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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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sofern es auf die Theilnahme desselben an seinen Hauskriegen rechnen kann.
In seinem Gebiet ist es völlig souverain, da seine außerordentlich günstige
geographische Lage es von den benachbarten Bundesländern völlig unabhängig
macht. Am meisten leidet Preußen unter dem Verhältniß, weil seine Lage so
zersplittert ist, daß es überall von dem guten Willen seiner Nachbarn abhängt:
seiner Nachbarn, auf die es gesetzlich gar keinen Einfluß ausüben und die es
dem Bundesgesetz gemäß doch auch nickt als Feinde behandeln kann. So
bedürfen namentlich die Beziehungen zu Hannover keiner weiteren Illustration.

Mit dem bloßen Stichwort "Austritt aus dem deutschen Bunde" ist es
nicht gethan. Wenn Preußen seine östlichen und westlichen Provinzen auf¬
heben, in die Tasche stecken, und damit nach irgend einer Insel auswandern
könnte, so wäre das ganz gut; da es das aber nicht kann, so heißt Austritt
aus dem deutschen Bunde ungefähr soviel, als Krieg gegen den deutschen
Bund; und das ist unter den obwaltenden Umständen ein Gedanke, mit dem
man wol spielen, den man aber nicht ernsthaft in Angriff nehmen kann.

Der gegenwärtige König hat die ganz richtige Form gefunden, in wel¬
cher das Verhältniß Preußens zum deutschen Bunde sich reguliren muß:
Preußen muß in Deutschland moralische Eroberungen machen.
Es verdient aber ernsthafte Ueberlegung, wie man das zu thun hat.

Die Mißverhältnisse zwischen Preußen und dem übrigen Deutschland be¬
ruhen nur zum Theil auf Umständen, die nicht geändert werden können. Un¬
ter diesen Umständen nimmt die Hauptstelle das Gefühl ein, das alle deutschen
Regierungen beseelt, sie haben Preußen zu fürchten. Preußen ist durch seine
geographische Lage gezwungen, eine Arrondirung zu wünschen, es bezahlt mehr
MUitär als seine Mittel erlauben, und muß daher zugleich den Wunsch hege",
sich von dieser Last dadurch zu befreien, daß es vermittelst des Militärs seine
geographische Basis zweckmäßiger einrichtet.

Dies Gefühl liegt in der Natur der Sache und kann daher im Wesent¬
lichen nicht geändert werden. Doch kann sehr viel geschehen, um unsere
deutschen Mitbürger wenigstens einigermaßen damit zu versöhnen.

Aus diesem Gefühl entspringen nämlich eine Reihe von Vorurtheilen,
von denen es gar nicht gleichgiltig ist, ob- man sie fortwuchern läßt oder nicht.
Weil Preußen ein "arroganter" Staat ist. hat man das Borurtheil, auch alle
Preußen seien arrogant. Das Vorurtheil ist zu allgemein, um bloßes Vor¬
urtheil zu sein. Es richtet sich zunächst gegen die Berliner, wobei denn die
Sachsen. Baiern u. s. w. ganz vergessen, daß dieses Vorurtheil gegen Berlin
in Preußen ebenso stark ist. als außerhalb Preußen. Berlin besitzt eine so
große Menge geistiger und materieller Kräfte, daß es ein rasender Unsinn
wäre, ein allgemeines Urtheil auszusprechen: daß aber im Durchschnitt der
reisende Berliner jedem Nichtberliner lustig fällt, das ist eine Thatsache, gegen


sofern es auf die Theilnahme desselben an seinen Hauskriegen rechnen kann.
In seinem Gebiet ist es völlig souverain, da seine außerordentlich günstige
geographische Lage es von den benachbarten Bundesländern völlig unabhängig
macht. Am meisten leidet Preußen unter dem Verhältniß, weil seine Lage so
zersplittert ist, daß es überall von dem guten Willen seiner Nachbarn abhängt:
seiner Nachbarn, auf die es gesetzlich gar keinen Einfluß ausüben und die es
dem Bundesgesetz gemäß doch auch nickt als Feinde behandeln kann. So
bedürfen namentlich die Beziehungen zu Hannover keiner weiteren Illustration.

Mit dem bloßen Stichwort „Austritt aus dem deutschen Bunde" ist es
nicht gethan. Wenn Preußen seine östlichen und westlichen Provinzen auf¬
heben, in die Tasche stecken, und damit nach irgend einer Insel auswandern
könnte, so wäre das ganz gut; da es das aber nicht kann, so heißt Austritt
aus dem deutschen Bunde ungefähr soviel, als Krieg gegen den deutschen
Bund; und das ist unter den obwaltenden Umständen ein Gedanke, mit dem
man wol spielen, den man aber nicht ernsthaft in Angriff nehmen kann.

Der gegenwärtige König hat die ganz richtige Form gefunden, in wel¬
cher das Verhältniß Preußens zum deutschen Bunde sich reguliren muß:
Preußen muß in Deutschland moralische Eroberungen machen.
Es verdient aber ernsthafte Ueberlegung, wie man das zu thun hat.

Die Mißverhältnisse zwischen Preußen und dem übrigen Deutschland be¬
ruhen nur zum Theil auf Umständen, die nicht geändert werden können. Un¬
ter diesen Umständen nimmt die Hauptstelle das Gefühl ein, das alle deutschen
Regierungen beseelt, sie haben Preußen zu fürchten. Preußen ist durch seine
geographische Lage gezwungen, eine Arrondirung zu wünschen, es bezahlt mehr
MUitär als seine Mittel erlauben, und muß daher zugleich den Wunsch hege»,
sich von dieser Last dadurch zu befreien, daß es vermittelst des Militärs seine
geographische Basis zweckmäßiger einrichtet.

Dies Gefühl liegt in der Natur der Sache und kann daher im Wesent¬
lichen nicht geändert werden. Doch kann sehr viel geschehen, um unsere
deutschen Mitbürger wenigstens einigermaßen damit zu versöhnen.

Aus diesem Gefühl entspringen nämlich eine Reihe von Vorurtheilen,
von denen es gar nicht gleichgiltig ist, ob- man sie fortwuchern läßt oder nicht.
Weil Preußen ein „arroganter" Staat ist. hat man das Borurtheil, auch alle
Preußen seien arrogant. Das Vorurtheil ist zu allgemein, um bloßes Vor¬
urtheil zu sein. Es richtet sich zunächst gegen die Berliner, wobei denn die
Sachsen. Baiern u. s. w. ganz vergessen, daß dieses Vorurtheil gegen Berlin
in Preußen ebenso stark ist. als außerhalb Preußen. Berlin besitzt eine so
große Menge geistiger und materieller Kräfte, daß es ein rasender Unsinn
wäre, ein allgemeines Urtheil auszusprechen: daß aber im Durchschnitt der
reisende Berliner jedem Nichtberliner lustig fällt, das ist eine Thatsache, gegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/42>, abgerufen am 29.06.2024.