Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Tod Cavours.

Was gibt es Alltäglicheres auf der Welt als den Tod? Und doch er¬
schüttert es uns jedesmal, sobald wir ihm begegnen. Sobald wir ihm be¬
gegnen im Kreise derer, die unserm Herzen nahe stehen, im Kreise derer, die
unsere Phantasie beschäftigen.

Es ist ein großer Name, den er ausgelöscht hat aus dem Buch der
Lebendigen, ein Name, der in den künftigen Volksliedern Italiens verherrlicht,
der von der Geschichte unter die größten gezählt werden wird. Und dies Ge¬
fühl ist ganz allgemein. Vielleicht kein Mann hatte so viel Feinde als Cavour,
aber bei seinem Tode ist kein niederträchtig Wort gefallen; in diesem ernsten
Augenblick verstummt der Haß und ein leiser Schauer geht über Europa.

Wenn die Geschichte, wenn die Sage von denen erzählt, welche "dem
Vaterland ihre große Seele verschwendeten", so denkt sie gewöhnlich nur an
die Schlachtfelder, an das unmittelbar vergossene Blut; aber Cavour ist ebenso
für seine Sache gefallen, wie ein Held an der Spitze seiner Armee. In nächt¬
licher, ruheloser Arbeit in seinem Cabinet hat er die edlen Kräfte 'seiner Seele
ausgegeben, in furchtbarer, unablässiger Spannung, in Sorge und Zorn hat
er sich aufgerieben. Nicht um einen geringen Preis tritt man in die Geschichte
ein: die Nemesis fordert dafür etwas von dem, was die Menschen stilles Glück
nennen.

Nur für eine Sache hat er gelebt, und es war ein starkes Leben. Die
Staatskunst ist fast eine so verwickelte Sache geworden wie die Wissenschaften,
und wie es in der Philologie kaum noch einen Gelehrten gibt, der alle Zweige
beherrschte, so sind die Staatsmänner fast durchweg nur nach einer Seite hin
ausgebildet. Cavour macht eine Ausnahme: alle Zweige der Verhandlung
hat er geleitet, in allen ist er schöpferisch gewesen, alle hat er seinem großen
Zweck dienstbar gemacht.

Wenn man nur die Mill'el in Erwägung zieht, deren er sich bediente,
so wird man zuweilen an italienische Staatsmänner der vorigen Jahrhunderte
erinnert; an Alberoni u. s. w>. aber es ist ein himmelweiter Unterschied.


Grenzboten II, 13VI, 56
Der Tod Cavours.

Was gibt es Alltäglicheres auf der Welt als den Tod? Und doch er¬
schüttert es uns jedesmal, sobald wir ihm begegnen. Sobald wir ihm be¬
gegnen im Kreise derer, die unserm Herzen nahe stehen, im Kreise derer, die
unsere Phantasie beschäftigen.

Es ist ein großer Name, den er ausgelöscht hat aus dem Buch der
Lebendigen, ein Name, der in den künftigen Volksliedern Italiens verherrlicht,
der von der Geschichte unter die größten gezählt werden wird. Und dies Ge¬
fühl ist ganz allgemein. Vielleicht kein Mann hatte so viel Feinde als Cavour,
aber bei seinem Tode ist kein niederträchtig Wort gefallen; in diesem ernsten
Augenblick verstummt der Haß und ein leiser Schauer geht über Europa.

Wenn die Geschichte, wenn die Sage von denen erzählt, welche „dem
Vaterland ihre große Seele verschwendeten", so denkt sie gewöhnlich nur an
die Schlachtfelder, an das unmittelbar vergossene Blut; aber Cavour ist ebenso
für seine Sache gefallen, wie ein Held an der Spitze seiner Armee. In nächt¬
licher, ruheloser Arbeit in seinem Cabinet hat er die edlen Kräfte 'seiner Seele
ausgegeben, in furchtbarer, unablässiger Spannung, in Sorge und Zorn hat
er sich aufgerieben. Nicht um einen geringen Preis tritt man in die Geschichte
ein: die Nemesis fordert dafür etwas von dem, was die Menschen stilles Glück
nennen.

Nur für eine Sache hat er gelebt, und es war ein starkes Leben. Die
Staatskunst ist fast eine so verwickelte Sache geworden wie die Wissenschaften,
und wie es in der Philologie kaum noch einen Gelehrten gibt, der alle Zweige
beherrschte, so sind die Staatsmänner fast durchweg nur nach einer Seite hin
ausgebildet. Cavour macht eine Ausnahme: alle Zweige der Verhandlung
hat er geleitet, in allen ist er schöpferisch gewesen, alle hat er seinem großen
Zweck dienstbar gemacht.

Wenn man nur die Mill'el in Erwägung zieht, deren er sich bediente,
so wird man zuweilen an italienische Staatsmänner der vorigen Jahrhunderte
erinnert; an Alberoni u. s. w>. aber es ist ein himmelweiter Unterschied.


Grenzboten II, 13VI, 56
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111883"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Tod Cavours.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1584"> Was gibt es Alltäglicheres auf der Welt als den Tod? Und doch er¬<lb/>
schüttert es uns jedesmal, sobald wir ihm begegnen. Sobald wir ihm be¬<lb/>
gegnen im Kreise derer, die unserm Herzen nahe stehen, im Kreise derer, die<lb/>
unsere Phantasie beschäftigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1585"> Es ist ein großer Name, den er ausgelöscht hat aus dem Buch der<lb/>
Lebendigen, ein Name, der in den künftigen Volksliedern Italiens verherrlicht,<lb/>
der von der Geschichte unter die größten gezählt werden wird. Und dies Ge¬<lb/>
fühl ist ganz allgemein. Vielleicht kein Mann hatte so viel Feinde als Cavour,<lb/>
aber bei seinem Tode ist kein niederträchtig Wort gefallen; in diesem ernsten<lb/>
Augenblick verstummt der Haß und ein leiser Schauer geht über Europa.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1586"> Wenn die Geschichte, wenn die Sage von denen erzählt, welche &#x201E;dem<lb/>
Vaterland ihre große Seele verschwendeten", so denkt sie gewöhnlich nur an<lb/>
die Schlachtfelder, an das unmittelbar vergossene Blut; aber Cavour ist ebenso<lb/>
für seine Sache gefallen, wie ein Held an der Spitze seiner Armee. In nächt¬<lb/>
licher, ruheloser Arbeit in seinem Cabinet hat er die edlen Kräfte 'seiner Seele<lb/>
ausgegeben, in furchtbarer, unablässiger Spannung, in Sorge und Zorn hat<lb/>
er sich aufgerieben. Nicht um einen geringen Preis tritt man in die Geschichte<lb/>
ein: die Nemesis fordert dafür etwas von dem, was die Menschen stilles Glück<lb/>
nennen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1587"> Nur für eine Sache hat er gelebt, und es war ein starkes Leben. Die<lb/>
Staatskunst ist fast eine so verwickelte Sache geworden wie die Wissenschaften,<lb/>
und wie es in der Philologie kaum noch einen Gelehrten gibt, der alle Zweige<lb/>
beherrschte, so sind die Staatsmänner fast durchweg nur nach einer Seite hin<lb/>
ausgebildet. Cavour macht eine Ausnahme: alle Zweige der Verhandlung<lb/>
hat er geleitet, in allen ist er schöpferisch gewesen, alle hat er seinem großen<lb/>
Zweck dienstbar gemacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1588" next="#ID_1589"> Wenn man nur die Mill'el in Erwägung zieht, deren er sich bediente,<lb/>
so wird man zuweilen an italienische Staatsmänner der vorigen Jahrhunderte<lb/>
erinnert; an Alberoni u. s. w&gt;. aber es ist ein himmelweiter Unterschied.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II, 13VI, 56</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0451] Der Tod Cavours. Was gibt es Alltäglicheres auf der Welt als den Tod? Und doch er¬ schüttert es uns jedesmal, sobald wir ihm begegnen. Sobald wir ihm be¬ gegnen im Kreise derer, die unserm Herzen nahe stehen, im Kreise derer, die unsere Phantasie beschäftigen. Es ist ein großer Name, den er ausgelöscht hat aus dem Buch der Lebendigen, ein Name, der in den künftigen Volksliedern Italiens verherrlicht, der von der Geschichte unter die größten gezählt werden wird. Und dies Ge¬ fühl ist ganz allgemein. Vielleicht kein Mann hatte so viel Feinde als Cavour, aber bei seinem Tode ist kein niederträchtig Wort gefallen; in diesem ernsten Augenblick verstummt der Haß und ein leiser Schauer geht über Europa. Wenn die Geschichte, wenn die Sage von denen erzählt, welche „dem Vaterland ihre große Seele verschwendeten", so denkt sie gewöhnlich nur an die Schlachtfelder, an das unmittelbar vergossene Blut; aber Cavour ist ebenso für seine Sache gefallen, wie ein Held an der Spitze seiner Armee. In nächt¬ licher, ruheloser Arbeit in seinem Cabinet hat er die edlen Kräfte 'seiner Seele ausgegeben, in furchtbarer, unablässiger Spannung, in Sorge und Zorn hat er sich aufgerieben. Nicht um einen geringen Preis tritt man in die Geschichte ein: die Nemesis fordert dafür etwas von dem, was die Menschen stilles Glück nennen. Nur für eine Sache hat er gelebt, und es war ein starkes Leben. Die Staatskunst ist fast eine so verwickelte Sache geworden wie die Wissenschaften, und wie es in der Philologie kaum noch einen Gelehrten gibt, der alle Zweige beherrschte, so sind die Staatsmänner fast durchweg nur nach einer Seite hin ausgebildet. Cavour macht eine Ausnahme: alle Zweige der Verhandlung hat er geleitet, in allen ist er schöpferisch gewesen, alle hat er seinem großen Zweck dienstbar gemacht. Wenn man nur die Mill'el in Erwägung zieht, deren er sich bediente, so wird man zuweilen an italienische Staatsmänner der vorigen Jahrhunderte erinnert; an Alberoni u. s. w>. aber es ist ein himmelweiter Unterschied. Grenzboten II, 13VI, 56

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/451
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/451>, abgerufen am 22.07.2024.