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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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z. B. in Betreff des Verhältnisses von Wollen und Können und der Begriffe
von Mein und Dein offenbarte, so daß es in letzterer Beziehung fast schien,
als sei bei seiner Erzeugung das Gewissen vergessen worden. Um so voller
und großartiger war bei ihm die Phantasie angelegt -- für ihn ein Trost,
für die zuschauenden Nachbarn ein Anlaß zur Heiterkeit. Je mehr er von
seinem Besitz einbüßte, desto mehr wuchs sein Selbstgefühl, desto lebendiger
wurde in ihm die Empfindung, ein Mann zu sein, der zu Großem geboren
sei. Er war eigentlich von der Vorsehung dazu bestimmt, für den oben er-
wähnten südlichen Nachbar Handschuhe zu machen, wie Vater Sören, und ihm
Pferde zu züchten, Heringe und Butter zu liefern, wie dieser. Aber davon
konnte bei einem so stark entwickelten Selbstgefühl nicht wol mehr die
Rede sein.

Um ein großer Mann zu sein, muß der, welchen das Schicksal klein ge¬
schaffen, hohe Absätze an den Stiefeln tragen. Ferner empfiehlt die Erfah¬
rung als kürzesten Weg zur Größe, unter die Demokraten zu gehen. Ferner
ist dazu jener Sinn erforderlich, der, wenn das Eigne zur Größe nicht langt,
ohne viel Besinnen sich Fremdes miegt. Was sonst noch mangelt, ersetzt man
durch die Einbildung. Nach diesem Recept verfuhr Sörensen Gernegroß.

In Kopenhagen war in den dreißiger Jahren oder etwas früher eine ge¬
lehrte Schusterwerkstatt entstanden, welche allen Sörensen die Stiefeln mit je¬
nen Absätzen versah, die große Männer machen. Die Werkstatt führte, wenn
wir uns recht erinnern, die Firma "Zur patriotischen Propaganda für Alt-
Dünemark." Die Absätze waren aus dem Pergament jener Chroniken aus
Dänemarks großen Zeit gebaut, die Gevatter Sören in seinen alten Tagen
zu studiren begonnen, und ging sich's nicht gut auf ihnen, so stelzte sich's desto
besser. Sörensen ließ sich ein Paar davon geben, empfand sofort mit Wonne-
geriesel in allen Adern, wie groß er geworden, und ließ sich von da an von
geringen Leuten gern Herr nennen.

In Kopenhagen war ferner zu derselben Zeit gleich neben der gedachten Werk¬
statt ein Brauhaus, in welchem Demokraten eifrig an der dänischen Freiheit
brauler. Es waren lauter hochstrebende Seelen, die deshalb allesammt auf
hohen Absätzen gingen. Sörensen trat bei, that mit bei ihrem Debattiren,
Organisiren und Bramarbasiren, sah mit Entzücken Zwerge an Thürmen rüt¬
teln, Pudel wie Löwen blicken, hörte mit geschwellter Brust, wie man Spa¬
tzen als Adler, Pfenniglämpchen als Sonnen bewunderte und an Graspferden
die Stärke des Rosses pries, und fand, als er sich im Spiegel beschaute, daß
er vom bloßen Zuhören schon wieder eine Elle größer und obendrein ein Stück
Souverän geworden war. Er hätte es von jetzt an Jedem übelgenommen,
wenn er ihn nicht Herr Sörensen genannt hätte. Er verschwor das Hand¬
schuhmachen und den Kramladen für immer, widmete sich der Politik und dem


z. B. in Betreff des Verhältnisses von Wollen und Können und der Begriffe
von Mein und Dein offenbarte, so daß es in letzterer Beziehung fast schien,
als sei bei seiner Erzeugung das Gewissen vergessen worden. Um so voller
und großartiger war bei ihm die Phantasie angelegt — für ihn ein Trost,
für die zuschauenden Nachbarn ein Anlaß zur Heiterkeit. Je mehr er von
seinem Besitz einbüßte, desto mehr wuchs sein Selbstgefühl, desto lebendiger
wurde in ihm die Empfindung, ein Mann zu sein, der zu Großem geboren
sei. Er war eigentlich von der Vorsehung dazu bestimmt, für den oben er-
wähnten südlichen Nachbar Handschuhe zu machen, wie Vater Sören, und ihm
Pferde zu züchten, Heringe und Butter zu liefern, wie dieser. Aber davon
konnte bei einem so stark entwickelten Selbstgefühl nicht wol mehr die
Rede sein.

Um ein großer Mann zu sein, muß der, welchen das Schicksal klein ge¬
schaffen, hohe Absätze an den Stiefeln tragen. Ferner empfiehlt die Erfah¬
rung als kürzesten Weg zur Größe, unter die Demokraten zu gehen. Ferner
ist dazu jener Sinn erforderlich, der, wenn das Eigne zur Größe nicht langt,
ohne viel Besinnen sich Fremdes miegt. Was sonst noch mangelt, ersetzt man
durch die Einbildung. Nach diesem Recept verfuhr Sörensen Gernegroß.

In Kopenhagen war in den dreißiger Jahren oder etwas früher eine ge¬
lehrte Schusterwerkstatt entstanden, welche allen Sörensen die Stiefeln mit je¬
nen Absätzen versah, die große Männer machen. Die Werkstatt führte, wenn
wir uns recht erinnern, die Firma „Zur patriotischen Propaganda für Alt-
Dünemark." Die Absätze waren aus dem Pergament jener Chroniken aus
Dänemarks großen Zeit gebaut, die Gevatter Sören in seinen alten Tagen
zu studiren begonnen, und ging sich's nicht gut auf ihnen, so stelzte sich's desto
besser. Sörensen ließ sich ein Paar davon geben, empfand sofort mit Wonne-
geriesel in allen Adern, wie groß er geworden, und ließ sich von da an von
geringen Leuten gern Herr nennen.

In Kopenhagen war ferner zu derselben Zeit gleich neben der gedachten Werk¬
statt ein Brauhaus, in welchem Demokraten eifrig an der dänischen Freiheit
brauler. Es waren lauter hochstrebende Seelen, die deshalb allesammt auf
hohen Absätzen gingen. Sörensen trat bei, that mit bei ihrem Debattiren,
Organisiren und Bramarbasiren, sah mit Entzücken Zwerge an Thürmen rüt¬
teln, Pudel wie Löwen blicken, hörte mit geschwellter Brust, wie man Spa¬
tzen als Adler, Pfenniglämpchen als Sonnen bewunderte und an Graspferden
die Stärke des Rosses pries, und fand, als er sich im Spiegel beschaute, daß
er vom bloßen Zuhören schon wieder eine Elle größer und obendrein ein Stück
Souverän geworden war. Er hätte es von jetzt an Jedem übelgenommen,
wenn er ihn nicht Herr Sörensen genannt hätte. Er verschwor das Hand¬
schuhmachen und den Kramladen für immer, widmete sich der Politik und dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/522>, abgerufen am 02.07.2024.