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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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nur das Volk der östlichen und mittleren Countics; denn der Westen, wo nur
wenige Sklaven gehalten werden, gleicht in seinem Leben und Treiben, seinen
Anschauungen und Bestrebungen weit mehr den Staaten nördlich von Dixons und
Masons Linie, als der Osthälfte des eignen Staates. Von dem Osten und einem
Theil der Mitte gilt also auch vorzüglich, was im vorhergehenden Abschnitt über
die ökonomischen Zustande des Landes bemerkt wurde. Hier ist es. wo dem Eisen¬
bahnreisenden, der am Abend das betriebsame, unternehmungslustige Pennsyl.
parler mit seinen blühenden Städten und seinen lachenden Gefilden verließ, am
nächsten Morgen die Verkommenheit und die Stagnation des virginischen Wesens
ganz besonders auffüllig in die Augen springt. Alles mit Ausnahme einiger
schloßartigen Landhäuser großer Sklavenhalter erscheint verfallen und vernach¬
lässigt, das Ganze wie mit einem untilgbaren Mehlthau Übergossen. Aber
er hüte sich, der Fremde, seine Empfindung laut werden zu lassen. Kein
Amerikaner hält sein Heimathsland so hoch, keiner ist so fest davon überzeugt,
daß sein Staat der erste und hellste Stern am Himmel der Union ist, als der
Virginier. Wie wir sahen, gibt es einzelne Hellerblickende. die dieser Ueber¬
zeugung nicht huldigen, allein die Mehrzahl verhält sich, als ob sie noch im Jahr
N7K lebten, und scheint keine Augen dafür zu haben, daß die Welt außerhalb
der Grenzen des Potomac und Ohio sich ungeheuer verändert bat. Virginien
aber im Wesentlichen das alte geblieben ist. Man zehrt vom Ruhm der
Väter, wie ein herabgekommener Adeliger, und hält sich für bei Weitem
besser und glücklicher als das Krämer- und Handwerkervolk im Norden, das
sich Tag für Tag abarbeitet, sorgt und schmorgt und darüber nie dazu kommt,
guten Ton und anmuthige Sitte bei sich auszubilden.

Liebt es der Amerikaner überhaupt, den Fremden auf die Vorzüge seines
Landes aufmerksam zu machen und ihm die Bewunderung desselben förmlich
abzubringen, so ist der Virginier darin ganz vorzüglich stark und nicht leicht
verträgt er ein Nein auf Fragen, die auf Anerkennung solcher Vorzüge oder
auf Bestätigung stolzer Vergleiche berechnet sind. Es ist vorgekommen, daß
et die Lage Nichmonds mit Florenz verglich, und daß er andeutete, die Stadt
liege auf mehr Hügeln als das alte Rom, worin natürlich das Bewußtsein
sich verbarg, daß Richmond mehr als Rom zu bedeuten habe. Neben diesem
Stolz aus den Staat und dessen Hauptstadt ist man sodann auch nicht wenig
eingebildet auf gewisse moralische Borzüge, die man zu haben meint, und
namentlich auf das Prädicat der Ritterlichkeit, auf die feinen Begriffe von
^hre im engeren Sinne, die sich hier aus der "guten alten Zeit" der Duelle
ehalten haben. Es ist ein sehr strenger und peinlicher Comment ent-
standen, der große Vorsicht in der Wahl der Worte verlangt, und Beleidi¬
gungen, die anderwärts kaum beachtet würden, werden noch jeht oft mit Blut
gesühnt. Allerdings geschieht es selten, daß der Virginier bei solchen Ge-


nur das Volk der östlichen und mittleren Countics; denn der Westen, wo nur
wenige Sklaven gehalten werden, gleicht in seinem Leben und Treiben, seinen
Anschauungen und Bestrebungen weit mehr den Staaten nördlich von Dixons und
Masons Linie, als der Osthälfte des eignen Staates. Von dem Osten und einem
Theil der Mitte gilt also auch vorzüglich, was im vorhergehenden Abschnitt über
die ökonomischen Zustande des Landes bemerkt wurde. Hier ist es. wo dem Eisen¬
bahnreisenden, der am Abend das betriebsame, unternehmungslustige Pennsyl.
parler mit seinen blühenden Städten und seinen lachenden Gefilden verließ, am
nächsten Morgen die Verkommenheit und die Stagnation des virginischen Wesens
ganz besonders auffüllig in die Augen springt. Alles mit Ausnahme einiger
schloßartigen Landhäuser großer Sklavenhalter erscheint verfallen und vernach¬
lässigt, das Ganze wie mit einem untilgbaren Mehlthau Übergossen. Aber
er hüte sich, der Fremde, seine Empfindung laut werden zu lassen. Kein
Amerikaner hält sein Heimathsland so hoch, keiner ist so fest davon überzeugt,
daß sein Staat der erste und hellste Stern am Himmel der Union ist, als der
Virginier. Wie wir sahen, gibt es einzelne Hellerblickende. die dieser Ueber¬
zeugung nicht huldigen, allein die Mehrzahl verhält sich, als ob sie noch im Jahr
N7K lebten, und scheint keine Augen dafür zu haben, daß die Welt außerhalb
der Grenzen des Potomac und Ohio sich ungeheuer verändert bat. Virginien
aber im Wesentlichen das alte geblieben ist. Man zehrt vom Ruhm der
Väter, wie ein herabgekommener Adeliger, und hält sich für bei Weitem
besser und glücklicher als das Krämer- und Handwerkervolk im Norden, das
sich Tag für Tag abarbeitet, sorgt und schmorgt und darüber nie dazu kommt,
guten Ton und anmuthige Sitte bei sich auszubilden.

Liebt es der Amerikaner überhaupt, den Fremden auf die Vorzüge seines
Landes aufmerksam zu machen und ihm die Bewunderung desselben förmlich
abzubringen, so ist der Virginier darin ganz vorzüglich stark und nicht leicht
verträgt er ein Nein auf Fragen, die auf Anerkennung solcher Vorzüge oder
auf Bestätigung stolzer Vergleiche berechnet sind. Es ist vorgekommen, daß
et die Lage Nichmonds mit Florenz verglich, und daß er andeutete, die Stadt
liege auf mehr Hügeln als das alte Rom, worin natürlich das Bewußtsein
sich verbarg, daß Richmond mehr als Rom zu bedeuten habe. Neben diesem
Stolz aus den Staat und dessen Hauptstadt ist man sodann auch nicht wenig
eingebildet auf gewisse moralische Borzüge, die man zu haben meint, und
namentlich auf das Prädicat der Ritterlichkeit, auf die feinen Begriffe von
^hre im engeren Sinne, die sich hier aus der „guten alten Zeit" der Duelle
ehalten haben. Es ist ein sehr strenger und peinlicher Comment ent-
standen, der große Vorsicht in der Wahl der Worte verlangt, und Beleidi¬
gungen, die anderwärts kaum beachtet würden, werden noch jeht oft mit Blut
gesühnt. Allerdings geschieht es selten, daß der Virginier bei solchen Ge-


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[0477] nur das Volk der östlichen und mittleren Countics; denn der Westen, wo nur wenige Sklaven gehalten werden, gleicht in seinem Leben und Treiben, seinen Anschauungen und Bestrebungen weit mehr den Staaten nördlich von Dixons und Masons Linie, als der Osthälfte des eignen Staates. Von dem Osten und einem Theil der Mitte gilt also auch vorzüglich, was im vorhergehenden Abschnitt über die ökonomischen Zustande des Landes bemerkt wurde. Hier ist es. wo dem Eisen¬ bahnreisenden, der am Abend das betriebsame, unternehmungslustige Pennsyl. parler mit seinen blühenden Städten und seinen lachenden Gefilden verließ, am nächsten Morgen die Verkommenheit und die Stagnation des virginischen Wesens ganz besonders auffüllig in die Augen springt. Alles mit Ausnahme einiger schloßartigen Landhäuser großer Sklavenhalter erscheint verfallen und vernach¬ lässigt, das Ganze wie mit einem untilgbaren Mehlthau Übergossen. Aber er hüte sich, der Fremde, seine Empfindung laut werden zu lassen. Kein Amerikaner hält sein Heimathsland so hoch, keiner ist so fest davon überzeugt, daß sein Staat der erste und hellste Stern am Himmel der Union ist, als der Virginier. Wie wir sahen, gibt es einzelne Hellerblickende. die dieser Ueber¬ zeugung nicht huldigen, allein die Mehrzahl verhält sich, als ob sie noch im Jahr N7K lebten, und scheint keine Augen dafür zu haben, daß die Welt außerhalb der Grenzen des Potomac und Ohio sich ungeheuer verändert bat. Virginien aber im Wesentlichen das alte geblieben ist. Man zehrt vom Ruhm der Väter, wie ein herabgekommener Adeliger, und hält sich für bei Weitem besser und glücklicher als das Krämer- und Handwerkervolk im Norden, das sich Tag für Tag abarbeitet, sorgt und schmorgt und darüber nie dazu kommt, guten Ton und anmuthige Sitte bei sich auszubilden. Liebt es der Amerikaner überhaupt, den Fremden auf die Vorzüge seines Landes aufmerksam zu machen und ihm die Bewunderung desselben förmlich abzubringen, so ist der Virginier darin ganz vorzüglich stark und nicht leicht verträgt er ein Nein auf Fragen, die auf Anerkennung solcher Vorzüge oder auf Bestätigung stolzer Vergleiche berechnet sind. Es ist vorgekommen, daß et die Lage Nichmonds mit Florenz verglich, und daß er andeutete, die Stadt liege auf mehr Hügeln als das alte Rom, worin natürlich das Bewußtsein sich verbarg, daß Richmond mehr als Rom zu bedeuten habe. Neben diesem Stolz aus den Staat und dessen Hauptstadt ist man sodann auch nicht wenig eingebildet auf gewisse moralische Borzüge, die man zu haben meint, und namentlich auf das Prädicat der Ritterlichkeit, auf die feinen Begriffe von ^hre im engeren Sinne, die sich hier aus der „guten alten Zeit" der Duelle ehalten haben. Es ist ein sehr strenger und peinlicher Comment ent- standen, der große Vorsicht in der Wahl der Worte verlangt, und Beleidi¬ gungen, die anderwärts kaum beachtet würden, werden noch jeht oft mit Blut gesühnt. Allerdings geschieht es selten, daß der Virginier bei solchen Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/477>, abgerufen am 01.07.2024.