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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Jene folgten einer ehrgeizigen Grille, um derenwillen sie die Welt in Be¬
wegung setzten, die aber mit ihnen unterging, weil sie kein eigenes Leben
hatte; Cavour faßte den Gedanken seiner Nation, dem er den richtigen Aus¬
druck gab, von Leidenschaften und unklaren Stimmungen gereinigt, und dieser
Gedanke, dem er mit vollständiger Selbstverleugnung seine ganze Seele dienst¬
bar machte, wird ihn überleben, denn er war lebendig an und für sich.

Der Gedanke der Befreiung Italiens schwebte ihm nicht in unbestimmten
Umrissen vor, er hatte sich über die schrittweise Verfolgung des Ziels und
über die Mittel, die dahin führten, eine deutliche Vorstellung entworfen und
hielt an ihr mit eiserner Zähigkeit fest.

Aber darin liegt seine Größe, daß diese Bestimmtheit im Wollen und
Entwerfen seinen Blick nicht einseitig machte. Er behielt für Alles, was ge¬
schah, die Augen offen. Kein Umstand, den er benutzen konnte, entging seinem
Scharfblick. Er wußte, daß die mannichfaltigsten Kräfte nothwendig wären,
das große Werk zu Stande zu bringen, und er gönnte ihnen einen weiten
Spielraum; es schien als ob er ihnen folgte, sich von ihnen treiben oder
ziehen ließ. Und es waren wilde Kräfte, die sich unmuthig gegen seine Zucht
auflehnten: aber den Zügel behielt der gewaltige Mensch fest in den Händen,
und wenn auch knirschend, mußten sie dahin, wo er es gebot. Alle, mit denen
er zu thun hatte, waren in äußerer Macht oder im Temperament stärker als
er: Napoleon, Victor Emanuel, Garibaldi; durch seinen Geist hat er sie alle
beherrscht.

Sein Tod macht eine furchtbare Lücke. Niemand ist da sie auszufüllen,
und Europa ist wahrlich nicht so reich an großen Männern um diesen Verlust
leicht zu verschmerzen. Aber weil die Idee, .der er sein Leben weihte dem
Boden der Wirklichkeit angehörte, weil er ihr die Bahn mit einer Bestimmtheit
vorgezeichnet hat, der kein Eigenwille sich entziehen kann: so denken wir über
die Zukunft derselben wie er aus seinem Todtenbett: die Vorsehung wird sie
51' zu der ihrigen machen.




Jene folgten einer ehrgeizigen Grille, um derenwillen sie die Welt in Be¬
wegung setzten, die aber mit ihnen unterging, weil sie kein eigenes Leben
hatte; Cavour faßte den Gedanken seiner Nation, dem er den richtigen Aus¬
druck gab, von Leidenschaften und unklaren Stimmungen gereinigt, und dieser
Gedanke, dem er mit vollständiger Selbstverleugnung seine ganze Seele dienst¬
bar machte, wird ihn überleben, denn er war lebendig an und für sich.

Der Gedanke der Befreiung Italiens schwebte ihm nicht in unbestimmten
Umrissen vor, er hatte sich über die schrittweise Verfolgung des Ziels und
über die Mittel, die dahin führten, eine deutliche Vorstellung entworfen und
hielt an ihr mit eiserner Zähigkeit fest.

Aber darin liegt seine Größe, daß diese Bestimmtheit im Wollen und
Entwerfen seinen Blick nicht einseitig machte. Er behielt für Alles, was ge¬
schah, die Augen offen. Kein Umstand, den er benutzen konnte, entging seinem
Scharfblick. Er wußte, daß die mannichfaltigsten Kräfte nothwendig wären,
das große Werk zu Stande zu bringen, und er gönnte ihnen einen weiten
Spielraum; es schien als ob er ihnen folgte, sich von ihnen treiben oder
ziehen ließ. Und es waren wilde Kräfte, die sich unmuthig gegen seine Zucht
auflehnten: aber den Zügel behielt der gewaltige Mensch fest in den Händen,
und wenn auch knirschend, mußten sie dahin, wo er es gebot. Alle, mit denen
er zu thun hatte, waren in äußerer Macht oder im Temperament stärker als
er: Napoleon, Victor Emanuel, Garibaldi; durch seinen Geist hat er sie alle
beherrscht.

Sein Tod macht eine furchtbare Lücke. Niemand ist da sie auszufüllen,
und Europa ist wahrlich nicht so reich an großen Männern um diesen Verlust
leicht zu verschmerzen. Aber weil die Idee, .der er sein Leben weihte dem
Boden der Wirklichkeit angehörte, weil er ihr die Bahn mit einer Bestimmtheit
vorgezeichnet hat, der kein Eigenwille sich entziehen kann: so denken wir über
die Zukunft derselben wie er aus seinem Todtenbett: die Vorsehung wird sie
51' zu der ihrigen machen.




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[0452] Jene folgten einer ehrgeizigen Grille, um derenwillen sie die Welt in Be¬ wegung setzten, die aber mit ihnen unterging, weil sie kein eigenes Leben hatte; Cavour faßte den Gedanken seiner Nation, dem er den richtigen Aus¬ druck gab, von Leidenschaften und unklaren Stimmungen gereinigt, und dieser Gedanke, dem er mit vollständiger Selbstverleugnung seine ganze Seele dienst¬ bar machte, wird ihn überleben, denn er war lebendig an und für sich. Der Gedanke der Befreiung Italiens schwebte ihm nicht in unbestimmten Umrissen vor, er hatte sich über die schrittweise Verfolgung des Ziels und über die Mittel, die dahin führten, eine deutliche Vorstellung entworfen und hielt an ihr mit eiserner Zähigkeit fest. Aber darin liegt seine Größe, daß diese Bestimmtheit im Wollen und Entwerfen seinen Blick nicht einseitig machte. Er behielt für Alles, was ge¬ schah, die Augen offen. Kein Umstand, den er benutzen konnte, entging seinem Scharfblick. Er wußte, daß die mannichfaltigsten Kräfte nothwendig wären, das große Werk zu Stande zu bringen, und er gönnte ihnen einen weiten Spielraum; es schien als ob er ihnen folgte, sich von ihnen treiben oder ziehen ließ. Und es waren wilde Kräfte, die sich unmuthig gegen seine Zucht auflehnten: aber den Zügel behielt der gewaltige Mensch fest in den Händen, und wenn auch knirschend, mußten sie dahin, wo er es gebot. Alle, mit denen er zu thun hatte, waren in äußerer Macht oder im Temperament stärker als er: Napoleon, Victor Emanuel, Garibaldi; durch seinen Geist hat er sie alle beherrscht. Sein Tod macht eine furchtbare Lücke. Niemand ist da sie auszufüllen, und Europa ist wahrlich nicht so reich an großen Männern um diesen Verlust leicht zu verschmerzen. Aber weil die Idee, .der er sein Leben weihte dem Boden der Wirklichkeit angehörte, weil er ihr die Bahn mit einer Bestimmtheit vorgezeichnet hat, der kein Eigenwille sich entziehen kann: so denken wir über die Zukunft derselben wie er aus seinem Todtenbett: die Vorsehung wird sie 51' zu der ihrigen machen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/452>, abgerufen am 24.08.2024.