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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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die man sich nicht sträuben darf. Nach dieser Seite kann nun freilich die
preußische Regierung nichts thun; wol aber muß sie einen anderen sehr ern¬
sten Punkt in's Auge fassen.

Nirgend ist die Antipathie gegen Preußen so groß als im Militär.
Zum Theil beruht sie auf dem oben erwähnten Vorurtheil, aber sie hat auch
"och einen positiven Grund. Es ist sehr natürlich, daß sich das Bewußtsein
der Schlachten von Roßbach, Leuthen und wie sie alle heißen, bei jeden
Einzelnen geltend macht, der den Fahnen folgt, welche jene großen Tage ge¬
sehen haben, und daß auch da. wo keine Beleidigung beabsichtigt wird, ein
stilles Gefühl der Superiorität sich unter der schwarz-weißen Cocarde regt. Dies
Gefühl ist ein so wichtiges moralisches Moment, daß wir es um Alles in der Welt
nicht verkümmern möchten; aber von Seiten der preußischen Militärbehörde" sollte
jedem Offizier sehr ernst eingeschärft werden, daß er die Pflicht hat, jeden
deutschen Offizier von anderer Cocarde durch ein doppelt zuvorkommendes
kameradschaftliches Verhältniß damit zu versöhnen. Es wird von Seiten der
Militärbehörden zweckmüßig sein, daran zu erinnern, daß diese Superiorität
factisch nicht mehr besteht, daß von der Reichsarmee des siebenjährigen
Krieges nicht mehr die Rede sein kann, daß die sächsischen, bairischen Trup¬
pen u. s. w. eben so brav und tüchtig sind als die preußischen. Man halte
dieje Bemerkung ja nicht für unbedeutend: von solchen elenden Kleinigkeiten
hängen zuweilen die größten Erfolge ab.

Nebenbei würden die preußischen Militärbehörden gut thun, ihren Unter¬
gebenen einzuschärfen, daß sie auch Staatsbürger sind. Wir wollen der Greifs-
walder Untersuchung nicht vorgreise"; soviel hat sich aber bereits herausge¬
stellt, daß in dieser Beziehung außerordentlich viel zu wünschen bleibt. Und
es wird von Seiten des gesammten Ministeriums dringend geboten, die
Militärbehörden auf diese" Umstand aufmerksam zu machen, damit nicht zuletzt
unser Militär dem deutscheu Militär und den preußischen Staatsbürgern so
gegenübersteht wie 1806. .

Mit jenem Boruttheil. die Preußen für arrogant zu halten, verknüpft sich
das zweite: sie seien'arrogant ohne Grund. ..Freilich gehört ihr einem
größeren Staate a", pflegt man zu sage"'; .aber was habt ihr denn davon?
Sind eure Einrichtungen zweckmäßiger? könnt ihr euch freier bewegen? achtet
man euch in eurem eigenen Lande höher als wir voi^. unsern Regierungen
geachtet werden? Freilich seid ihr in einem größern Staat; aber das Jahr
1850 scheint doch gezeigt zu haben, daß ihr mitunter den Degen gegen uns
nur zieht, um ihn wieder einzustecken; die folgenden acht Jahre haben gezeigt, daß
man euch, wenn nicht mehr, doch ebensoviel bieten kann als uns; und was
die Gegenwart betrifft, so wollen wir doch erst abwarten, was kommen soll.

Mit einem Wort: Preußen wird nur dann moralische Eroberungen


Grenzboten II. 1861. 5

die man sich nicht sträuben darf. Nach dieser Seite kann nun freilich die
preußische Regierung nichts thun; wol aber muß sie einen anderen sehr ern¬
sten Punkt in's Auge fassen.

Nirgend ist die Antipathie gegen Preußen so groß als im Militär.
Zum Theil beruht sie auf dem oben erwähnten Vorurtheil, aber sie hat auch
»och einen positiven Grund. Es ist sehr natürlich, daß sich das Bewußtsein
der Schlachten von Roßbach, Leuthen und wie sie alle heißen, bei jeden
Einzelnen geltend macht, der den Fahnen folgt, welche jene großen Tage ge¬
sehen haben, und daß auch da. wo keine Beleidigung beabsichtigt wird, ein
stilles Gefühl der Superiorität sich unter der schwarz-weißen Cocarde regt. Dies
Gefühl ist ein so wichtiges moralisches Moment, daß wir es um Alles in der Welt
nicht verkümmern möchten; aber von Seiten der preußischen Militärbehörde» sollte
jedem Offizier sehr ernst eingeschärft werden, daß er die Pflicht hat, jeden
deutschen Offizier von anderer Cocarde durch ein doppelt zuvorkommendes
kameradschaftliches Verhältniß damit zu versöhnen. Es wird von Seiten der
Militärbehörden zweckmüßig sein, daran zu erinnern, daß diese Superiorität
factisch nicht mehr besteht, daß von der Reichsarmee des siebenjährigen
Krieges nicht mehr die Rede sein kann, daß die sächsischen, bairischen Trup¬
pen u. s. w. eben so brav und tüchtig sind als die preußischen. Man halte
dieje Bemerkung ja nicht für unbedeutend: von solchen elenden Kleinigkeiten
hängen zuweilen die größten Erfolge ab.

Nebenbei würden die preußischen Militärbehörden gut thun, ihren Unter¬
gebenen einzuschärfen, daß sie auch Staatsbürger sind. Wir wollen der Greifs-
walder Untersuchung nicht vorgreise»; soviel hat sich aber bereits herausge¬
stellt, daß in dieser Beziehung außerordentlich viel zu wünschen bleibt. Und
es wird von Seiten des gesammten Ministeriums dringend geboten, die
Militärbehörden auf diese» Umstand aufmerksam zu machen, damit nicht zuletzt
unser Militär dem deutscheu Militär und den preußischen Staatsbürgern so
gegenübersteht wie 1806. .

Mit jenem Boruttheil. die Preußen für arrogant zu halten, verknüpft sich
das zweite: sie seien'arrogant ohne Grund. ..Freilich gehört ihr einem
größeren Staate a», pflegt man zu sage»'; .aber was habt ihr denn davon?
Sind eure Einrichtungen zweckmäßiger? könnt ihr euch freier bewegen? achtet
man euch in eurem eigenen Lande höher als wir voi^. unsern Regierungen
geachtet werden? Freilich seid ihr in einem größern Staat; aber das Jahr
1850 scheint doch gezeigt zu haben, daß ihr mitunter den Degen gegen uns
nur zieht, um ihn wieder einzustecken; die folgenden acht Jahre haben gezeigt, daß
man euch, wenn nicht mehr, doch ebensoviel bieten kann als uns; und was
die Gegenwart betrifft, so wollen wir doch erst abwarten, was kommen soll.

Mit einem Wort: Preußen wird nur dann moralische Eroberungen


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[0043] die man sich nicht sträuben darf. Nach dieser Seite kann nun freilich die preußische Regierung nichts thun; wol aber muß sie einen anderen sehr ern¬ sten Punkt in's Auge fassen. Nirgend ist die Antipathie gegen Preußen so groß als im Militär. Zum Theil beruht sie auf dem oben erwähnten Vorurtheil, aber sie hat auch »och einen positiven Grund. Es ist sehr natürlich, daß sich das Bewußtsein der Schlachten von Roßbach, Leuthen und wie sie alle heißen, bei jeden Einzelnen geltend macht, der den Fahnen folgt, welche jene großen Tage ge¬ sehen haben, und daß auch da. wo keine Beleidigung beabsichtigt wird, ein stilles Gefühl der Superiorität sich unter der schwarz-weißen Cocarde regt. Dies Gefühl ist ein so wichtiges moralisches Moment, daß wir es um Alles in der Welt nicht verkümmern möchten; aber von Seiten der preußischen Militärbehörde» sollte jedem Offizier sehr ernst eingeschärft werden, daß er die Pflicht hat, jeden deutschen Offizier von anderer Cocarde durch ein doppelt zuvorkommendes kameradschaftliches Verhältniß damit zu versöhnen. Es wird von Seiten der Militärbehörden zweckmüßig sein, daran zu erinnern, daß diese Superiorität factisch nicht mehr besteht, daß von der Reichsarmee des siebenjährigen Krieges nicht mehr die Rede sein kann, daß die sächsischen, bairischen Trup¬ pen u. s. w. eben so brav und tüchtig sind als die preußischen. Man halte dieje Bemerkung ja nicht für unbedeutend: von solchen elenden Kleinigkeiten hängen zuweilen die größten Erfolge ab. Nebenbei würden die preußischen Militärbehörden gut thun, ihren Unter¬ gebenen einzuschärfen, daß sie auch Staatsbürger sind. Wir wollen der Greifs- walder Untersuchung nicht vorgreise»; soviel hat sich aber bereits herausge¬ stellt, daß in dieser Beziehung außerordentlich viel zu wünschen bleibt. Und es wird von Seiten des gesammten Ministeriums dringend geboten, die Militärbehörden auf diese» Umstand aufmerksam zu machen, damit nicht zuletzt unser Militär dem deutscheu Militär und den preußischen Staatsbürgern so gegenübersteht wie 1806. . Mit jenem Boruttheil. die Preußen für arrogant zu halten, verknüpft sich das zweite: sie seien'arrogant ohne Grund. ..Freilich gehört ihr einem größeren Staate a», pflegt man zu sage»'; .aber was habt ihr denn davon? Sind eure Einrichtungen zweckmäßiger? könnt ihr euch freier bewegen? achtet man euch in eurem eigenen Lande höher als wir voi^. unsern Regierungen geachtet werden? Freilich seid ihr in einem größern Staat; aber das Jahr 1850 scheint doch gezeigt zu haben, daß ihr mitunter den Degen gegen uns nur zieht, um ihn wieder einzustecken; die folgenden acht Jahre haben gezeigt, daß man euch, wenn nicht mehr, doch ebensoviel bieten kann als uns; und was die Gegenwart betrifft, so wollen wir doch erst abwarten, was kommen soll. Mit einem Wort: Preußen wird nur dann moralische Eroberungen Grenzboten II. 1861. 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/43>, abgerufen am 26.06.2024.