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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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oder Vernichtung Napoleons und seiner Armee zu befreien, oder ob es diese
Gelegenheit versäumend, sich bald wieder in dieselbe Gefahr versetzt sehen solle,
wo es dann, mit Recht von jedem Freund verlassen, in Schmach und Reue
untergehen werde."

So eindringlich und gewichtig diese Vorstellungen waren, wollte der Mar¬
schall doch durchaus nicht nachgeben und erst als Wilson noch den Herzog
Alexander von Würtemberg. den Onkel des Kaisers, den Herzog von Olden¬
burg, den Schwager des Kaisers, und den eben aus Petersburg mit Depeschen
eingetroffenen Generaladjutanten Fürsten Wolkonski herbeigeholt hatte, welche
die versammelten Generäle vorher schon ausgewählt hatten, um die Vorstel¬
lungen des englischen Bevollmächtigten zu unterstützen, gab er nach und dann
erst nach langem Sträuben. Lauriston erhielt zwar eine Zusammenkunft zu-
gestanden, aber im russischen Hauptquartier. Sie fand auch unter vier Au¬
gen statt, doch hatte die Umgebung des Marschalls Sorge getragen, daß es
ohne ihr Wissen nicht zu wichtigen Verhandlungen kommen konnte.

Es war dies nicht der letzte Versuch von Seiten der Franzosen, auf ver¬
traulichem Wege Friedensverhandlungen einzuleiten. Vorzüglich in der Zeit,
wo die Hauptmacht der Russen in Tarutino, und Murat ihnen gegenüber in
Winkowo stand,-kam es auf den Vorposten fast zu täglichen Gesprächen zwischen
den Generälen beider Heere, nachdem die täglichen Scharmützel aufgehört hatten
und ein nicht abgeschlossener, aber thatsächlich bestehender Waffenstillstand den
Austausch von Höflichkeiten aus dem neutralen Boden zwischen den beiden
Vorpostenlinien zu erlauben schien. Bei einer dieser Gelegenheiten sprach
Murat den Wunsch aus, den nächsten Tag mit Benningsen eine Zusammen¬
kunft zu haben, und obgleich der Kaiser derartige Berührungen untersagt, hatte
der russische General sie zugestanden.

Nach einigen persönlichen Komplimenten sagte Murat: "Friede ist noth¬
wendig -- ich wünsche ihn als König von Neapel, der ein Land zu regieren
hat." Benningsen gab zur Antwort: "So sehr Sie ihn wünschen, ziehen wir
den Krieg vor; außerdem, wenn auch der Kaiser Frieden schließen wollte, so
würden die Russen nicht wollen; und ich gestehe Ihnen offen, ich gehöre zu
dieser Partei."

Murat bemerkte dagegen "daß Nationalvorurtheile sich überwinden ließen",
worauf Benningsen zur Antwort gab: "O nein, nicht in Rußland; die Russen
sind ein schreckliches Volk und würden auf der Stelle Jeden todtschlagen, der
von Unterhandlungen nur spräche!"

An demselben Tag traf Korff auf einem andern Posten mit dem General
Amande zusammen; auch hier kam die Unterhaltung auf den Frieden. Amande
sagte: "Wir sind dieses Kriegs herzlich müde; geben Sie uns Pässe und wir
reisen ab." Korff entgegnete: "General, Sie sind uneingeladen gekommen;


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oder Vernichtung Napoleons und seiner Armee zu befreien, oder ob es diese
Gelegenheit versäumend, sich bald wieder in dieselbe Gefahr versetzt sehen solle,
wo es dann, mit Recht von jedem Freund verlassen, in Schmach und Reue
untergehen werde."

So eindringlich und gewichtig diese Vorstellungen waren, wollte der Mar¬
schall doch durchaus nicht nachgeben und erst als Wilson noch den Herzog
Alexander von Würtemberg. den Onkel des Kaisers, den Herzog von Olden¬
burg, den Schwager des Kaisers, und den eben aus Petersburg mit Depeschen
eingetroffenen Generaladjutanten Fürsten Wolkonski herbeigeholt hatte, welche
die versammelten Generäle vorher schon ausgewählt hatten, um die Vorstel¬
lungen des englischen Bevollmächtigten zu unterstützen, gab er nach und dann
erst nach langem Sträuben. Lauriston erhielt zwar eine Zusammenkunft zu-
gestanden, aber im russischen Hauptquartier. Sie fand auch unter vier Au¬
gen statt, doch hatte die Umgebung des Marschalls Sorge getragen, daß es
ohne ihr Wissen nicht zu wichtigen Verhandlungen kommen konnte.

Es war dies nicht der letzte Versuch von Seiten der Franzosen, auf ver¬
traulichem Wege Friedensverhandlungen einzuleiten. Vorzüglich in der Zeit,
wo die Hauptmacht der Russen in Tarutino, und Murat ihnen gegenüber in
Winkowo stand,-kam es auf den Vorposten fast zu täglichen Gesprächen zwischen
den Generälen beider Heere, nachdem die täglichen Scharmützel aufgehört hatten
und ein nicht abgeschlossener, aber thatsächlich bestehender Waffenstillstand den
Austausch von Höflichkeiten aus dem neutralen Boden zwischen den beiden
Vorpostenlinien zu erlauben schien. Bei einer dieser Gelegenheiten sprach
Murat den Wunsch aus, den nächsten Tag mit Benningsen eine Zusammen¬
kunft zu haben, und obgleich der Kaiser derartige Berührungen untersagt, hatte
der russische General sie zugestanden.

Nach einigen persönlichen Komplimenten sagte Murat: „Friede ist noth¬
wendig — ich wünsche ihn als König von Neapel, der ein Land zu regieren
hat." Benningsen gab zur Antwort: „So sehr Sie ihn wünschen, ziehen wir
den Krieg vor; außerdem, wenn auch der Kaiser Frieden schließen wollte, so
würden die Russen nicht wollen; und ich gestehe Ihnen offen, ich gehöre zu
dieser Partei."

Murat bemerkte dagegen „daß Nationalvorurtheile sich überwinden ließen",
worauf Benningsen zur Antwort gab: „O nein, nicht in Rußland; die Russen
sind ein schreckliches Volk und würden auf der Stelle Jeden todtschlagen, der
von Unterhandlungen nur spräche!"

An demselben Tag traf Korff auf einem andern Posten mit dem General
Amande zusammen; auch hier kam die Unterhaltung auf den Frieden. Amande
sagte: „Wir sind dieses Kriegs herzlich müde; geben Sie uns Pässe und wir
reisen ab." Korff entgegnete: „General, Sie sind uneingeladen gekommen;


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[0499] oder Vernichtung Napoleons und seiner Armee zu befreien, oder ob es diese Gelegenheit versäumend, sich bald wieder in dieselbe Gefahr versetzt sehen solle, wo es dann, mit Recht von jedem Freund verlassen, in Schmach und Reue untergehen werde." So eindringlich und gewichtig diese Vorstellungen waren, wollte der Mar¬ schall doch durchaus nicht nachgeben und erst als Wilson noch den Herzog Alexander von Würtemberg. den Onkel des Kaisers, den Herzog von Olden¬ burg, den Schwager des Kaisers, und den eben aus Petersburg mit Depeschen eingetroffenen Generaladjutanten Fürsten Wolkonski herbeigeholt hatte, welche die versammelten Generäle vorher schon ausgewählt hatten, um die Vorstel¬ lungen des englischen Bevollmächtigten zu unterstützen, gab er nach und dann erst nach langem Sträuben. Lauriston erhielt zwar eine Zusammenkunft zu- gestanden, aber im russischen Hauptquartier. Sie fand auch unter vier Au¬ gen statt, doch hatte die Umgebung des Marschalls Sorge getragen, daß es ohne ihr Wissen nicht zu wichtigen Verhandlungen kommen konnte. Es war dies nicht der letzte Versuch von Seiten der Franzosen, auf ver¬ traulichem Wege Friedensverhandlungen einzuleiten. Vorzüglich in der Zeit, wo die Hauptmacht der Russen in Tarutino, und Murat ihnen gegenüber in Winkowo stand,-kam es auf den Vorposten fast zu täglichen Gesprächen zwischen den Generälen beider Heere, nachdem die täglichen Scharmützel aufgehört hatten und ein nicht abgeschlossener, aber thatsächlich bestehender Waffenstillstand den Austausch von Höflichkeiten aus dem neutralen Boden zwischen den beiden Vorpostenlinien zu erlauben schien. Bei einer dieser Gelegenheiten sprach Murat den Wunsch aus, den nächsten Tag mit Benningsen eine Zusammen¬ kunft zu haben, und obgleich der Kaiser derartige Berührungen untersagt, hatte der russische General sie zugestanden. Nach einigen persönlichen Komplimenten sagte Murat: „Friede ist noth¬ wendig — ich wünsche ihn als König von Neapel, der ein Land zu regieren hat." Benningsen gab zur Antwort: „So sehr Sie ihn wünschen, ziehen wir den Krieg vor; außerdem, wenn auch der Kaiser Frieden schließen wollte, so würden die Russen nicht wollen; und ich gestehe Ihnen offen, ich gehöre zu dieser Partei." Murat bemerkte dagegen „daß Nationalvorurtheile sich überwinden ließen", worauf Benningsen zur Antwort gab: „O nein, nicht in Rußland; die Russen sind ein schreckliches Volk und würden auf der Stelle Jeden todtschlagen, der von Unterhandlungen nur spräche!" An demselben Tag traf Korff auf einem andern Posten mit dem General Amande zusammen; auch hier kam die Unterhaltung auf den Frieden. Amande sagte: „Wir sind dieses Kriegs herzlich müde; geben Sie uns Pässe und wir reisen ab." Korff entgegnete: „General, Sie sind uneingeladen gekommen; Grenzboten II. 1L61. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/499>, abgerufen am 25.08.2024.