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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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rath nicht durchgelassen werden konnten. Auf dem Gipfel des Berges fandcp
wir ihn. Die Spitze hatte man auf der äußeren Seite mit einer kleinen
Mauer umgeben, und man hatte von hier die beste Aussicht über die ganze
Campagna bis in die Festung selbst hinein. Einen besseren Platz zur Be¬
obachtung konnte man nicht wählen. Ein Mann war bei dem aufgestellten
Fernrohre, welches beiläufig gute Dimensionen hatte, unaufhörlich mit Obser-
viren beschäftigt. Einige Mann zur Ablösung desselben nebst zwei oder drei
Adjutanten machten die ganze Umgebung des Generals aus. Der Major
meldete den Wunsch der Bauern, Garibaldi gewährte ihn, und dankbar und
froh begaben sie sich auf ihr Feld. Unangemeldet trat ich vor.

Der General saß auf einem Felsenblock, Weintrauben und Brot essend.
So kurz wie möglich trug ich mein Gesuch vor. Ebenso kurz, aber in wohl¬
wollendem Tone antwortete er: "Mein Freund, ich habe Offiziere genug,
leider brauche ich Soldaten. Ich kann übrigens selbst nichts thun. Kennen
Sie Türr, so kann er mehr thun als ich." Als ich mich vor ihn gestellt,
hatte ich außer Acht gelassen, daß ich keine zwei Fuß hinter mir einen steilen
und ziemlich tiefen Abhang hatte. Während ich sprach trat ich zurück, und
war auf dem Wege hinunterzustürzen. Er streckte die Hand aus: "Non Ilion,
pi-viuÄ Mräö, ^lousivur -- ki-hö^vis von"." Ich setzte gelassen meine Rede
fort, ohne mich zu rühren. Der General aber sah mich an und wiederholte
sein gutherziges: asse^W vous.

"Ich habe Offiziere genug." Dies wußte ich leider schon, dennoch hörte
ichs aus diesem Munde und in diesem Tone beinahe gern noch einmal. Er
schien Niemand etwas rundweg abschlagen zu können. Er, wollte auch meine
Bitte nicht abschlagen, wenn ein Anderer der Meinung war, daß ich Ver¬
wendung finden könne.

Kriegsminister war in dieser Zeit der General Cosenz, eine Persönlichkeit,
die als Soldat und Mensch gleich achtungswerth war. Sein Aeußeres ist
stattlich, und sein römisches Gesicht mit der hohen Stirn drückt Entschieden¬
heit und Willenskraft aus. Soldat und Patriot durch und durch, hatte er
keinen Augenblick gezögert, seine Stellung als Oberst in der sardinischen Armee
zu verlassen, um an dem Befreiungskampf unter Garibaldi Theil zu nehmen.
Durch republicanische Offenheit und strenge Rechtlichkeit empfahl er sich wie
wenige Andere zur Verwaltung. Daß er zu organisiren verstand, hatte er,
allerdings nur in kleinerem Maßstabe, durch seine Division gezeigt, welche zu
den am besten geordneten und tüchtigsten von allen gehörte. Seiner Um¬
gebung nach zu urtheilen, besaß er den Blick, der fähige Leute an den rech¬
ten Ort zu stellen weiß. Wenn es dennoch mit der Organisation der Armee
nicht recht vorwärts gehen wollte, so war es nicht die Schuld des Ministers.
Die Ursachen davon lagen vielmehr in den Verhältnissen. Das Heer bestand


rath nicht durchgelassen werden konnten. Auf dem Gipfel des Berges fandcp
wir ihn. Die Spitze hatte man auf der äußeren Seite mit einer kleinen
Mauer umgeben, und man hatte von hier die beste Aussicht über die ganze
Campagna bis in die Festung selbst hinein. Einen besseren Platz zur Be¬
obachtung konnte man nicht wählen. Ein Mann war bei dem aufgestellten
Fernrohre, welches beiläufig gute Dimensionen hatte, unaufhörlich mit Obser-
viren beschäftigt. Einige Mann zur Ablösung desselben nebst zwei oder drei
Adjutanten machten die ganze Umgebung des Generals aus. Der Major
meldete den Wunsch der Bauern, Garibaldi gewährte ihn, und dankbar und
froh begaben sie sich auf ihr Feld. Unangemeldet trat ich vor.

Der General saß auf einem Felsenblock, Weintrauben und Brot essend.
So kurz wie möglich trug ich mein Gesuch vor. Ebenso kurz, aber in wohl¬
wollendem Tone antwortete er: „Mein Freund, ich habe Offiziere genug,
leider brauche ich Soldaten. Ich kann übrigens selbst nichts thun. Kennen
Sie Türr, so kann er mehr thun als ich." Als ich mich vor ihn gestellt,
hatte ich außer Acht gelassen, daß ich keine zwei Fuß hinter mir einen steilen
und ziemlich tiefen Abhang hatte. Während ich sprach trat ich zurück, und
war auf dem Wege hinunterzustürzen. Er streckte die Hand aus: „Non Ilion,
pi-viuÄ Mräö, ^lousivur — ki-hö^vis von«." Ich setzte gelassen meine Rede
fort, ohne mich zu rühren. Der General aber sah mich an und wiederholte
sein gutherziges: asse^W vous.

„Ich habe Offiziere genug." Dies wußte ich leider schon, dennoch hörte
ichs aus diesem Munde und in diesem Tone beinahe gern noch einmal. Er
schien Niemand etwas rundweg abschlagen zu können. Er, wollte auch meine
Bitte nicht abschlagen, wenn ein Anderer der Meinung war, daß ich Ver¬
wendung finden könne.

Kriegsminister war in dieser Zeit der General Cosenz, eine Persönlichkeit,
die als Soldat und Mensch gleich achtungswerth war. Sein Aeußeres ist
stattlich, und sein römisches Gesicht mit der hohen Stirn drückt Entschieden¬
heit und Willenskraft aus. Soldat und Patriot durch und durch, hatte er
keinen Augenblick gezögert, seine Stellung als Oberst in der sardinischen Armee
zu verlassen, um an dem Befreiungskampf unter Garibaldi Theil zu nehmen.
Durch republicanische Offenheit und strenge Rechtlichkeit empfahl er sich wie
wenige Andere zur Verwaltung. Daß er zu organisiren verstand, hatte er,
allerdings nur in kleinerem Maßstabe, durch seine Division gezeigt, welche zu
den am besten geordneten und tüchtigsten von allen gehörte. Seiner Um¬
gebung nach zu urtheilen, besaß er den Blick, der fähige Leute an den rech¬
ten Ort zu stellen weiß. Wenn es dennoch mit der Organisation der Armee
nicht recht vorwärts gehen wollte, so war es nicht die Schuld des Ministers.
Die Ursachen davon lagen vielmehr in den Verhältnissen. Das Heer bestand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/440>, abgerufen am 22.07.2024.