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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Er setzte dann hinzu: "er gestehe zu, daß er bereits wisse, die Vorschläge
würden friedlichen Inhalts sein und könnten vielleicht zu einer für Rußland
befriedigenden und ehrenvollen Ausgleichung führen."

Nachdem der englische General alle Erklärungen des Marschalls geduldig
angehört hatte, fragte er ihn "ob dies sein letzter Entschluß sei?" Er sagte
"ja, -- unwiderruflich;" und sprach die Hoffnung aus, "daß der englische
General nach reiflicher Erwägung seine Angemessenheit zugeben und, nachdem
er den Zustand des Reichs und den Umstand, daß, obgleich das russische Heer
an Zahl wachse, es doch immer noch weit entfernt von seiner entsprechenden
Tüchtigkeit sei, in gehörige Erwägung gezogen habe, diesmal seine Liebe zu
dem Kaiser und Rußland über seine wohlbekannten, feindseligen Gefühle ge¬
gen den Kaiser von Frankreich die Oberhand gewinnen lassen werde."

Die letzten Bemerkungen machte er in einem sehr sarkastischen Tone und
schien damit die Unterredung abbrechen zu wollen; aber der englische General
hielt nicht minder zäh an seinem Vorsatze seil und begann seine Antwort mit
der Versicherung, wie tief er bedauere, eine höchst schmerzliche Pflicht erfüllen
zu müssen; aber er habe keine Wahl. Er erinnerte dann den Marschall an
das von dem Kaiser Alexander in der feierlichsten Form gegebene Verspre¬
chen, keinen Frieden zu schließen, so lange noch ein bewaffneter Franzose sich
diesseits der russischen Grenze befinde, sowie, daß er ihm, Wilson, den Auf¬
trag gegeben einzuschreiten, wenn diesem Versprechen zuwider gehandelt werde,
möge der Zuwiderhandelnde auch von noch so hohem Range sein. Die Zeit,
zu diesem Einschreiten sei jetzt gekommen. Die beabsichtigte Zusammenkunft
jenseits der eigenen Vorposten sei beispiellos in der Kriegsgeschichte, außer
wo es auf unerlaubte Verhandlungen abgesehen sei; außerdem erlaubten we¬
der die Interessen Rußlands noch die Ehre der kaiserlichen Waffen den Ab¬
schluß eines Vertrags, wären seine Bedingungen dem Anschein nach auch noch
so günstig; denn der Marschall dürfe kein anderes Ziel haben, als die Ver¬
nichtung oder die Gefangennahme des Feindes. Wilson setzte ihm dann, wie er
schon wiederholt früher gethan, die günstigen Verhältnisse des russischen Hee¬
res und die höchst gefährdete Lage des französischen auseinander und schloß
mit der Mittheilung, "wenn er trotz alledem sich zur Nachgiebigkeit gegen den
Feind herbeilassen sollte, sähen sich die russischen Unteranführer in die trau¬
rige Nothwendigkett versetzt, ihm bis zum Eintreffen weiterer Befehle von
Seilen des Kaisers den Gehorsam aufzukündigen. Er selbst würde Couriere
nach London, Petersburg, Wien, Constantinopel mit der Mittheilung von
diesen Vorfällen abschicken, was die nachtheilige Folge haben würde, allen noch
M Gange befindlichen Rüstungen und wichtigen diplomatischen Verhandlun¬
gen Stillstand zu gebieten. Von seinem Entschlüsse hänge es ab, ob Rußland
den Ruhm und den Vortheil genießen solle, Europa durch die Gefangennahme


Er setzte dann hinzu: „er gestehe zu, daß er bereits wisse, die Vorschläge
würden friedlichen Inhalts sein und könnten vielleicht zu einer für Rußland
befriedigenden und ehrenvollen Ausgleichung führen."

Nachdem der englische General alle Erklärungen des Marschalls geduldig
angehört hatte, fragte er ihn „ob dies sein letzter Entschluß sei?" Er sagte
„ja, — unwiderruflich;" und sprach die Hoffnung aus, „daß der englische
General nach reiflicher Erwägung seine Angemessenheit zugeben und, nachdem
er den Zustand des Reichs und den Umstand, daß, obgleich das russische Heer
an Zahl wachse, es doch immer noch weit entfernt von seiner entsprechenden
Tüchtigkeit sei, in gehörige Erwägung gezogen habe, diesmal seine Liebe zu
dem Kaiser und Rußland über seine wohlbekannten, feindseligen Gefühle ge¬
gen den Kaiser von Frankreich die Oberhand gewinnen lassen werde."

Die letzten Bemerkungen machte er in einem sehr sarkastischen Tone und
schien damit die Unterredung abbrechen zu wollen; aber der englische General
hielt nicht minder zäh an seinem Vorsatze seil und begann seine Antwort mit
der Versicherung, wie tief er bedauere, eine höchst schmerzliche Pflicht erfüllen
zu müssen; aber er habe keine Wahl. Er erinnerte dann den Marschall an
das von dem Kaiser Alexander in der feierlichsten Form gegebene Verspre¬
chen, keinen Frieden zu schließen, so lange noch ein bewaffneter Franzose sich
diesseits der russischen Grenze befinde, sowie, daß er ihm, Wilson, den Auf¬
trag gegeben einzuschreiten, wenn diesem Versprechen zuwider gehandelt werde,
möge der Zuwiderhandelnde auch von noch so hohem Range sein. Die Zeit,
zu diesem Einschreiten sei jetzt gekommen. Die beabsichtigte Zusammenkunft
jenseits der eigenen Vorposten sei beispiellos in der Kriegsgeschichte, außer
wo es auf unerlaubte Verhandlungen abgesehen sei; außerdem erlaubten we¬
der die Interessen Rußlands noch die Ehre der kaiserlichen Waffen den Ab¬
schluß eines Vertrags, wären seine Bedingungen dem Anschein nach auch noch
so günstig; denn der Marschall dürfe kein anderes Ziel haben, als die Ver¬
nichtung oder die Gefangennahme des Feindes. Wilson setzte ihm dann, wie er
schon wiederholt früher gethan, die günstigen Verhältnisse des russischen Hee¬
res und die höchst gefährdete Lage des französischen auseinander und schloß
mit der Mittheilung, „wenn er trotz alledem sich zur Nachgiebigkeit gegen den
Feind herbeilassen sollte, sähen sich die russischen Unteranführer in die trau¬
rige Nothwendigkett versetzt, ihm bis zum Eintreffen weiterer Befehle von
Seilen des Kaisers den Gehorsam aufzukündigen. Er selbst würde Couriere
nach London, Petersburg, Wien, Constantinopel mit der Mittheilung von
diesen Vorfällen abschicken, was die nachtheilige Folge haben würde, allen noch
M Gange befindlichen Rüstungen und wichtigen diplomatischen Verhandlun¬
gen Stillstand zu gebieten. Von seinem Entschlüsse hänge es ab, ob Rußland
den Ruhm und den Vortheil genießen solle, Europa durch die Gefangennahme


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[0498] Er setzte dann hinzu: „er gestehe zu, daß er bereits wisse, die Vorschläge würden friedlichen Inhalts sein und könnten vielleicht zu einer für Rußland befriedigenden und ehrenvollen Ausgleichung führen." Nachdem der englische General alle Erklärungen des Marschalls geduldig angehört hatte, fragte er ihn „ob dies sein letzter Entschluß sei?" Er sagte „ja, — unwiderruflich;" und sprach die Hoffnung aus, „daß der englische General nach reiflicher Erwägung seine Angemessenheit zugeben und, nachdem er den Zustand des Reichs und den Umstand, daß, obgleich das russische Heer an Zahl wachse, es doch immer noch weit entfernt von seiner entsprechenden Tüchtigkeit sei, in gehörige Erwägung gezogen habe, diesmal seine Liebe zu dem Kaiser und Rußland über seine wohlbekannten, feindseligen Gefühle ge¬ gen den Kaiser von Frankreich die Oberhand gewinnen lassen werde." Die letzten Bemerkungen machte er in einem sehr sarkastischen Tone und schien damit die Unterredung abbrechen zu wollen; aber der englische General hielt nicht minder zäh an seinem Vorsatze seil und begann seine Antwort mit der Versicherung, wie tief er bedauere, eine höchst schmerzliche Pflicht erfüllen zu müssen; aber er habe keine Wahl. Er erinnerte dann den Marschall an das von dem Kaiser Alexander in der feierlichsten Form gegebene Verspre¬ chen, keinen Frieden zu schließen, so lange noch ein bewaffneter Franzose sich diesseits der russischen Grenze befinde, sowie, daß er ihm, Wilson, den Auf¬ trag gegeben einzuschreiten, wenn diesem Versprechen zuwider gehandelt werde, möge der Zuwiderhandelnde auch von noch so hohem Range sein. Die Zeit, zu diesem Einschreiten sei jetzt gekommen. Die beabsichtigte Zusammenkunft jenseits der eigenen Vorposten sei beispiellos in der Kriegsgeschichte, außer wo es auf unerlaubte Verhandlungen abgesehen sei; außerdem erlaubten we¬ der die Interessen Rußlands noch die Ehre der kaiserlichen Waffen den Ab¬ schluß eines Vertrags, wären seine Bedingungen dem Anschein nach auch noch so günstig; denn der Marschall dürfe kein anderes Ziel haben, als die Ver¬ nichtung oder die Gefangennahme des Feindes. Wilson setzte ihm dann, wie er schon wiederholt früher gethan, die günstigen Verhältnisse des russischen Hee¬ res und die höchst gefährdete Lage des französischen auseinander und schloß mit der Mittheilung, „wenn er trotz alledem sich zur Nachgiebigkeit gegen den Feind herbeilassen sollte, sähen sich die russischen Unteranführer in die trau¬ rige Nothwendigkett versetzt, ihm bis zum Eintreffen weiterer Befehle von Seilen des Kaisers den Gehorsam aufzukündigen. Er selbst würde Couriere nach London, Petersburg, Wien, Constantinopel mit der Mittheilung von diesen Vorfällen abschicken, was die nachtheilige Folge haben würde, allen noch M Gange befindlichen Rüstungen und wichtigen diplomatischen Verhandlun¬ gen Stillstand zu gebieten. Von seinem Entschlüsse hänge es ab, ob Rußland den Ruhm und den Vortheil genießen solle, Europa durch die Gefangennahme

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/498>, abgerufen am 25.08.2024.