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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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nehmen mit diesem nur dann unterbrach, w.cum er mußte, das heißt, wenn
sein König, in dessen Regierung er damals nichts hineinzureden hatte, ihn
aus irgend welchen Gründen dazu nöthigte.

Mit Einem Worte: Gevatter Sören war in seiner Art ein rechtschaffener
Charakter, ein Mann von Gemüth, eine gute Seele, in der nicht mehr Falsch
war. als zum Leben in dieser bösen Welt unerläßlich ist. Sein Bild, von
Heybergs Meisterhand gemalt, ist uns mit seinem braven Gesicht, seinem pos¬
sierlichen Zug um den Mund und seinen gutmüthigen blauen Augen eine werthe
Erinnerung. Er ist nach einem langen, an Thaten nicht armen Leben zu
seinen Vätern versammelt worden. Friede seinem Gebein! Er hatte nur den
einen wirklichen und unverzeihlicher Fehler, daß er in jenem Sohn Sörensen
nicht sein Ebenbild erzeugte.

Dieser Mißgriff wird verschieden erklärt. Nach den Einen hätte in der
betreffenden Stunde die Sonne im Zeichen des Krebses gestanden, nach An¬
dern wäre der abnehmende Mond an dem Unglück Schuld gewesen. Wieder
Andere wollen wissen, daß Gevatter Sören sich an diesem Abend einen unge¬
wöhnlich starken Dramen gegönnt gehabt, und weisen zugleich darauf hin,
daß der Sohn einige Monate nach der Zeit zur Welt kam, wo der Alle durch
den von Süden her in ihm angeregten Wissenstrieb zur Lectüre alter Chro¬
niken aus der Periode, wo seine Väter noch die Rolle von Großgrundbesitzern
gespielt hatten, geführt worden war. Nach den Folgen zu schließen scheint
es, daß alle diese Einflüsse thätig waren. Der himmlische Krebs wirkte ver¬
muthlich auf die Körperconstitution des Kindes, der abnehmende Mond auf
seine Vermögensverhältnisse, der Dramen auf einen Theil seiner Gemüths¬
und Verstandeskräfte und die Chronikenlectüre auf seine Phantasie.

Die Folgen verriethen sich schon kurze Zeit nach der Geburt und entwickelten
sich darnach immer mehr zum schlimmeren. Schon die Hebamme meinte
kopfschüttelnd, daß dieses Kind weder die Größe noch das Gewicht seines
Vaters erreichen würde, und eine Kartenschlägerin prophezeite dazu, daß es
ein großes Stück von seinem Erbgut zu verlieren bestimmt sei. Beides traf
ein. Das Kind wurde ein schwächlicher Knabe, der Knabe ein dürftiger,
schmalbrüstiger Jüngling, der Jüngling ein Mann, welcher von den Leuten,
die sein Alter nicht kannten, für einen Greis gehalten wurde. Dazu kam,
daß ihm der Nachbar Schwede einen neuen Proceß anhing, der damit endigte,
daß ihm das ganze Gut Norwegen mit sammt seinen Heringen und Dorschen
abgesprochen wurde, ein schwerer Schlag, der für den jungen Mann dem Ver¬
lust von fast der Hülste seines Eigenthums gleich kam. Dazu trat endlich
das Schlimmere, daß Sörensen schon frühzeitig eine merkwürdige Verblen¬
dung oder, wenn wir uns des Dramas erinnern, eine auffällige Benebeltheit
in Betreff gewisser thatsächlicher Verhältnisse und gewisser moralischer Begriffe,


nehmen mit diesem nur dann unterbrach, w.cum er mußte, das heißt, wenn
sein König, in dessen Regierung er damals nichts hineinzureden hatte, ihn
aus irgend welchen Gründen dazu nöthigte.

Mit Einem Worte: Gevatter Sören war in seiner Art ein rechtschaffener
Charakter, ein Mann von Gemüth, eine gute Seele, in der nicht mehr Falsch
war. als zum Leben in dieser bösen Welt unerläßlich ist. Sein Bild, von
Heybergs Meisterhand gemalt, ist uns mit seinem braven Gesicht, seinem pos¬
sierlichen Zug um den Mund und seinen gutmüthigen blauen Augen eine werthe
Erinnerung. Er ist nach einem langen, an Thaten nicht armen Leben zu
seinen Vätern versammelt worden. Friede seinem Gebein! Er hatte nur den
einen wirklichen und unverzeihlicher Fehler, daß er in jenem Sohn Sörensen
nicht sein Ebenbild erzeugte.

Dieser Mißgriff wird verschieden erklärt. Nach den Einen hätte in der
betreffenden Stunde die Sonne im Zeichen des Krebses gestanden, nach An¬
dern wäre der abnehmende Mond an dem Unglück Schuld gewesen. Wieder
Andere wollen wissen, daß Gevatter Sören sich an diesem Abend einen unge¬
wöhnlich starken Dramen gegönnt gehabt, und weisen zugleich darauf hin,
daß der Sohn einige Monate nach der Zeit zur Welt kam, wo der Alle durch
den von Süden her in ihm angeregten Wissenstrieb zur Lectüre alter Chro¬
niken aus der Periode, wo seine Väter noch die Rolle von Großgrundbesitzern
gespielt hatten, geführt worden war. Nach den Folgen zu schließen scheint
es, daß alle diese Einflüsse thätig waren. Der himmlische Krebs wirkte ver¬
muthlich auf die Körperconstitution des Kindes, der abnehmende Mond auf
seine Vermögensverhältnisse, der Dramen auf einen Theil seiner Gemüths¬
und Verstandeskräfte und die Chronikenlectüre auf seine Phantasie.

Die Folgen verriethen sich schon kurze Zeit nach der Geburt und entwickelten
sich darnach immer mehr zum schlimmeren. Schon die Hebamme meinte
kopfschüttelnd, daß dieses Kind weder die Größe noch das Gewicht seines
Vaters erreichen würde, und eine Kartenschlägerin prophezeite dazu, daß es
ein großes Stück von seinem Erbgut zu verlieren bestimmt sei. Beides traf
ein. Das Kind wurde ein schwächlicher Knabe, der Knabe ein dürftiger,
schmalbrüstiger Jüngling, der Jüngling ein Mann, welcher von den Leuten,
die sein Alter nicht kannten, für einen Greis gehalten wurde. Dazu kam,
daß ihm der Nachbar Schwede einen neuen Proceß anhing, der damit endigte,
daß ihm das ganze Gut Norwegen mit sammt seinen Heringen und Dorschen
abgesprochen wurde, ein schwerer Schlag, der für den jungen Mann dem Ver¬
lust von fast der Hülste seines Eigenthums gleich kam. Dazu trat endlich
das Schlimmere, daß Sörensen schon frühzeitig eine merkwürdige Verblen¬
dung oder, wenn wir uns des Dramas erinnern, eine auffällige Benebeltheit
in Betreff gewisser thatsächlicher Verhältnisse und gewisser moralischer Begriffe,


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[0521] nehmen mit diesem nur dann unterbrach, w.cum er mußte, das heißt, wenn sein König, in dessen Regierung er damals nichts hineinzureden hatte, ihn aus irgend welchen Gründen dazu nöthigte. Mit Einem Worte: Gevatter Sören war in seiner Art ein rechtschaffener Charakter, ein Mann von Gemüth, eine gute Seele, in der nicht mehr Falsch war. als zum Leben in dieser bösen Welt unerläßlich ist. Sein Bild, von Heybergs Meisterhand gemalt, ist uns mit seinem braven Gesicht, seinem pos¬ sierlichen Zug um den Mund und seinen gutmüthigen blauen Augen eine werthe Erinnerung. Er ist nach einem langen, an Thaten nicht armen Leben zu seinen Vätern versammelt worden. Friede seinem Gebein! Er hatte nur den einen wirklichen und unverzeihlicher Fehler, daß er in jenem Sohn Sörensen nicht sein Ebenbild erzeugte. Dieser Mißgriff wird verschieden erklärt. Nach den Einen hätte in der betreffenden Stunde die Sonne im Zeichen des Krebses gestanden, nach An¬ dern wäre der abnehmende Mond an dem Unglück Schuld gewesen. Wieder Andere wollen wissen, daß Gevatter Sören sich an diesem Abend einen unge¬ wöhnlich starken Dramen gegönnt gehabt, und weisen zugleich darauf hin, daß der Sohn einige Monate nach der Zeit zur Welt kam, wo der Alle durch den von Süden her in ihm angeregten Wissenstrieb zur Lectüre alter Chro¬ niken aus der Periode, wo seine Väter noch die Rolle von Großgrundbesitzern gespielt hatten, geführt worden war. Nach den Folgen zu schließen scheint es, daß alle diese Einflüsse thätig waren. Der himmlische Krebs wirkte ver¬ muthlich auf die Körperconstitution des Kindes, der abnehmende Mond auf seine Vermögensverhältnisse, der Dramen auf einen Theil seiner Gemüths¬ und Verstandeskräfte und die Chronikenlectüre auf seine Phantasie. Die Folgen verriethen sich schon kurze Zeit nach der Geburt und entwickelten sich darnach immer mehr zum schlimmeren. Schon die Hebamme meinte kopfschüttelnd, daß dieses Kind weder die Größe noch das Gewicht seines Vaters erreichen würde, und eine Kartenschlägerin prophezeite dazu, daß es ein großes Stück von seinem Erbgut zu verlieren bestimmt sei. Beides traf ein. Das Kind wurde ein schwächlicher Knabe, der Knabe ein dürftiger, schmalbrüstiger Jüngling, der Jüngling ein Mann, welcher von den Leuten, die sein Alter nicht kannten, für einen Greis gehalten wurde. Dazu kam, daß ihm der Nachbar Schwede einen neuen Proceß anhing, der damit endigte, daß ihm das ganze Gut Norwegen mit sammt seinen Heringen und Dorschen abgesprochen wurde, ein schwerer Schlag, der für den jungen Mann dem Ver¬ lust von fast der Hülste seines Eigenthums gleich kam. Dazu trat endlich das Schlimmere, daß Sörensen schon frühzeitig eine merkwürdige Verblen¬ dung oder, wenn wir uns des Dramas erinnern, eine auffällige Benebeltheit in Betreff gewisser thatsächlicher Verhältnisse und gewisser moralischer Begriffe,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/521>, abgerufen am 03.07.2024.