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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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hängigkeitserklärung. Dus dritte besteht aus Figuren in vollem Relief,
Washingtons Unterfeldherrn in Lebensgröße, von denen einige zu Pferde,
andere in Gruppen als berathend dargestellt sind. Das Bild Washingtons
hat etwa den Werth der wegen ihrer Häßlichkeit bekannten Reiterstatue
Wellingtons in London. Die Amerikaner aber finden es, schon weil es ein
Amerikaner geschaffen hat, vortrefflich.

Von den wissenschaftlichen Anstalten Washingtons außer der erwähn¬
ten Smithsonschen Stiftung sind die Akademie und die Sternwarte zu
nennen; auch gehören hierher das Nationalniuseum mit seinen indiani¬
schen Alterthümern und die große Modcllsammlung, welche beide letzteren im
Patentamt aufgestellt sind. Der Verkehr der Stadt wird durch drei Eisen¬
bahnen, von denen eine nach dem 9 deutsche Meilen entfernten Baltimore
und Philadelphia, (etwa 30 deutsche Meilen entfernt), eine nach Anna-
polis (der an einer Bucht der Chesapeake-Bai gelegenen politischen Hauptstadt
von Maryland) und eine nach Richmond in Birginien führt, ferner durch den
Alexandria-Canal und den bei Georgetown, einer nur durch den Nockcreek von
Washington getrennten kleinen Stadt, beginnenden Canal, welcher die Chesa¬
peake-Bai mit dem Ohio verbindet, endlich durch den Potomac wesentlich be¬
fördert. Einwohner hatte Washington im Jahre 1852 etwas über 50.000, und
es wird seitdem nicht wesentlich zugenommen haben.

Betrachten wir das Leben in Washington, so gleicht es in vielen Be¬
ziehungen dem eines Lagers. Das erste, was dem Fremden auffällt, ist das
Nomadenhafte der hiesigen Gesellschaft. In ihrer Physiognomie entdeckt man
kaum einen bleibenden Zug, in ihrem Verhalten nur wenige dauernde Eigen¬
schaften. Ueberall scheint das sociale Leben vom Zufall abhängig zu sein.
Man wundert sich fast, daß diese Gesellschaft nicht in Zelten statt in festen
Häusern wohnt, so sehr hat sie das Ansehen eines rein provisorischen Arrange¬
ments, so wenig scheint sie eine Vergangenheit zu haben und so schwer
ist ihre Zukunft zu errathen. Unsere Badeorte haben einige Aehnlichkeit
damit, doch trifft der Vergleich nur zum Theil, da das Schwanken und Flu-
then der Gesellschaft zwar hier wie dort dasselbe ist. in Washington aber
eine weit größere Verschiedenheit in den Elementen derselben herrscht. Sie
gleicht einem losen Gewebe, wobei grobe und seine Wolle hastig zusammen
geworfen ist. und das von dem Weber, dem wählenden Volke, rasch wieder
aufgetrennt wird, um von Neuen gewebt zu werden.

Washington ist, mit dem amerikanischen Maßstab gemessen, eine Mittel¬
stadt, dem Umfang nach eine Gemeinde dritten Ranges. Wenn der Congreß
keine Sitzungen hält, ist es höchst langweilig und einsam, da sein periodisches
Leben mit der Masse seiner Bevölkerung verschwindet. Es ist, wie unsere
Badeorte eine Stadt der Kost- und Gasthäuser, und Die. welche nach Auf-


hängigkeitserklärung. Dus dritte besteht aus Figuren in vollem Relief,
Washingtons Unterfeldherrn in Lebensgröße, von denen einige zu Pferde,
andere in Gruppen als berathend dargestellt sind. Das Bild Washingtons
hat etwa den Werth der wegen ihrer Häßlichkeit bekannten Reiterstatue
Wellingtons in London. Die Amerikaner aber finden es, schon weil es ein
Amerikaner geschaffen hat, vortrefflich.

Von den wissenschaftlichen Anstalten Washingtons außer der erwähn¬
ten Smithsonschen Stiftung sind die Akademie und die Sternwarte zu
nennen; auch gehören hierher das Nationalniuseum mit seinen indiani¬
schen Alterthümern und die große Modcllsammlung, welche beide letzteren im
Patentamt aufgestellt sind. Der Verkehr der Stadt wird durch drei Eisen¬
bahnen, von denen eine nach dem 9 deutsche Meilen entfernten Baltimore
und Philadelphia, (etwa 30 deutsche Meilen entfernt), eine nach Anna-
polis (der an einer Bucht der Chesapeake-Bai gelegenen politischen Hauptstadt
von Maryland) und eine nach Richmond in Birginien führt, ferner durch den
Alexandria-Canal und den bei Georgetown, einer nur durch den Nockcreek von
Washington getrennten kleinen Stadt, beginnenden Canal, welcher die Chesa¬
peake-Bai mit dem Ohio verbindet, endlich durch den Potomac wesentlich be¬
fördert. Einwohner hatte Washington im Jahre 1852 etwas über 50.000, und
es wird seitdem nicht wesentlich zugenommen haben.

Betrachten wir das Leben in Washington, so gleicht es in vielen Be¬
ziehungen dem eines Lagers. Das erste, was dem Fremden auffällt, ist das
Nomadenhafte der hiesigen Gesellschaft. In ihrer Physiognomie entdeckt man
kaum einen bleibenden Zug, in ihrem Verhalten nur wenige dauernde Eigen¬
schaften. Ueberall scheint das sociale Leben vom Zufall abhängig zu sein.
Man wundert sich fast, daß diese Gesellschaft nicht in Zelten statt in festen
Häusern wohnt, so sehr hat sie das Ansehen eines rein provisorischen Arrange¬
ments, so wenig scheint sie eine Vergangenheit zu haben und so schwer
ist ihre Zukunft zu errathen. Unsere Badeorte haben einige Aehnlichkeit
damit, doch trifft der Vergleich nur zum Theil, da das Schwanken und Flu-
then der Gesellschaft zwar hier wie dort dasselbe ist. in Washington aber
eine weit größere Verschiedenheit in den Elementen derselben herrscht. Sie
gleicht einem losen Gewebe, wobei grobe und seine Wolle hastig zusammen
geworfen ist. und das von dem Weber, dem wählenden Volke, rasch wieder
aufgetrennt wird, um von Neuen gewebt zu werden.

Washington ist, mit dem amerikanischen Maßstab gemessen, eine Mittel¬
stadt, dem Umfang nach eine Gemeinde dritten Ranges. Wenn der Congreß
keine Sitzungen hält, ist es höchst langweilig und einsam, da sein periodisches
Leben mit der Masse seiner Bevölkerung verschwindet. Es ist, wie unsere
Badeorte eine Stadt der Kost- und Gasthäuser, und Die. welche nach Auf-


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[0424] hängigkeitserklärung. Dus dritte besteht aus Figuren in vollem Relief, Washingtons Unterfeldherrn in Lebensgröße, von denen einige zu Pferde, andere in Gruppen als berathend dargestellt sind. Das Bild Washingtons hat etwa den Werth der wegen ihrer Häßlichkeit bekannten Reiterstatue Wellingtons in London. Die Amerikaner aber finden es, schon weil es ein Amerikaner geschaffen hat, vortrefflich. Von den wissenschaftlichen Anstalten Washingtons außer der erwähn¬ ten Smithsonschen Stiftung sind die Akademie und die Sternwarte zu nennen; auch gehören hierher das Nationalniuseum mit seinen indiani¬ schen Alterthümern und die große Modcllsammlung, welche beide letzteren im Patentamt aufgestellt sind. Der Verkehr der Stadt wird durch drei Eisen¬ bahnen, von denen eine nach dem 9 deutsche Meilen entfernten Baltimore und Philadelphia, (etwa 30 deutsche Meilen entfernt), eine nach Anna- polis (der an einer Bucht der Chesapeake-Bai gelegenen politischen Hauptstadt von Maryland) und eine nach Richmond in Birginien führt, ferner durch den Alexandria-Canal und den bei Georgetown, einer nur durch den Nockcreek von Washington getrennten kleinen Stadt, beginnenden Canal, welcher die Chesa¬ peake-Bai mit dem Ohio verbindet, endlich durch den Potomac wesentlich be¬ fördert. Einwohner hatte Washington im Jahre 1852 etwas über 50.000, und es wird seitdem nicht wesentlich zugenommen haben. Betrachten wir das Leben in Washington, so gleicht es in vielen Be¬ ziehungen dem eines Lagers. Das erste, was dem Fremden auffällt, ist das Nomadenhafte der hiesigen Gesellschaft. In ihrer Physiognomie entdeckt man kaum einen bleibenden Zug, in ihrem Verhalten nur wenige dauernde Eigen¬ schaften. Ueberall scheint das sociale Leben vom Zufall abhängig zu sein. Man wundert sich fast, daß diese Gesellschaft nicht in Zelten statt in festen Häusern wohnt, so sehr hat sie das Ansehen eines rein provisorischen Arrange¬ ments, so wenig scheint sie eine Vergangenheit zu haben und so schwer ist ihre Zukunft zu errathen. Unsere Badeorte haben einige Aehnlichkeit damit, doch trifft der Vergleich nur zum Theil, da das Schwanken und Flu- then der Gesellschaft zwar hier wie dort dasselbe ist. in Washington aber eine weit größere Verschiedenheit in den Elementen derselben herrscht. Sie gleicht einem losen Gewebe, wobei grobe und seine Wolle hastig zusammen geworfen ist. und das von dem Weber, dem wählenden Volke, rasch wieder aufgetrennt wird, um von Neuen gewebt zu werden. Washington ist, mit dem amerikanischen Maßstab gemessen, eine Mittel¬ stadt, dem Umfang nach eine Gemeinde dritten Ranges. Wenn der Congreß keine Sitzungen hält, ist es höchst langweilig und einsam, da sein periodisches Leben mit der Masse seiner Bevölkerung verschwindet. Es ist, wie unsere Badeorte eine Stadt der Kost- und Gasthäuser, und Die. welche nach Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/424>, abgerufen am 19.10.2024.