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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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innerung knüpft, und daß es nicht wohl gethan ist solche Erinnerungen aufzu¬
frischen. -- Erwidert uns aber die neue Linke: es ist nicht unsere Aufgabe
Staatsmänner zu liefern, sondern durch Abstimmen und Reden unsere Schuldig¬
keit zu thun; so haben wir dagegen nichts einzuwenden, nur wird sie dann
zugestehen müßen, daß sie allein nicht im Stande ist, Preußen vorwärts zu
bringen.

Abstimmen und Reden ist gut, aber ein wenig kommt doch auch darauf
an, was sich aus diesen Abstimmungen für ein Resultat ergibt. Die alte
Opposition der vorigen Legislatur hat darin auch ihre vollständige Schuldig¬
keit gethan, es ist aber damit nicht viel erreicht worden. Gesetzt, die ganze
liberale Partei stimmte mit der neuen Linken, so ist auch damit noch nichts
erreicht, da das Herrenhaus als gesetzlich gleichberechtigter Factor dem Hause
der Abgeordneten gegenüber steht. --

Der Majorität des Hauses der Abgeordneten den Vorwurf zu machen,
sie sei daran Schuld, daß so wenig verständige Gesetze sich durchgesetzt haben,
verräth entweder bösen Willen oder Gedankenlosigkeit, da eine Reihe sehr ver¬
ständiger Gesetze, von der Regierung eingebracht und von den Abgeordneten
genehmigt, im Herrenhaus ihr Grab gefunden haben. Es sind eine Reihe
Petitionen bald von dem einen, bald von dem andern Hause der Regierung
zur Berücksichtigung empfohlen werden, aber gesetzlich haben diese Empfehlungen
keine Wirkung; denn nicht was das eine oder das andere Haus beschließt,
sondern was beide Häuser gemeinschaftlich beschließen, ist nach der Verfassung
der Spruch des Landtags.

Ohne die Reform des Herrenhauses kommen wir in der Gesetzgebung
keinen Schritt weiter; diese Reform steht aber einzig und allein dem König
zu. Petitionen, Resolutionen u. s. w. haben nur eine moralische, keine ge¬
setzliche Wirkung. Wenn also die Majorität Anstand genommen hat, mit ihren
alten Parteigenossen, den Ministern, ohne Weiteres zu brechen, obgleich mit
ihrem Verfahren keineswegs einverstanden, so war das nicht bloß Gefügigkeit
oder Mangel an Entschluß, sondern das sehr berechtigte Zögern vor einer
bedenklichen Entscheidung. Nur durch die Minister kann dem König gesetzlich
der Rath eines neuen Pairschubs gegeben werden; dieser Rath wird schwer¬
lich ertheilt werden, wenn die gegenwärtigen Minister oder ihre etwaigen Nach¬
folger sich auf das Herrenhaus stützen müssen.

Wir sind keineswegs der Ansicht, daß solche Rücksichten unbedingt ma߬
gebend sein sollen; es gibt Augenblicke, wo man alle politische Klugheit bei
Seite werfen und nur der positiven Pflicht folgen muß, ohne Rücksicht auf die
Folgen. Auf die Folgen! wohlgemerkt nicht für uns, sondern für andere, für
das Vaterland! Denn daß jeder Abgeordnete im Stande ist, die Folgen, die
ihn persönlich treffen können, gering zu achten, das zu bezweifeln hat keiner


innerung knüpft, und daß es nicht wohl gethan ist solche Erinnerungen aufzu¬
frischen. — Erwidert uns aber die neue Linke: es ist nicht unsere Aufgabe
Staatsmänner zu liefern, sondern durch Abstimmen und Reden unsere Schuldig¬
keit zu thun; so haben wir dagegen nichts einzuwenden, nur wird sie dann
zugestehen müßen, daß sie allein nicht im Stande ist, Preußen vorwärts zu
bringen.

Abstimmen und Reden ist gut, aber ein wenig kommt doch auch darauf
an, was sich aus diesen Abstimmungen für ein Resultat ergibt. Die alte
Opposition der vorigen Legislatur hat darin auch ihre vollständige Schuldig¬
keit gethan, es ist aber damit nicht viel erreicht worden. Gesetzt, die ganze
liberale Partei stimmte mit der neuen Linken, so ist auch damit noch nichts
erreicht, da das Herrenhaus als gesetzlich gleichberechtigter Factor dem Hause
der Abgeordneten gegenüber steht. —

Der Majorität des Hauses der Abgeordneten den Vorwurf zu machen,
sie sei daran Schuld, daß so wenig verständige Gesetze sich durchgesetzt haben,
verräth entweder bösen Willen oder Gedankenlosigkeit, da eine Reihe sehr ver¬
ständiger Gesetze, von der Regierung eingebracht und von den Abgeordneten
genehmigt, im Herrenhaus ihr Grab gefunden haben. Es sind eine Reihe
Petitionen bald von dem einen, bald von dem andern Hause der Regierung
zur Berücksichtigung empfohlen werden, aber gesetzlich haben diese Empfehlungen
keine Wirkung; denn nicht was das eine oder das andere Haus beschließt,
sondern was beide Häuser gemeinschaftlich beschließen, ist nach der Verfassung
der Spruch des Landtags.

Ohne die Reform des Herrenhauses kommen wir in der Gesetzgebung
keinen Schritt weiter; diese Reform steht aber einzig und allein dem König
zu. Petitionen, Resolutionen u. s. w. haben nur eine moralische, keine ge¬
setzliche Wirkung. Wenn also die Majorität Anstand genommen hat, mit ihren
alten Parteigenossen, den Ministern, ohne Weiteres zu brechen, obgleich mit
ihrem Verfahren keineswegs einverstanden, so war das nicht bloß Gefügigkeit
oder Mangel an Entschluß, sondern das sehr berechtigte Zögern vor einer
bedenklichen Entscheidung. Nur durch die Minister kann dem König gesetzlich
der Rath eines neuen Pairschubs gegeben werden; dieser Rath wird schwer¬
lich ertheilt werden, wenn die gegenwärtigen Minister oder ihre etwaigen Nach¬
folger sich auf das Herrenhaus stützen müssen.

Wir sind keineswegs der Ansicht, daß solche Rücksichten unbedingt ma߬
gebend sein sollen; es gibt Augenblicke, wo man alle politische Klugheit bei
Seite werfen und nur der positiven Pflicht folgen muß, ohne Rücksicht auf die
Folgen. Auf die Folgen! wohlgemerkt nicht für uns, sondern für andere, für
das Vaterland! Denn daß jeder Abgeordnete im Stande ist, die Folgen, die
ihn persönlich treffen können, gering zu achten, das zu bezweifeln hat keiner


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[0463] innerung knüpft, und daß es nicht wohl gethan ist solche Erinnerungen aufzu¬ frischen. — Erwidert uns aber die neue Linke: es ist nicht unsere Aufgabe Staatsmänner zu liefern, sondern durch Abstimmen und Reden unsere Schuldig¬ keit zu thun; so haben wir dagegen nichts einzuwenden, nur wird sie dann zugestehen müßen, daß sie allein nicht im Stande ist, Preußen vorwärts zu bringen. Abstimmen und Reden ist gut, aber ein wenig kommt doch auch darauf an, was sich aus diesen Abstimmungen für ein Resultat ergibt. Die alte Opposition der vorigen Legislatur hat darin auch ihre vollständige Schuldig¬ keit gethan, es ist aber damit nicht viel erreicht worden. Gesetzt, die ganze liberale Partei stimmte mit der neuen Linken, so ist auch damit noch nichts erreicht, da das Herrenhaus als gesetzlich gleichberechtigter Factor dem Hause der Abgeordneten gegenüber steht. — Der Majorität des Hauses der Abgeordneten den Vorwurf zu machen, sie sei daran Schuld, daß so wenig verständige Gesetze sich durchgesetzt haben, verräth entweder bösen Willen oder Gedankenlosigkeit, da eine Reihe sehr ver¬ ständiger Gesetze, von der Regierung eingebracht und von den Abgeordneten genehmigt, im Herrenhaus ihr Grab gefunden haben. Es sind eine Reihe Petitionen bald von dem einen, bald von dem andern Hause der Regierung zur Berücksichtigung empfohlen werden, aber gesetzlich haben diese Empfehlungen keine Wirkung; denn nicht was das eine oder das andere Haus beschließt, sondern was beide Häuser gemeinschaftlich beschließen, ist nach der Verfassung der Spruch des Landtags. Ohne die Reform des Herrenhauses kommen wir in der Gesetzgebung keinen Schritt weiter; diese Reform steht aber einzig und allein dem König zu. Petitionen, Resolutionen u. s. w. haben nur eine moralische, keine ge¬ setzliche Wirkung. Wenn also die Majorität Anstand genommen hat, mit ihren alten Parteigenossen, den Ministern, ohne Weiteres zu brechen, obgleich mit ihrem Verfahren keineswegs einverstanden, so war das nicht bloß Gefügigkeit oder Mangel an Entschluß, sondern das sehr berechtigte Zögern vor einer bedenklichen Entscheidung. Nur durch die Minister kann dem König gesetzlich der Rath eines neuen Pairschubs gegeben werden; dieser Rath wird schwer¬ lich ertheilt werden, wenn die gegenwärtigen Minister oder ihre etwaigen Nach¬ folger sich auf das Herrenhaus stützen müssen. Wir sind keineswegs der Ansicht, daß solche Rücksichten unbedingt ma߬ gebend sein sollen; es gibt Augenblicke, wo man alle politische Klugheit bei Seite werfen und nur der positiven Pflicht folgen muß, ohne Rücksicht auf die Folgen. Auf die Folgen! wohlgemerkt nicht für uns, sondern für andere, für das Vaterland! Denn daß jeder Abgeordnete im Stande ist, die Folgen, die ihn persönlich treffen können, gering zu achten, das zu bezweifeln hat keiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/463>, abgerufen am 25.08.2024.