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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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lich waren, in seiner kleinen Hütte, ließ das Glas herumgehen und erzählte,
scherzte und kritisirte.

"Wann und wo beerdigt man die Gefallenen"? fragte ich einmal bei sol¬
cher Gelegenheit. "Auf dem Kirchhofe natürlicherweise", erwiderte ein ange¬
hender Witzbold. -- "Versteht sich mit militärischen Ceremonien?" fuhr ich fort.
-- "Das ist hier nicht Mode". -- "Der letzte Beweis von Achtung wenig¬
stens," meinte ich. -- "Solche Dinge kennt man bei uns nicht." -- Die Antwort
kam nur ein wenig zweideutig vor.

"Möchte wissen, ob diese guten Neapolitaner da drüben uns nicht einmal
mit einem ordentlichen Angriff aufwarten werden. Wir liegen hier beinahe ohne
alle Verschanzungen, ohne viel Artillerie. In der Festung stehen an zehntausend
Mann reguläre Truppen, und sie versuchen nicht ein Mal, uns über den Hau¬
fen zu werfen." -- "Sie würden schön anlaufen gegen unsere Bayonette und
ihre Köpfe eine sehr unbequeme Bekanntschaft machen mit unseren Gewehr¬
kolben," erwiederte lebhaft ein Italiener.

"Jetzt gibt's Gelegenheit, intenäL!" rief ich aus, auf die Gegend zeigend,
wo soeben einige Flintenschüsse gefallen waren. Der Italiener sprang auf
und eilte in die Nacht hinaus zu seiner Compagnie. Die meisten andern,
Leute von ruhigerem Blut, blieben sitzen. Wieder war Alles ruhig, und man
hörte nur die Schritte einer ausmnrschirenden kleinen Abtheilung, die beordert
war zu recognosciren.

"Ein Paar Patrouillen haben einander begegnet. Immer und überall
dieselben Störenfriede." sagte der Italiener zurückkehrend.

"Und nie was Ernstes!" --

"Kann auch sein, daß sie auf eine Ziege geschossen. Haben sie in diesem
Dunkel gut getroffen, so hat der Bauer morgen früh einen unerwarteten Bra¬
ten." -- "Und wir etwas Milch weniger," sagte ein Anderer.

In dieser Weise ging es fort, bis der Oberbefehlshaber sich entschloß,
das Bombardement der Festung zu eröffnen. Es war eine Anzahl von Bat¬
terien erbaut und aus den Arsenälen Neapels mit Geschützen armirt worden.
Die Tragfähigkeit der letzteren schien mir nicht recht im Verhältniß zu stehen
zu der Entfernung der Batterie" von Capua, und so erwartete ich den Tag
mit doppelter Spannung. Derselbe brach endlich an, und Nachmittags den
4. November donnerte der erste Schuß gegen die Festung, die bald darauf
antwortete. Ich enthalte mich eines ausführlichen Berichts über das Bom¬
bardement. Die Infanterie hat bei solchen Gelegenheiten nicht viel mehr zu
thun als den Flug der Bomben in der Luft zu verfolgen und sich für einen
Ausfall bereit zu halten. Das Feuer der Festung that uns wenig Schaden.
Auch wir schienen am ersten Tage nicht besonders viel zu treffen, am zweiten
aber sah ich deutlich das Aufspritzen des Volturno, wo unsere Kugeln in ihn


lich waren, in seiner kleinen Hütte, ließ das Glas herumgehen und erzählte,
scherzte und kritisirte.

„Wann und wo beerdigt man die Gefallenen"? fragte ich einmal bei sol¬
cher Gelegenheit. „Auf dem Kirchhofe natürlicherweise", erwiderte ein ange¬
hender Witzbold. — „Versteht sich mit militärischen Ceremonien?" fuhr ich fort.
— „Das ist hier nicht Mode". — „Der letzte Beweis von Achtung wenig¬
stens," meinte ich. — „Solche Dinge kennt man bei uns nicht." — Die Antwort
kam nur ein wenig zweideutig vor.

„Möchte wissen, ob diese guten Neapolitaner da drüben uns nicht einmal
mit einem ordentlichen Angriff aufwarten werden. Wir liegen hier beinahe ohne
alle Verschanzungen, ohne viel Artillerie. In der Festung stehen an zehntausend
Mann reguläre Truppen, und sie versuchen nicht ein Mal, uns über den Hau¬
fen zu werfen." — „Sie würden schön anlaufen gegen unsere Bayonette und
ihre Köpfe eine sehr unbequeme Bekanntschaft machen mit unseren Gewehr¬
kolben," erwiederte lebhaft ein Italiener.

„Jetzt gibt's Gelegenheit, intenäL!" rief ich aus, auf die Gegend zeigend,
wo soeben einige Flintenschüsse gefallen waren. Der Italiener sprang auf
und eilte in die Nacht hinaus zu seiner Compagnie. Die meisten andern,
Leute von ruhigerem Blut, blieben sitzen. Wieder war Alles ruhig, und man
hörte nur die Schritte einer ausmnrschirenden kleinen Abtheilung, die beordert
war zu recognosciren.

„Ein Paar Patrouillen haben einander begegnet. Immer und überall
dieselben Störenfriede." sagte der Italiener zurückkehrend.

„Und nie was Ernstes!" —

„Kann auch sein, daß sie auf eine Ziege geschossen. Haben sie in diesem
Dunkel gut getroffen, so hat der Bauer morgen früh einen unerwarteten Bra¬
ten." — „Und wir etwas Milch weniger," sagte ein Anderer.

In dieser Weise ging es fort, bis der Oberbefehlshaber sich entschloß,
das Bombardement der Festung zu eröffnen. Es war eine Anzahl von Bat¬
terien erbaut und aus den Arsenälen Neapels mit Geschützen armirt worden.
Die Tragfähigkeit der letzteren schien mir nicht recht im Verhältniß zu stehen
zu der Entfernung der Batterie» von Capua, und so erwartete ich den Tag
mit doppelter Spannung. Derselbe brach endlich an, und Nachmittags den
4. November donnerte der erste Schuß gegen die Festung, die bald darauf
antwortete. Ich enthalte mich eines ausführlichen Berichts über das Bom¬
bardement. Die Infanterie hat bei solchen Gelegenheiten nicht viel mehr zu
thun als den Flug der Bomben in der Luft zu verfolgen und sich für einen
Ausfall bereit zu halten. Das Feuer der Festung that uns wenig Schaden.
Auch wir schienen am ersten Tage nicht besonders viel zu treffen, am zweiten
aber sah ich deutlich das Aufspritzen des Volturno, wo unsere Kugeln in ihn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/442>, abgerufen am 01.07.2024.