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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Gefühl im preußischen Volte zu maciini, ist eine nicht minder wichtige Auf¬
gabe als die Bekämpfung der feudalen Partei.

Diese beiden Aufgaben gehn in den meisten Fällen Hand in Hand. Es
gibt kein besseres Mittel, in Deutschland "moralische Eroberungen" zu machen,
als wenn wir unsere häuslichen Angelegenheiten in Ordnung bringen. Aber
es gibt auch einzelne Fülle, in denen man sich sehr sorgfältig hüten muß. in
der hitzigen Verfolgung des einen Ziels das andere aus den Augen zu
verlieren: die Befestigung unserer Stellung in Deutschland hängt von der
wirklichen Macht und dem Credit unseres Staats ab; beides darf unter keinen
Umständen auch nur für den Augenblick erschüttert werden. Die Nothwendig¬
keit einer solchen Rücksicht begreift man freilich besser auf der preußischen
Grenze als in Berlin -- eben darum ist es zweckmäßig sie von der preu¬
ßischen Grenze aus in Erinnerung zu bringen.

Es ist von den Organen der neuen Fortschrittspartei anerkannt worden,
daß in Bezug auf die Principien kein Gegensatz stattfindet; der Gegensatz ist
anderswo zu suchen.

"In weit höherem Grade", sagt die National-Zeitung Ur. 267. "als bei
den Engländern und Franzosen, stützt sich ver Liberalismus des Bürgerstandes
aus die Bundesgenossenschaft der Gelehrten; dieser Bund hat einem Theil der
Liberalen in ganz Deutschland einen Stempel, der hoffentlich immer mehr ver¬
schwinden wird, aufgedrückt; aus ihm ist die politische Partei hervorgegangen,
welche sich nicht gern die gothaische nennen hört. Die Gelehrten sind aber
überall Männer, welche zwar viel denke" und sprechen, welche indeß wenig
wollen, und deshalb als politische Führer nur mit Discretion zu gebrau¬
chen sind."

In wessen Namen spricht die Nationalzeitnng so? -- Das vollständige
Verzeichnis^ der Unterschriften ist noch nicht erschienen; unter den 8--10 Na¬
men , welche bisher bekannt geworden sind, befinden sich nicht weniger als 5
Gelehrte! Die Professoren Mo in in sen und Virchow, die Doctoren Zabel,
Lindener (den fünften haben wir vergessen) erklären: daß die Gelehrten
überall Männer sind, welche zwar viel denken und sprechen, in¬
deß wenigwollen!! --

"Wie der gelehrte Liberalismus", setzt die Nationalzeitung hinzu, "sich im
Leben ausnimmt, hat unser bisheriges Abgeordnetenhaus gezeigt."

Halt! -- Unsere gegenwärtige Majorität eine Majorität von Gelehrten?
Vincke. Carlowitz u. s. w., Gelehrte? Mommsen und Virchow keine Gelehrte?
Soviel uns erinnerlich, zählt das gesammte Abgeordnete Haus nicht viel mehr
Gelehrte von Profession in seiner Mitte, als das kleine Programm der Fort-
schritts-Partei. -- Doch hören wir weiter:

"Seine Grundsätze für den Ausbau des Rechtsstaats sind allenthalben
fertig; die Fortschrittspartei hat ihnen nichts hinzuzusetzen und ist sich bewußt,
daß es für drei Sessionen Arbeit genug ist. wenn alles in Angriff genommen


Gefühl im preußischen Volte zu maciini, ist eine nicht minder wichtige Auf¬
gabe als die Bekämpfung der feudalen Partei.

Diese beiden Aufgaben gehn in den meisten Fällen Hand in Hand. Es
gibt kein besseres Mittel, in Deutschland „moralische Eroberungen" zu machen,
als wenn wir unsere häuslichen Angelegenheiten in Ordnung bringen. Aber
es gibt auch einzelne Fülle, in denen man sich sehr sorgfältig hüten muß. in
der hitzigen Verfolgung des einen Ziels das andere aus den Augen zu
verlieren: die Befestigung unserer Stellung in Deutschland hängt von der
wirklichen Macht und dem Credit unseres Staats ab; beides darf unter keinen
Umständen auch nur für den Augenblick erschüttert werden. Die Nothwendig¬
keit einer solchen Rücksicht begreift man freilich besser auf der preußischen
Grenze als in Berlin — eben darum ist es zweckmäßig sie von der preu¬
ßischen Grenze aus in Erinnerung zu bringen.

Es ist von den Organen der neuen Fortschrittspartei anerkannt worden,
daß in Bezug auf die Principien kein Gegensatz stattfindet; der Gegensatz ist
anderswo zu suchen.

„In weit höherem Grade", sagt die National-Zeitung Ur. 267. „als bei
den Engländern und Franzosen, stützt sich ver Liberalismus des Bürgerstandes
aus die Bundesgenossenschaft der Gelehrten; dieser Bund hat einem Theil der
Liberalen in ganz Deutschland einen Stempel, der hoffentlich immer mehr ver¬
schwinden wird, aufgedrückt; aus ihm ist die politische Partei hervorgegangen,
welche sich nicht gern die gothaische nennen hört. Die Gelehrten sind aber
überall Männer, welche zwar viel denke» und sprechen, welche indeß wenig
wollen, und deshalb als politische Führer nur mit Discretion zu gebrau¬
chen sind."

In wessen Namen spricht die Nationalzeitnng so? — Das vollständige
Verzeichnis^ der Unterschriften ist noch nicht erschienen; unter den 8—10 Na¬
men , welche bisher bekannt geworden sind, befinden sich nicht weniger als 5
Gelehrte! Die Professoren Mo in in sen und Virchow, die Doctoren Zabel,
Lindener (den fünften haben wir vergessen) erklären: daß die Gelehrten
überall Männer sind, welche zwar viel denken und sprechen, in¬
deß wenigwollen!! —

„Wie der gelehrte Liberalismus", setzt die Nationalzeitung hinzu, „sich im
Leben ausnimmt, hat unser bisheriges Abgeordnetenhaus gezeigt."

Halt! — Unsere gegenwärtige Majorität eine Majorität von Gelehrten?
Vincke. Carlowitz u. s. w., Gelehrte? Mommsen und Virchow keine Gelehrte?
Soviel uns erinnerlich, zählt das gesammte Abgeordnete Haus nicht viel mehr
Gelehrte von Profession in seiner Mitte, als das kleine Programm der Fort-
schritts-Partei. — Doch hören wir weiter:

„Seine Grundsätze für den Ausbau des Rechtsstaats sind allenthalben
fertig; die Fortschrittspartei hat ihnen nichts hinzuzusetzen und ist sich bewußt,
daß es für drei Sessionen Arbeit genug ist. wenn alles in Angriff genommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/526>, abgerufen am 02.07.2024.