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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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legenheiten die rohe Brutalität der südwestlichen Staaten nachahmt, wo man
sofort mit Bowiemesser und Revolver bei der Hand ist. In der Regel be¬
dürfen seine Zwistigkeiten einige Zeit, ehe sie soweit reisen, um Pistolenkugeln
als Früchte zu tragen, und wenn es zum Ende kommt, kämpfen die Be¬
treffenden mit einander wie Menschen von Lebensart, statt wie Tiger oder
Hyänen, die nur den Mord im Sinne haben. Aber es ist doch eigen, die
kühle Art zu beobachten, mit der hier selbst Frauen die Nothwendigkeit und
Wahrscheinlichkeit eines baldigen Zusammenstoßes zwischen feindlichen Parteien
unter einander besprechen.

Zu dieser Romantik gesellen sich im Charakter des Virginiers aber auch
wirkliche Vorzüge. Die Gesellschaft Richmonds und die auf dem Lande leben¬
den vornehmen Pflanzer sind im hohen Grade lebendig, warmherzig, gro߬
müthig und gastfrei. Wenn es überhaupt in Amerika, Boston etwa aus¬
genommen, nicht schwer fällt, Zutritt in die gute Gesellschaft zu finden, und
wenn es im Allgemeinen mit den Formalitäten nicht streng genommen wird,
die den socialen Verkehr regeln, so spielt in Virginien die Form vielleicht eine
geringere Rolle als irgend anderwärts. Man hält wenig vom Schein, man ist
von einer Offenheit und Treuherzigkeit, welche es selten zuläßt, daß einer der
Gesellschaft seinen wirklichen Charakter verbirgt. An keinem Orte der Welt
wol ist das sociale Leben so wenig eine Maskerade als in der Hauptstadt
Virginiens, an keinem tritt es dem Fremden liebenswürdiger entgegen.

Die Gründe hiervon sind leicht nachzuweisen. Sie liegen in der eigen¬
thümlichen Entwicklung, welche die amerikanische Gesellschaft in Virginien
durchgemacht bat. Das sociale System ist Hier von Einflüssen umgeben,
welche in den meisten andern Strichen der Union unbekannt oder doch nur
theilweise vorhanden sind. Allerdings trifft man viele sociale Eigenthümlich¬
keiten der virginischen Gesellschaft auch in benachbarten Staaten, vorzüglich
in Maryland und in Südcarolina an, und so kann Virginien nicht als die
einzige Ausnahme von dem allgemeinen Typus der amerikanischen Umgangs¬
weise angesehen werden. Aber es ist doch das auffallendste Beispiel und der
Urtypus der socialen Entwicklung, welche den Sklavenstaaten eigen ist. die
Züge sind feiner und weniger gemischt, und man kann in ihm das Höchste
und Beste sehen, was in dieser Beziehung von solchen Staaten erreicht wer¬
den kann.

(Schluß in nächster Nummer.)




legenheiten die rohe Brutalität der südwestlichen Staaten nachahmt, wo man
sofort mit Bowiemesser und Revolver bei der Hand ist. In der Regel be¬
dürfen seine Zwistigkeiten einige Zeit, ehe sie soweit reisen, um Pistolenkugeln
als Früchte zu tragen, und wenn es zum Ende kommt, kämpfen die Be¬
treffenden mit einander wie Menschen von Lebensart, statt wie Tiger oder
Hyänen, die nur den Mord im Sinne haben. Aber es ist doch eigen, die
kühle Art zu beobachten, mit der hier selbst Frauen die Nothwendigkeit und
Wahrscheinlichkeit eines baldigen Zusammenstoßes zwischen feindlichen Parteien
unter einander besprechen.

Zu dieser Romantik gesellen sich im Charakter des Virginiers aber auch
wirkliche Vorzüge. Die Gesellschaft Richmonds und die auf dem Lande leben¬
den vornehmen Pflanzer sind im hohen Grade lebendig, warmherzig, gro߬
müthig und gastfrei. Wenn es überhaupt in Amerika, Boston etwa aus¬
genommen, nicht schwer fällt, Zutritt in die gute Gesellschaft zu finden, und
wenn es im Allgemeinen mit den Formalitäten nicht streng genommen wird,
die den socialen Verkehr regeln, so spielt in Virginien die Form vielleicht eine
geringere Rolle als irgend anderwärts. Man hält wenig vom Schein, man ist
von einer Offenheit und Treuherzigkeit, welche es selten zuläßt, daß einer der
Gesellschaft seinen wirklichen Charakter verbirgt. An keinem Orte der Welt
wol ist das sociale Leben so wenig eine Maskerade als in der Hauptstadt
Virginiens, an keinem tritt es dem Fremden liebenswürdiger entgegen.

Die Gründe hiervon sind leicht nachzuweisen. Sie liegen in der eigen¬
thümlichen Entwicklung, welche die amerikanische Gesellschaft in Virginien
durchgemacht bat. Das sociale System ist Hier von Einflüssen umgeben,
welche in den meisten andern Strichen der Union unbekannt oder doch nur
theilweise vorhanden sind. Allerdings trifft man viele sociale Eigenthümlich¬
keiten der virginischen Gesellschaft auch in benachbarten Staaten, vorzüglich
in Maryland und in Südcarolina an, und so kann Virginien nicht als die
einzige Ausnahme von dem allgemeinen Typus der amerikanischen Umgangs¬
weise angesehen werden. Aber es ist doch das auffallendste Beispiel und der
Urtypus der socialen Entwicklung, welche den Sklavenstaaten eigen ist. die
Züge sind feiner und weniger gemischt, und man kann in ihm das Höchste
und Beste sehen, was in dieser Beziehung von solchen Staaten erreicht wer¬
den kann.

(Schluß in nächster Nummer.)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/478>, abgerufen am 29.06.2024.