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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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in Miloradowitzsch's Bivouak geritten und dort die Nacht über geblieben.
Am nächsten Morgen in aller Frühe überbrachte ihm ein Kosack in aller Eile
eine Aufforderung von Benningsen, zugleich im Namen mehrerer anderer Ge¬
neräle, sofort nach dem Hauptquartier zurückzukehren, da Kutusow dem Ge¬
neral Lauriston als Napoleons Bevollmächtigten um Mitternacht jenseits der
russischen Vorposten eine Zusammenkunft bewilligt habe. Wilson entsprach
dem Wunsche und sah sich nach seiner Rückkehr von Benningsen und 10 oder
12 anderen Generälen aufgefordert, von seiner Vollmacht als Commissär des
Kaisers und als englischer Beauftragter Gebrauch zu machen und die Zusam¬
menkunft zu verhindern. Wenn sie stattfinde, erklärten sie fest entschlossen zu
sein, Kutusow die Rückkehr in's Hauptquartier und die Wiederübernahme des
Oberbefehls nicht zu erlauben. So unangenehm die ihm zugedachte Rolle
war, so übernahm sie Wilson doch, überzeugt, damit der großen europäischen
Sache einen wichtigen Dienst zu leisten.

Als der Marschall ihn bei sich eintreten sah, machte er bereits ein ver¬
legenes Gesicht, fragte aber "ob er ihm Nachrichten von der Vorhut bringe?"
Nach einigen unbedeutenden Bemerkungen über diesen Gegenstand gab der
englische General seinen'Wunsch zu erkennen, mit dem Marschall allein zu
sprechen.

Einer oder zwei Offiziere, die im Zimmer waren, zogen sich darauf zu¬
rück, und" der englische General theilte nun dem Fürsten Kutusow mit, "daher in
Folge eines Gerüchts, wie er hoffe eines unbegründeten, das ihm diesen Mor¬
gen zu Ohren gekommen, in das Hauptquartier zurückgekehrt sei. Es sei je¬
doch ein höchst nachtheiliges Gerücht, das viel Aufregung und Unruhe verur¬
sache, und deshalb sei es wünschenswert!), durch die eigenen Wor'te des Mar¬
schalls dem Aergerniß aus der Stelle ein Ende zu machen."

Das Gesicht des Marschalls bestätigte alle Vermuthungen; aber der eng¬
lische General fuhr mit so viel Höflichkeit als möglich fort ihm das Gerücht
zu erzählen, um ihm so Gelegenheit zu geben, die Verabredung freiwillig rück¬
gängig zu machen, ohne eine demüthigende oder erbitternde Erklärung noth¬
wendig zu machen.

Der Marschall war verlegen, entgegnete aber in etwas scharfem Tone,
"er sei Obercommandirender des Heeres und wisse am besten, was die ihm
anvertrauten Interessen forderten; es sei allerdings wahr, daß er dem Gene¬
ral Lauriston auf den Wunsch des französischen Kaisers eine Zusammenkunft
für diese Nacht bewilligt habe und zwar unter den angegebenen Umständen,
um Aufsehen .zu vermeiden, welches Entstellung oder Mißverstehen der Beweg¬
gründe veranlassen könnte; er werde seine Zusage halten, die Vorschläge an¬
hören, welche General Lauriston zu machen ermächtigt sei, und nach ihrem
Inhalt die von ihm in Zukunft zu ergreifenden Maßregeln einrichten."


in Miloradowitzsch's Bivouak geritten und dort die Nacht über geblieben.
Am nächsten Morgen in aller Frühe überbrachte ihm ein Kosack in aller Eile
eine Aufforderung von Benningsen, zugleich im Namen mehrerer anderer Ge¬
neräle, sofort nach dem Hauptquartier zurückzukehren, da Kutusow dem Ge¬
neral Lauriston als Napoleons Bevollmächtigten um Mitternacht jenseits der
russischen Vorposten eine Zusammenkunft bewilligt habe. Wilson entsprach
dem Wunsche und sah sich nach seiner Rückkehr von Benningsen und 10 oder
12 anderen Generälen aufgefordert, von seiner Vollmacht als Commissär des
Kaisers und als englischer Beauftragter Gebrauch zu machen und die Zusam¬
menkunft zu verhindern. Wenn sie stattfinde, erklärten sie fest entschlossen zu
sein, Kutusow die Rückkehr in's Hauptquartier und die Wiederübernahme des
Oberbefehls nicht zu erlauben. So unangenehm die ihm zugedachte Rolle
war, so übernahm sie Wilson doch, überzeugt, damit der großen europäischen
Sache einen wichtigen Dienst zu leisten.

Als der Marschall ihn bei sich eintreten sah, machte er bereits ein ver¬
legenes Gesicht, fragte aber „ob er ihm Nachrichten von der Vorhut bringe?"
Nach einigen unbedeutenden Bemerkungen über diesen Gegenstand gab der
englische General seinen'Wunsch zu erkennen, mit dem Marschall allein zu
sprechen.

Einer oder zwei Offiziere, die im Zimmer waren, zogen sich darauf zu¬
rück, und" der englische General theilte nun dem Fürsten Kutusow mit, „daher in
Folge eines Gerüchts, wie er hoffe eines unbegründeten, das ihm diesen Mor¬
gen zu Ohren gekommen, in das Hauptquartier zurückgekehrt sei. Es sei je¬
doch ein höchst nachtheiliges Gerücht, das viel Aufregung und Unruhe verur¬
sache, und deshalb sei es wünschenswert!), durch die eigenen Wor'te des Mar¬
schalls dem Aergerniß aus der Stelle ein Ende zu machen."

Das Gesicht des Marschalls bestätigte alle Vermuthungen; aber der eng¬
lische General fuhr mit so viel Höflichkeit als möglich fort ihm das Gerücht
zu erzählen, um ihm so Gelegenheit zu geben, die Verabredung freiwillig rück¬
gängig zu machen, ohne eine demüthigende oder erbitternde Erklärung noth¬
wendig zu machen.

Der Marschall war verlegen, entgegnete aber in etwas scharfem Tone,
„er sei Obercommandirender des Heeres und wisse am besten, was die ihm
anvertrauten Interessen forderten; es sei allerdings wahr, daß er dem Gene¬
ral Lauriston auf den Wunsch des französischen Kaisers eine Zusammenkunft
für diese Nacht bewilligt habe und zwar unter den angegebenen Umständen,
um Aufsehen .zu vermeiden, welches Entstellung oder Mißverstehen der Beweg¬
gründe veranlassen könnte; er werde seine Zusage halten, die Vorschläge an¬
hören, welche General Lauriston zu machen ermächtigt sei, und nach ihrem
Inhalt die von ihm in Zukunft zu ergreifenden Maßregeln einrichten."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/497>, abgerufen am 25.08.2024.