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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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wenn Sie fortwollen, müssen Sie auf französisch Abschied nehmen." Amcmde
lächelte, aber gab mit Ernst zur Antwort: "Ist es nicht schade, daß zwei
Völker, die sich gegenseitig achten, einen Vertilgungskrieg mit einander führen?
Wir wollen uns entschuldigen, um Verzeihung bitten, wenn Sie darauf bestehen,
daß wir uns hier eingedrängt haben, und auf der Grenze uns die Hände rei-
chen." '"Ja", sagte Korff, "wir glauben, Sie haben uns seit einiger Zeit
mehr achten gelernt; aber würden Sie fortfahren uns mit demselben Gefühle
zu betrachten, wenn wir Sie ruhig mit den Waffen in der Hand abziehen
ließen?"

Kutusow hatte Sorge getragen, das Vorkommen derartiger Zusammen¬
künfte nach Petersburg zu berichten, um nicht allein mit dem Vorwurf bela¬
stet dazustehen, zu Unterhandlungen mit dem Feinde geneigt gewesen zu sein.
Da aber auch Wilson alles die beabsichtigte Zusammenkunft mit Lauriston
Betreffende nach Petersburg gemeldet hatte, so hatte der Schritt Kutusows keine
andere Folge, als ein Schreiben des Kaisers an den Feldmarschall, welches
diesem selbst sowol, wie allen Generälen ohne Ausnahme alle Unterhandlungen
mit dem Feinde untersagte und nochmals dem festen Entschluß Ausdruck gab,
den Krieg mit Energie fortzusetzen.

Dazu war freilich der Feldmarschall der Mann nicht, und in dieser Hin¬
sicht steht das Urtheil der Geschichte längst über ihn fest. Eine fast der Zag¬
haftigkeit gleichkommende Scheu, seinem kriegsgewaltigen Gegner auf den Leib
zu gehen, selbst als dieser nur noch über die Trümmer eines Heeres gebot,
charakterisirt alle seine Maßregeln. Wilson erzählt mehre Beispiele davon.
Als das russische Heer, jetzt voller Kampfeslust, zuerst den sich zurückziehenden
Franzosen bei Malo Jaroslawetz entgegentrat, lag es in des Oberbefehlshabers
Hand, den Feind zu vernichten. Auch versicherte Kutusow den versammelten
Generälen, er sei fest entschlossen den Krieg auf dieser Stelle zu beendigen
und zu siegen oder den Feind nur über seine Leiche gehen zu lassen. Dabei
sprach er sich mit so feierlichem Patriotismus aus, als wäre er ein Leonidas
im Thermopylenpaß; aber leider erlaubte sein späteres Benehmen durchaus
nicht an seine Aufrichtigkeit zu glauben. Am andern Morgen, als eine Ueber¬
macht bereit stand, den Feind zu erdrücken, wenn er einen Versuch wagte sich
einen Weg durch die, ihm jede Nückzugsstraßc versperrenden Russen zu bah¬
nen, berief Kutusow abermals die Generäle zu sich und theilte ihnen mit,
daß empfangene Nachrichten ihn bestimmten, die Stellung vor Malo .Jaro¬
slawetz zu räumen und sich hinter die Gorycza zurückzuziehen. Alle Gegen¬
vorstellungen beantwortete er mit der oft gehörten Behauptung, man müsst
dem fliehenden Feinde goldene Brücken bauen, und als auch der englische
General seinen Einfluß auf ihn versuchen wollte, wurde er gereizt und sagte
gerade heraus: "er bezweifle, ob die gänzliche Vernichtung Napoleons und


wenn Sie fortwollen, müssen Sie auf französisch Abschied nehmen." Amcmde
lächelte, aber gab mit Ernst zur Antwort: „Ist es nicht schade, daß zwei
Völker, die sich gegenseitig achten, einen Vertilgungskrieg mit einander führen?
Wir wollen uns entschuldigen, um Verzeihung bitten, wenn Sie darauf bestehen,
daß wir uns hier eingedrängt haben, und auf der Grenze uns die Hände rei-
chen." '„Ja", sagte Korff, „wir glauben, Sie haben uns seit einiger Zeit
mehr achten gelernt; aber würden Sie fortfahren uns mit demselben Gefühle
zu betrachten, wenn wir Sie ruhig mit den Waffen in der Hand abziehen
ließen?"

Kutusow hatte Sorge getragen, das Vorkommen derartiger Zusammen¬
künfte nach Petersburg zu berichten, um nicht allein mit dem Vorwurf bela¬
stet dazustehen, zu Unterhandlungen mit dem Feinde geneigt gewesen zu sein.
Da aber auch Wilson alles die beabsichtigte Zusammenkunft mit Lauriston
Betreffende nach Petersburg gemeldet hatte, so hatte der Schritt Kutusows keine
andere Folge, als ein Schreiben des Kaisers an den Feldmarschall, welches
diesem selbst sowol, wie allen Generälen ohne Ausnahme alle Unterhandlungen
mit dem Feinde untersagte und nochmals dem festen Entschluß Ausdruck gab,
den Krieg mit Energie fortzusetzen.

Dazu war freilich der Feldmarschall der Mann nicht, und in dieser Hin¬
sicht steht das Urtheil der Geschichte längst über ihn fest. Eine fast der Zag¬
haftigkeit gleichkommende Scheu, seinem kriegsgewaltigen Gegner auf den Leib
zu gehen, selbst als dieser nur noch über die Trümmer eines Heeres gebot,
charakterisirt alle seine Maßregeln. Wilson erzählt mehre Beispiele davon.
Als das russische Heer, jetzt voller Kampfeslust, zuerst den sich zurückziehenden
Franzosen bei Malo Jaroslawetz entgegentrat, lag es in des Oberbefehlshabers
Hand, den Feind zu vernichten. Auch versicherte Kutusow den versammelten
Generälen, er sei fest entschlossen den Krieg auf dieser Stelle zu beendigen
und zu siegen oder den Feind nur über seine Leiche gehen zu lassen. Dabei
sprach er sich mit so feierlichem Patriotismus aus, als wäre er ein Leonidas
im Thermopylenpaß; aber leider erlaubte sein späteres Benehmen durchaus
nicht an seine Aufrichtigkeit zu glauben. Am andern Morgen, als eine Ueber¬
macht bereit stand, den Feind zu erdrücken, wenn er einen Versuch wagte sich
einen Weg durch die, ihm jede Nückzugsstraßc versperrenden Russen zu bah¬
nen, berief Kutusow abermals die Generäle zu sich und theilte ihnen mit,
daß empfangene Nachrichten ihn bestimmten, die Stellung vor Malo .Jaro¬
slawetz zu räumen und sich hinter die Gorycza zurückzuziehen. Alle Gegen¬
vorstellungen beantwortete er mit der oft gehörten Behauptung, man müsst
dem fliehenden Feinde goldene Brücken bauen, und als auch der englische
General seinen Einfluß auf ihn versuchen wollte, wurde er gereizt und sagte
gerade heraus: „er bezweifle, ob die gänzliche Vernichtung Napoleons und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/500>, abgerufen am 25.08.2024.