, sollen nicht
angetastet werden, weil sie auf der Natur der Dinge beruhen: seine politischen
Vorrechte dagegen sollen aufgehoben werden, und sie können es, weil sie ganz
künstlicher Art sind. Preußen beruht seinem eigentlichen Leben nach auf bür¬
gerlichen Grundsätzen; der Adel muß. politisch betrachtet, in das Bürgerthum
aufgehen, und es ist ihm unbenommen, innerhalb desselben die Vortheile der
Meinung, der Erziehung, des innern Zusammenhangs der Geschlechter u. s. w.
nach Belieben geltend zu machen. Es ist vollkommen richtig, wenn das neue
Programm seine Angriffe hauptsächlich gegen das Herrenhaus und gegen die
Kreistage richtet, jene neumodischen politischen Institute, durch welche die
Adelsherrschaft im Staat künstlich aufrecht gehalten werden soll. Wir finden es auch
vollkommen gerechtfertigt, wenn dem neuen Project, bei Gelegenheit der Hul-
digungseierlichkeiten die alten Stände wieder hervorzusuchen, ein ganz ernst¬
hafter Protest entgegengesetzt wird.

Dies ist die eine Aufgabe Preußens; die andere nicht minder wichtige
ist die Festsetzung seiner Stellung in Deutschland. Preußens unfertige geo¬
graphische Lage ist für die preußischen Staatsbürger für den Augenblick eine
große Last, denn sie macht die Ueberspannung der Staatskräste zu militärischen
Zwecken nothwendig; sie ist aber für das übrige Deutschland ein Gewinn,
denn sie ist die einzige Basis, auf welche der Einheitsgedanke zu rechnen hat.
Den Gedanken an Preußens Pflicht und Recht in Deutschland zum lebendigen


es-

riums zu bekennen, dessen Absichten sich noch gar nicht deutlich ausgesprochen
hatten. Jetzt hat es seine Probejahre gemacht und es hat sich wenigstens
soviel ergeben, daß weder in den innern noch in den auswärtigen Angelegen¬
heiten seine Politik den Eindruck der Konsequenz macht. Wir wählen absicht¬
lich diesen milden Ausdruck, weil wir die Möglichkeit nicht bestreiten wollen,
daß es trotzdem ganz insgeheim einen consequenten Plan verfolgt. Für die
Wähler ist das gleichgiltig; denn sie können nicht nach unbestimmten Möglich¬
keiten urtheilen: Candidaten zu wählen, welche sich ausschließlich als ministe¬
riell bekennen, heißt nichts Anderes, als sein Bürgerrecht zu Gunsten einer
unbekannten Macht abdanken, die weder für ihre Einsicht noch für ihre Ent¬
schlossenheit irgend welche Garantien gegeben hat.

Wir billigen daher die Aufstellung eines Wahlprogramms, welches sich
als unabhängig vom Ministerium ausspricht, und indem wir uns vorbehalten
die einzelnen Punkte desselben zu prüfen, erklären wir uns im Allgemeinen
mit den Grundsätzen desselben einverstanden.

Die Aufgabe Preußens ist eine doppelte. Im Innern hat es die Reste
des Mittelalters zu überwinden, die erst in neuster Zeit durch ein künstliches
Flickwerk scheinbar restaurirt worden sind. Es hat die Aufgabe mit der Adels¬
herrschaft ein Ende zu machen. Der Liberalismus ist nicht gegen das König¬
thum gerichtet, sondern gegen das politische Uebergewicht der Aristokratie. Die
socialen Vorzüge des Adels, die immer noch sehr wichtig bleiben, sollen nicht
angetastet werden, weil sie auf der Natur der Dinge beruhen: seine politischen
Vorrechte dagegen sollen aufgehoben werden, und sie können es, weil sie ganz
künstlicher Art sind. Preußen beruht seinem eigentlichen Leben nach auf bür¬
gerlichen Grundsätzen; der Adel muß. politisch betrachtet, in das Bürgerthum
aufgehen, und es ist ihm unbenommen, innerhalb desselben die Vortheile der
Meinung, der Erziehung, des innern Zusammenhangs der Geschlechter u. s. w.
nach Belieben geltend zu machen. Es ist vollkommen richtig, wenn das neue
Programm seine Angriffe hauptsächlich gegen das Herrenhaus und gegen die
Kreistage richtet, jene neumodischen politischen Institute, durch welche die
Adelsherrschaft im Staat künstlich aufrecht gehalten werden soll. Wir finden es auch
vollkommen gerechtfertigt, wenn dem neuen Project, bei Gelegenheit der Hul-
digungseierlichkeiten die alten Stände wieder hervorzusuchen, ein ganz ernst¬
hafter Protest entgegengesetzt wird.

Dies ist die eine Aufgabe Preußens; die andere nicht minder wichtige
ist die Festsetzung seiner Stellung in Deutschland. Preußens unfertige geo¬
graphische Lage ist für die preußischen Staatsbürger für den Augenblick eine
große Last, denn sie macht die Ueberspannung der Staatskräste zu militärischen
Zwecken nothwendig; sie ist aber für das übrige Deutschland ein Gewinn,
denn sie ist die einzige Basis, auf welche der Einheitsgedanke zu rechnen hat.
Den Gedanken an Preußens Pflicht und Recht in Deutschland zum lebendigen


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[0525] riums zu bekennen, dessen Absichten sich noch gar nicht deutlich ausgesprochen hatten. Jetzt hat es seine Probejahre gemacht und es hat sich wenigstens soviel ergeben, daß weder in den innern noch in den auswärtigen Angelegen¬ heiten seine Politik den Eindruck der Konsequenz macht. Wir wählen absicht¬ lich diesen milden Ausdruck, weil wir die Möglichkeit nicht bestreiten wollen, daß es trotzdem ganz insgeheim einen consequenten Plan verfolgt. Für die Wähler ist das gleichgiltig; denn sie können nicht nach unbestimmten Möglich¬ keiten urtheilen: Candidaten zu wählen, welche sich ausschließlich als ministe¬ riell bekennen, heißt nichts Anderes, als sein Bürgerrecht zu Gunsten einer unbekannten Macht abdanken, die weder für ihre Einsicht noch für ihre Ent¬ schlossenheit irgend welche Garantien gegeben hat. Wir billigen daher die Aufstellung eines Wahlprogramms, welches sich als unabhängig vom Ministerium ausspricht, und indem wir uns vorbehalten die einzelnen Punkte desselben zu prüfen, erklären wir uns im Allgemeinen mit den Grundsätzen desselben einverstanden. Die Aufgabe Preußens ist eine doppelte. Im Innern hat es die Reste des Mittelalters zu überwinden, die erst in neuster Zeit durch ein künstliches Flickwerk scheinbar restaurirt worden sind. Es hat die Aufgabe mit der Adels¬ herrschaft ein Ende zu machen. Der Liberalismus ist nicht gegen das König¬ thum gerichtet, sondern gegen das politische Uebergewicht der Aristokratie. Die socialen Vorzüge des Adels, die immer noch sehr wichtig bleiben, sollen nicht angetastet werden, weil sie auf der Natur der Dinge beruhen: seine politischen Vorrechte dagegen sollen aufgehoben werden, und sie können es, weil sie ganz künstlicher Art sind. Preußen beruht seinem eigentlichen Leben nach auf bür¬ gerlichen Grundsätzen; der Adel muß. politisch betrachtet, in das Bürgerthum aufgehen, und es ist ihm unbenommen, innerhalb desselben die Vortheile der Meinung, der Erziehung, des innern Zusammenhangs der Geschlechter u. s. w. nach Belieben geltend zu machen. Es ist vollkommen richtig, wenn das neue Programm seine Angriffe hauptsächlich gegen das Herrenhaus und gegen die Kreistage richtet, jene neumodischen politischen Institute, durch welche die Adelsherrschaft im Staat künstlich aufrecht gehalten werden soll. Wir finden es auch vollkommen gerechtfertigt, wenn dem neuen Project, bei Gelegenheit der Hul- digungseierlichkeiten die alten Stände wieder hervorzusuchen, ein ganz ernst¬ hafter Protest entgegengesetzt wird. Dies ist die eine Aufgabe Preußens; die andere nicht minder wichtige ist die Festsetzung seiner Stellung in Deutschland. Preußens unfertige geo¬ graphische Lage ist für die preußischen Staatsbürger für den Augenblick eine große Last, denn sie macht die Ueberspannung der Staatskräste zu militärischen Zwecken nothwendig; sie ist aber für das übrige Deutschland ein Gewinn, denn sie ist die einzige Basis, auf welche der Einheitsgedanke zu rechnen hat. Den Gedanken an Preußens Pflicht und Recht in Deutschland zum lebendigen es-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/525>, abgerufen am 01.07.2024.