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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Bon der preußischen Grenze.

Da dach die Osterferien die Behandlung der Tagesgeschäfte für den
Augenblick in den Hintergrund getreten ist. lenken wir die Aufmerksamkeit auf
die allgemeine Lage des preußischen Staats.

Die Kraft eines Staats beruht hauptsächlich auf zwei Momenten: auf
den materiellen Mitteln, über die er zu verfügen hat. und auf der Elasticität,
mit der er sich frei und entschieden bewegen, seine Action jedesmal auf den
Punkt richten kann, auf welchen es ankommt. In beiden Beziehungen steht
Preußen den übrigen Großmächten auf eine sehr bedenkliche Weise nach. An
Voiksznhl ist es nicht bloß viel unbedeutender als die übrigen vier europäischen
Mächte, es bleibt darin sogar hinter dem neuen Königreich Italien zurück;
und was seine Bewegung betrifft, so ist es nach allen Seiten hin so einge¬
schnürt, daß es ihm nicht bloß schwer füllt etwas zu thun, sondern auch nur
Etwas zu wollen. Friedrich dem Großen gelang es. die Elasticität, die in der
Natur der Dinge nicht gegeben .war. durch einen gewaltigen Willen zu ersetzen:
dies würde heute bei der völlig veränderten Lage Europas auch dann nicht
ausreichen, wenn der groß? Friedrich wieder aus dem Grabe erweckt werden
könnte. Wir wollen von der Mündigkeit des Volks nicht declamiren. so viel
ist aber gewiß, daß sich in allen Ständen ein sehr starkes und deutliches Be¬
wußtsein ihrer Interessen herausgestellt hat. und daß eine Regierung, die mit
diesen Interessen nicht zu rechnen, sie nicht zu ihrem Zweck zu verwerthen ver¬
steht, sich selbst den Untergang bereitet. Der Despotismus in seiner alten'willkürlichen Form hat sich überlebt; nur von demjenigen Despotismus kann
"och die Rede sein, der sich auf die Nation selbst stützt und ihren Inhalt zu
dem seinigen macht.' Die Ausgabe einer jeden Regierung, und der preußischen
in . zehnfach höherem Maß, ist. den wahren Inhalt ihres Volks zu finden und
ihn durch Verfassung und Verwaltung zu organisiren. Dadurch gewinnt tue
Regierung eine bei weitem vollkommnere Elasticität und Freiheit der Bewe¬
gung als durch einen künstlich angelegten Despotismus.

Die Freiheit der Bewegung Preußens wird zum Theil durch Umstände
eingeschränkt, die nicht in seiner Macht liegen, gegen die es daher nur all-
mälig und indirect wirken kann; zugleich aber durch Lasten, die es sich leicht¬
sinnig selbst aufgebürdet hat und die es schleunigst entfernen muß.

, Zu den natürlichen Hemmnissen seiner Bewegung gehört in erster Linie
der deutsche Bund, in zweiter der Zollverein. .Unter der Nothwendigkeit des
deutschen Födcrativsystems leiden nicht alle Regierungen gleichmäßig. Oestreich
leidet gar nicht darunter, d'cum es hat vom deutschen Bunde nur Nutzen, in


Bon der preußischen Grenze.

Da dach die Osterferien die Behandlung der Tagesgeschäfte für den
Augenblick in den Hintergrund getreten ist. lenken wir die Aufmerksamkeit auf
die allgemeine Lage des preußischen Staats.

Die Kraft eines Staats beruht hauptsächlich auf zwei Momenten: auf
den materiellen Mitteln, über die er zu verfügen hat. und auf der Elasticität,
mit der er sich frei und entschieden bewegen, seine Action jedesmal auf den
Punkt richten kann, auf welchen es ankommt. In beiden Beziehungen steht
Preußen den übrigen Großmächten auf eine sehr bedenkliche Weise nach. An
Voiksznhl ist es nicht bloß viel unbedeutender als die übrigen vier europäischen
Mächte, es bleibt darin sogar hinter dem neuen Königreich Italien zurück;
und was seine Bewegung betrifft, so ist es nach allen Seiten hin so einge¬
schnürt, daß es ihm nicht bloß schwer füllt etwas zu thun, sondern auch nur
Etwas zu wollen. Friedrich dem Großen gelang es. die Elasticität, die in der
Natur der Dinge nicht gegeben .war. durch einen gewaltigen Willen zu ersetzen:
dies würde heute bei der völlig veränderten Lage Europas auch dann nicht
ausreichen, wenn der groß? Friedrich wieder aus dem Grabe erweckt werden
könnte. Wir wollen von der Mündigkeit des Volks nicht declamiren. so viel
ist aber gewiß, daß sich in allen Ständen ein sehr starkes und deutliches Be¬
wußtsein ihrer Interessen herausgestellt hat. und daß eine Regierung, die mit
diesen Interessen nicht zu rechnen, sie nicht zu ihrem Zweck zu verwerthen ver¬
steht, sich selbst den Untergang bereitet. Der Despotismus in seiner alten'willkürlichen Form hat sich überlebt; nur von demjenigen Despotismus kann
»och die Rede sein, der sich auf die Nation selbst stützt und ihren Inhalt zu
dem seinigen macht.' Die Ausgabe einer jeden Regierung, und der preußischen
in . zehnfach höherem Maß, ist. den wahren Inhalt ihres Volks zu finden und
ihn durch Verfassung und Verwaltung zu organisiren. Dadurch gewinnt tue
Regierung eine bei weitem vollkommnere Elasticität und Freiheit der Bewe¬
gung als durch einen künstlich angelegten Despotismus.

Die Freiheit der Bewegung Preußens wird zum Theil durch Umstände
eingeschränkt, die nicht in seiner Macht liegen, gegen die es daher nur all-
mälig und indirect wirken kann; zugleich aber durch Lasten, die es sich leicht¬
sinnig selbst aufgebürdet hat und die es schleunigst entfernen muß.

, Zu den natürlichen Hemmnissen seiner Bewegung gehört in erster Linie
der deutsche Bund, in zweiter der Zollverein. .Unter der Nothwendigkeit des
deutschen Födcrativsystems leiden nicht alle Regierungen gleichmäßig. Oestreich
leidet gar nicht darunter, d'cum es hat vom deutschen Bunde nur Nutzen, in


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[0041] Bon der preußischen Grenze. Da dach die Osterferien die Behandlung der Tagesgeschäfte für den Augenblick in den Hintergrund getreten ist. lenken wir die Aufmerksamkeit auf die allgemeine Lage des preußischen Staats. Die Kraft eines Staats beruht hauptsächlich auf zwei Momenten: auf den materiellen Mitteln, über die er zu verfügen hat. und auf der Elasticität, mit der er sich frei und entschieden bewegen, seine Action jedesmal auf den Punkt richten kann, auf welchen es ankommt. In beiden Beziehungen steht Preußen den übrigen Großmächten auf eine sehr bedenkliche Weise nach. An Voiksznhl ist es nicht bloß viel unbedeutender als die übrigen vier europäischen Mächte, es bleibt darin sogar hinter dem neuen Königreich Italien zurück; und was seine Bewegung betrifft, so ist es nach allen Seiten hin so einge¬ schnürt, daß es ihm nicht bloß schwer füllt etwas zu thun, sondern auch nur Etwas zu wollen. Friedrich dem Großen gelang es. die Elasticität, die in der Natur der Dinge nicht gegeben .war. durch einen gewaltigen Willen zu ersetzen: dies würde heute bei der völlig veränderten Lage Europas auch dann nicht ausreichen, wenn der groß? Friedrich wieder aus dem Grabe erweckt werden könnte. Wir wollen von der Mündigkeit des Volks nicht declamiren. so viel ist aber gewiß, daß sich in allen Ständen ein sehr starkes und deutliches Be¬ wußtsein ihrer Interessen herausgestellt hat. und daß eine Regierung, die mit diesen Interessen nicht zu rechnen, sie nicht zu ihrem Zweck zu verwerthen ver¬ steht, sich selbst den Untergang bereitet. Der Despotismus in seiner alten'willkürlichen Form hat sich überlebt; nur von demjenigen Despotismus kann »och die Rede sein, der sich auf die Nation selbst stützt und ihren Inhalt zu dem seinigen macht.' Die Ausgabe einer jeden Regierung, und der preußischen in . zehnfach höherem Maß, ist. den wahren Inhalt ihres Volks zu finden und ihn durch Verfassung und Verwaltung zu organisiren. Dadurch gewinnt tue Regierung eine bei weitem vollkommnere Elasticität und Freiheit der Bewe¬ gung als durch einen künstlich angelegten Despotismus. Die Freiheit der Bewegung Preußens wird zum Theil durch Umstände eingeschränkt, die nicht in seiner Macht liegen, gegen die es daher nur all- mälig und indirect wirken kann; zugleich aber durch Lasten, die es sich leicht¬ sinnig selbst aufgebürdet hat und die es schleunigst entfernen muß. , Zu den natürlichen Hemmnissen seiner Bewegung gehört in erster Linie der deutsche Bund, in zweiter der Zollverein. .Unter der Nothwendigkeit des deutschen Födcrativsystems leiden nicht alle Regierungen gleichmäßig. Oestreich leidet gar nicht darunter, d'cum es hat vom deutschen Bunde nur Nutzen, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/41>, abgerufen am 01.07.2024.