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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Material zu einem harmonischen und gefälligen Bauwerk zu gewinnen. Man
könnte ebenso'gut versuchen, ans dem Flugsand der Wüste eine Stadt zu
bauen.

Selbstverständlich gibt es Ausnahmen von dieser Regel. sowol unter
der festen als unter der wechselnden Bevölkerung Washingtons sind viele, die
jeder Gesellschaft zur Zierde gereichen würden. Nur ist ihre Zahl zu klein,
uni das Gepräge des dortigen Lebens zu bestimmen. Gewöhnlich haben sie
ihre besondern Kreise, von denen ste Alles fern halten, was ihren Neigungen
fremd ist. Dazu kommt, daß der sociale Einfluß der Frauen, sonst in Amerika sehr
groß, vielleicht zu groß, in Washington, schon weil sie hier zu wenig zahlreich sind,
sehr beschränkt ist. Die große Mehrzahl der Männer, welche während der Sitzung
die Stadt beleben, lassen entweder ihre Familien zurück, um ungestörter Ge¬
setze zu machen, Parteimanöver auszuführen, "Draht zu ziehen", "Röhren zu
legen", "Klötze zu rollen" u. s. w., oder sie haben niemand, der sie begleiten
könnte. Sie bewohnen fast ohne Ausnahme die Gasthöfe und kümmern sich
nicht um häusliche Behaglichkeit. Ihr Zimmer hat sür sie keine andere Be¬
deutung, als für den Bankier sein finsteres Wechselcomptoir. Sie bleiben in
Washington fremd, anch wenn die Dauer ihres Aufenthalts sich lange hin¬
zieht. Es ist wahr, viele Mitglieder des Senats und einige Repräsentanten
werden von ihren Frauen und Kindern begleitet, aber sowol diese als die
flüchtigen Besuche..von Damen, die beständig gehen und kommen, sind immer
nur Ausnahmen von der Regel, wenn sie auf die Gesellschaft einige Wirkung
üben. Henry Clay lebte und starb in einem Hotel. Seine öffentliche Stel¬
lung fesselte ihn fast ganz an Washington, und Frau Clay besuchte ihn hier
niemals, obwol ihre Ehe eine glückliche war.

Für sehr viele Congreßmitglieder scheint der mchnnonatlichc Aufenthalt
in der Bundesstadt mehr eine verlängerte Vergnügungspartie zu sein, als etwas
Anderes. Sie werden durch ihre Pflichten als Gesetzgeber in Anspruch genom¬
men, allein dieselben werden von vielen nur als ein Glied in der Reihe der
Zerstreuungen angesehen, denen sie sich hingeben. Ein Gang durch die Stra¬
ßen, ein Besuch in einem der Gasthöfe zeigt das deutlich. An Tagen, wo
der Congreß keine Sitzungen hält, sieht man allenthalben in den Straßen
Gruppen von Müßiggängern umherschleudern oder vor den Hotels sitzen, Tabak
kaum und die vorübergehenden Damen anstarren. Andere treiben sich in den Bar-
rooms herum, in welchen sie bei Gin, Sherrycobbler. Eggtoddy und ähnlichen Ge¬
tränken mit Bekannten disputiren, bis der Abend kommt, wo zahlreiche Spielhöllen
die Thür zu ihren grünen Tischen öffnen. Wer mehr Ruhe liebt, zieht in ein
Boardinghcms, und hier findet man oft zwanzig Congreßmitglieder unter Einem
Dache beisammen, die sich täglich um den Mittagstisch zur "Meß" versam¬
meln. Diese ,, Cvngreßmesfes" werden überall nachgeahmt, und aus eine


Material zu einem harmonischen und gefälligen Bauwerk zu gewinnen. Man
könnte ebenso'gut versuchen, ans dem Flugsand der Wüste eine Stadt zu
bauen.

Selbstverständlich gibt es Ausnahmen von dieser Regel. sowol unter
der festen als unter der wechselnden Bevölkerung Washingtons sind viele, die
jeder Gesellschaft zur Zierde gereichen würden. Nur ist ihre Zahl zu klein,
uni das Gepräge des dortigen Lebens zu bestimmen. Gewöhnlich haben sie
ihre besondern Kreise, von denen ste Alles fern halten, was ihren Neigungen
fremd ist. Dazu kommt, daß der sociale Einfluß der Frauen, sonst in Amerika sehr
groß, vielleicht zu groß, in Washington, schon weil sie hier zu wenig zahlreich sind,
sehr beschränkt ist. Die große Mehrzahl der Männer, welche während der Sitzung
die Stadt beleben, lassen entweder ihre Familien zurück, um ungestörter Ge¬
setze zu machen, Parteimanöver auszuführen, „Draht zu ziehen", „Röhren zu
legen", „Klötze zu rollen" u. s. w., oder sie haben niemand, der sie begleiten
könnte. Sie bewohnen fast ohne Ausnahme die Gasthöfe und kümmern sich
nicht um häusliche Behaglichkeit. Ihr Zimmer hat sür sie keine andere Be¬
deutung, als für den Bankier sein finsteres Wechselcomptoir. Sie bleiben in
Washington fremd, anch wenn die Dauer ihres Aufenthalts sich lange hin¬
zieht. Es ist wahr, viele Mitglieder des Senats und einige Repräsentanten
werden von ihren Frauen und Kindern begleitet, aber sowol diese als die
flüchtigen Besuche..von Damen, die beständig gehen und kommen, sind immer
nur Ausnahmen von der Regel, wenn sie auf die Gesellschaft einige Wirkung
üben. Henry Clay lebte und starb in einem Hotel. Seine öffentliche Stel¬
lung fesselte ihn fast ganz an Washington, und Frau Clay besuchte ihn hier
niemals, obwol ihre Ehe eine glückliche war.

Für sehr viele Congreßmitglieder scheint der mchnnonatlichc Aufenthalt
in der Bundesstadt mehr eine verlängerte Vergnügungspartie zu sein, als etwas
Anderes. Sie werden durch ihre Pflichten als Gesetzgeber in Anspruch genom¬
men, allein dieselben werden von vielen nur als ein Glied in der Reihe der
Zerstreuungen angesehen, denen sie sich hingeben. Ein Gang durch die Stra¬
ßen, ein Besuch in einem der Gasthöfe zeigt das deutlich. An Tagen, wo
der Congreß keine Sitzungen hält, sieht man allenthalben in den Straßen
Gruppen von Müßiggängern umherschleudern oder vor den Hotels sitzen, Tabak
kaum und die vorübergehenden Damen anstarren. Andere treiben sich in den Bar-
rooms herum, in welchen sie bei Gin, Sherrycobbler. Eggtoddy und ähnlichen Ge¬
tränken mit Bekannten disputiren, bis der Abend kommt, wo zahlreiche Spielhöllen
die Thür zu ihren grünen Tischen öffnen. Wer mehr Ruhe liebt, zieht in ein
Boardinghcms, und hier findet man oft zwanzig Congreßmitglieder unter Einem
Dache beisammen, die sich täglich um den Mittagstisch zur „Meß" versam¬
meln. Diese ,, Cvngreßmesfes" werden überall nachgeahmt, und aus eine


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[0426] Material zu einem harmonischen und gefälligen Bauwerk zu gewinnen. Man könnte ebenso'gut versuchen, ans dem Flugsand der Wüste eine Stadt zu bauen. Selbstverständlich gibt es Ausnahmen von dieser Regel. sowol unter der festen als unter der wechselnden Bevölkerung Washingtons sind viele, die jeder Gesellschaft zur Zierde gereichen würden. Nur ist ihre Zahl zu klein, uni das Gepräge des dortigen Lebens zu bestimmen. Gewöhnlich haben sie ihre besondern Kreise, von denen ste Alles fern halten, was ihren Neigungen fremd ist. Dazu kommt, daß der sociale Einfluß der Frauen, sonst in Amerika sehr groß, vielleicht zu groß, in Washington, schon weil sie hier zu wenig zahlreich sind, sehr beschränkt ist. Die große Mehrzahl der Männer, welche während der Sitzung die Stadt beleben, lassen entweder ihre Familien zurück, um ungestörter Ge¬ setze zu machen, Parteimanöver auszuführen, „Draht zu ziehen", „Röhren zu legen", „Klötze zu rollen" u. s. w., oder sie haben niemand, der sie begleiten könnte. Sie bewohnen fast ohne Ausnahme die Gasthöfe und kümmern sich nicht um häusliche Behaglichkeit. Ihr Zimmer hat sür sie keine andere Be¬ deutung, als für den Bankier sein finsteres Wechselcomptoir. Sie bleiben in Washington fremd, anch wenn die Dauer ihres Aufenthalts sich lange hin¬ zieht. Es ist wahr, viele Mitglieder des Senats und einige Repräsentanten werden von ihren Frauen und Kindern begleitet, aber sowol diese als die flüchtigen Besuche..von Damen, die beständig gehen und kommen, sind immer nur Ausnahmen von der Regel, wenn sie auf die Gesellschaft einige Wirkung üben. Henry Clay lebte und starb in einem Hotel. Seine öffentliche Stel¬ lung fesselte ihn fast ganz an Washington, und Frau Clay besuchte ihn hier niemals, obwol ihre Ehe eine glückliche war. Für sehr viele Congreßmitglieder scheint der mchnnonatlichc Aufenthalt in der Bundesstadt mehr eine verlängerte Vergnügungspartie zu sein, als etwas Anderes. Sie werden durch ihre Pflichten als Gesetzgeber in Anspruch genom¬ men, allein dieselben werden von vielen nur als ein Glied in der Reihe der Zerstreuungen angesehen, denen sie sich hingeben. Ein Gang durch die Stra¬ ßen, ein Besuch in einem der Gasthöfe zeigt das deutlich. An Tagen, wo der Congreß keine Sitzungen hält, sieht man allenthalben in den Straßen Gruppen von Müßiggängern umherschleudern oder vor den Hotels sitzen, Tabak kaum und die vorübergehenden Damen anstarren. Andere treiben sich in den Bar- rooms herum, in welchen sie bei Gin, Sherrycobbler. Eggtoddy und ähnlichen Ge¬ tränken mit Bekannten disputiren, bis der Abend kommt, wo zahlreiche Spielhöllen die Thür zu ihren grünen Tischen öffnen. Wer mehr Ruhe liebt, zieht in ein Boardinghcms, und hier findet man oft zwanzig Congreßmitglieder unter Einem Dache beisammen, die sich täglich um den Mittagstisch zur „Meß" versam¬ meln. Diese ,, Cvngreßmesfes" werden überall nachgeahmt, und aus eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/426>, abgerufen am 19.10.2024.