Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kanonenluken. Die Furcht vor der Einäscherung der Küstenplätze muß oft in's
Mittel treten, um nur die einfache Vertreibung der Fremden zu verhindern.
Nur das Erscheinen von Kriegsschiffen seiner Nation vermag dem Fremden
diejenige Rechtssicherheit zu geben, die er zur Betreibung seiner Geschäfte und
nickt selten zur Erhaltung seines Lebens und seiner Freiheit bedarf. Obwohl
alle Küstenvölkcr des Erdkreises sehr wohl wissen, daß der Engländer einer
seemächtigen Nation angehört, müssen doch selbst englische Kriegsschiffe fast
jedes Jahr an jenen Küsten zum Schuhe ihrer Staatsangehörigen ein¬
schreiten.

Die deutsche Handclsschifffahrt nach den afrikanischen Küsten ist grade,
weil ihr jeder Schutz fehlt und weil grade hier dieser Schutz mehr als an¬
derswo eine Bedingung der Existenz ist, äußerst gering, aber desto lebhafter
bewegt sich der deutsche Handel an den ostasiatischen Küsten, und was das vor¬
mals spanische Amerika betrifft, so darf ohne Uebertreibung angenommen
werden, daß in den Küstenplätzen desselben wenigstens eben so viele Deutsche
als Engländer leben, und zwar solche Deutsche, welche sich keineswegs als
Ausgewanderte betrachten, sondern die sich kürzere oder längere Zeit dort auf¬
halten, um Handelsverbindungen anzuknüpfen oder aufrecht zu erhalten.

Wir haben noch nie gehört, daß Hamburg oder Bremen zum Schutze
ihrer Rechte und Interessen in diesen Ländern thatsächlich eingeschritten seien.

Nicht weil die Rechte und Interessen hanseatischer Bürger dort nicht eben¬
so oft oder häusiger verletzt würden, als die der Engländer, sondern weil sie in
ihrer freigewählten Wehrlosigkeit dieselben nicht zu schützen vermögen. Der
Deutsche, der nicht etwa Preuße ist. mag zusehen, wie er dort zu seinem
Rechte kommt, er mag sich in die Ungerechtigkeiten finden lernen, und wird ihm
zu schlimm mitgespielt, so sucht er meistens Hilfe bei den Vertretern solcher
fremder Regierungen, denen Kriegsschiffe zu Gebote stehen, seine vaterländische
Regirung wird, wenn er so thöricht ist, sich an dieselbe zu wenden, ihrer¬
seits nur bitten tonnen.

Den prägnantesten Ausdruck findet das Gesagte darin, daß vor Kurzem
Hamburg über einen Vertrag, irren wir nicht mit Venezuela, unterhandeln ließ, in
welchem die alte Hansestadt im Voraus auf jeden Ersatz des Schadens, welcher
Hamburgern in bestimmten Fällen bei den dort gewöhnlichen inneren Unruhen
^gefügt werden möchte, verzichtete. Wir wissen nicht, ob der Hamburger
Senat diesen Vertrag ratisicirt hat, die Ratification stand indeß so nahe be¬
vor, daß von Berlin ans dieser Scandnl, welcher durch jene zum ersten Male
einen, jener halbbarbarischen Staaten zugestandene Bedingung künftige Ver.
^'agsabschlüssc des Zollvereins mit jenen Staaten sehr erschweren müßte, of-
stciös zur Sprache gebracht wurde.

Es ist aus Hauseatischen Nachrichten bekannt, daß nur das Erscheinen


46"

Kanonenluken. Die Furcht vor der Einäscherung der Küstenplätze muß oft in's
Mittel treten, um nur die einfache Vertreibung der Fremden zu verhindern.
Nur das Erscheinen von Kriegsschiffen seiner Nation vermag dem Fremden
diejenige Rechtssicherheit zu geben, die er zur Betreibung seiner Geschäfte und
nickt selten zur Erhaltung seines Lebens und seiner Freiheit bedarf. Obwohl
alle Küstenvölkcr des Erdkreises sehr wohl wissen, daß der Engländer einer
seemächtigen Nation angehört, müssen doch selbst englische Kriegsschiffe fast
jedes Jahr an jenen Küsten zum Schuhe ihrer Staatsangehörigen ein¬
schreiten.

Die deutsche Handclsschifffahrt nach den afrikanischen Küsten ist grade,
weil ihr jeder Schutz fehlt und weil grade hier dieser Schutz mehr als an¬
derswo eine Bedingung der Existenz ist, äußerst gering, aber desto lebhafter
bewegt sich der deutsche Handel an den ostasiatischen Küsten, und was das vor¬
mals spanische Amerika betrifft, so darf ohne Uebertreibung angenommen
werden, daß in den Küstenplätzen desselben wenigstens eben so viele Deutsche
als Engländer leben, und zwar solche Deutsche, welche sich keineswegs als
Ausgewanderte betrachten, sondern die sich kürzere oder längere Zeit dort auf¬
halten, um Handelsverbindungen anzuknüpfen oder aufrecht zu erhalten.

Wir haben noch nie gehört, daß Hamburg oder Bremen zum Schutze
ihrer Rechte und Interessen in diesen Ländern thatsächlich eingeschritten seien.

Nicht weil die Rechte und Interessen hanseatischer Bürger dort nicht eben¬
so oft oder häusiger verletzt würden, als die der Engländer, sondern weil sie in
ihrer freigewählten Wehrlosigkeit dieselben nicht zu schützen vermögen. Der
Deutsche, der nicht etwa Preuße ist. mag zusehen, wie er dort zu seinem
Rechte kommt, er mag sich in die Ungerechtigkeiten finden lernen, und wird ihm
zu schlimm mitgespielt, so sucht er meistens Hilfe bei den Vertretern solcher
fremder Regierungen, denen Kriegsschiffe zu Gebote stehen, seine vaterländische
Regirung wird, wenn er so thöricht ist, sich an dieselbe zu wenden, ihrer¬
seits nur bitten tonnen.

Den prägnantesten Ausdruck findet das Gesagte darin, daß vor Kurzem
Hamburg über einen Vertrag, irren wir nicht mit Venezuela, unterhandeln ließ, in
welchem die alte Hansestadt im Voraus auf jeden Ersatz des Schadens, welcher
Hamburgern in bestimmten Fällen bei den dort gewöhnlichen inneren Unruhen
^gefügt werden möchte, verzichtete. Wir wissen nicht, ob der Hamburger
Senat diesen Vertrag ratisicirt hat, die Ratification stand indeß so nahe be¬
vor, daß von Berlin ans dieser Scandnl, welcher durch jene zum ersten Male
einen, jener halbbarbarischen Staaten zugestandene Bedingung künftige Ver.
^'agsabschlüssc des Zollvereins mit jenen Staaten sehr erschweren müßte, of-
stciös zur Sprache gebracht wurde.

Es ist aus Hauseatischen Nachrichten bekannt, daß nur das Erscheinen


46»
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0373" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111805"/>
            <p xml:id="ID_1221" prev="#ID_1220"> Kanonenluken. Die Furcht vor der Einäscherung der Küstenplätze muß oft in's<lb/>
Mittel treten, um nur die einfache Vertreibung der Fremden zu verhindern.<lb/>
Nur das Erscheinen von Kriegsschiffen seiner Nation vermag dem Fremden<lb/>
diejenige Rechtssicherheit zu geben, die er zur Betreibung seiner Geschäfte und<lb/>
nickt selten zur Erhaltung seines Lebens und seiner Freiheit bedarf. Obwohl<lb/>
alle Küstenvölkcr des Erdkreises sehr wohl wissen, daß der Engländer einer<lb/>
seemächtigen Nation angehört, müssen doch selbst englische Kriegsschiffe fast<lb/>
jedes Jahr an jenen Küsten zum Schuhe ihrer Staatsangehörigen ein¬<lb/>
schreiten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1222"> Die deutsche Handclsschifffahrt nach den afrikanischen Küsten ist grade,<lb/>
weil ihr jeder Schutz fehlt und weil grade hier dieser Schutz mehr als an¬<lb/>
derswo eine Bedingung der Existenz ist, äußerst gering, aber desto lebhafter<lb/>
bewegt sich der deutsche Handel an den ostasiatischen Küsten, und was das vor¬<lb/>
mals spanische Amerika betrifft, so darf ohne Uebertreibung angenommen<lb/>
werden, daß in den Küstenplätzen desselben wenigstens eben so viele Deutsche<lb/>
als Engländer leben, und zwar solche Deutsche, welche sich keineswegs als<lb/>
Ausgewanderte betrachten, sondern die sich kürzere oder längere Zeit dort auf¬<lb/>
halten, um Handelsverbindungen anzuknüpfen oder aufrecht zu erhalten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1223"> Wir haben noch nie gehört, daß Hamburg oder Bremen zum Schutze<lb/>
ihrer Rechte und Interessen in diesen Ländern thatsächlich eingeschritten seien.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1224"> Nicht weil die Rechte und Interessen hanseatischer Bürger dort nicht eben¬<lb/>
so oft oder häusiger verletzt würden, als die der Engländer, sondern weil sie in<lb/>
ihrer freigewählten Wehrlosigkeit dieselben nicht zu schützen vermögen. Der<lb/>
Deutsche, der nicht etwa Preuße ist. mag zusehen, wie er dort zu seinem<lb/>
Rechte kommt, er mag sich in die Ungerechtigkeiten finden lernen, und wird ihm<lb/>
zu schlimm mitgespielt, so sucht er meistens Hilfe bei den Vertretern solcher<lb/>
fremder Regierungen, denen Kriegsschiffe zu Gebote stehen, seine vaterländische<lb/>
Regirung wird, wenn er so thöricht ist, sich an dieselbe zu wenden, ihrer¬<lb/>
seits nur bitten tonnen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1225"> Den prägnantesten Ausdruck findet das Gesagte darin, daß vor Kurzem<lb/>
Hamburg über einen Vertrag, irren wir nicht mit Venezuela, unterhandeln ließ, in<lb/>
welchem die alte Hansestadt im Voraus auf jeden Ersatz des Schadens, welcher<lb/>
Hamburgern in bestimmten Fällen bei den dort gewöhnlichen inneren Unruhen<lb/>
^gefügt werden möchte, verzichtete. Wir wissen nicht, ob der Hamburger<lb/>
Senat diesen Vertrag ratisicirt hat, die Ratification stand indeß so nahe be¬<lb/>
vor, daß von Berlin ans dieser Scandnl, welcher durch jene zum ersten Male<lb/>
einen, jener halbbarbarischen Staaten zugestandene Bedingung künftige Ver.<lb/>
^'agsabschlüssc des Zollvereins mit jenen Staaten sehr erschweren müßte, of-<lb/>
stciös zur Sprache gebracht wurde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1226" next="#ID_1227"> Es ist aus Hauseatischen Nachrichten bekannt, daß nur das Erscheinen</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 46»</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0373] Kanonenluken. Die Furcht vor der Einäscherung der Küstenplätze muß oft in's Mittel treten, um nur die einfache Vertreibung der Fremden zu verhindern. Nur das Erscheinen von Kriegsschiffen seiner Nation vermag dem Fremden diejenige Rechtssicherheit zu geben, die er zur Betreibung seiner Geschäfte und nickt selten zur Erhaltung seines Lebens und seiner Freiheit bedarf. Obwohl alle Küstenvölkcr des Erdkreises sehr wohl wissen, daß der Engländer einer seemächtigen Nation angehört, müssen doch selbst englische Kriegsschiffe fast jedes Jahr an jenen Küsten zum Schuhe ihrer Staatsangehörigen ein¬ schreiten. Die deutsche Handclsschifffahrt nach den afrikanischen Küsten ist grade, weil ihr jeder Schutz fehlt und weil grade hier dieser Schutz mehr als an¬ derswo eine Bedingung der Existenz ist, äußerst gering, aber desto lebhafter bewegt sich der deutsche Handel an den ostasiatischen Küsten, und was das vor¬ mals spanische Amerika betrifft, so darf ohne Uebertreibung angenommen werden, daß in den Küstenplätzen desselben wenigstens eben so viele Deutsche als Engländer leben, und zwar solche Deutsche, welche sich keineswegs als Ausgewanderte betrachten, sondern die sich kürzere oder längere Zeit dort auf¬ halten, um Handelsverbindungen anzuknüpfen oder aufrecht zu erhalten. Wir haben noch nie gehört, daß Hamburg oder Bremen zum Schutze ihrer Rechte und Interessen in diesen Ländern thatsächlich eingeschritten seien. Nicht weil die Rechte und Interessen hanseatischer Bürger dort nicht eben¬ so oft oder häusiger verletzt würden, als die der Engländer, sondern weil sie in ihrer freigewählten Wehrlosigkeit dieselben nicht zu schützen vermögen. Der Deutsche, der nicht etwa Preuße ist. mag zusehen, wie er dort zu seinem Rechte kommt, er mag sich in die Ungerechtigkeiten finden lernen, und wird ihm zu schlimm mitgespielt, so sucht er meistens Hilfe bei den Vertretern solcher fremder Regierungen, denen Kriegsschiffe zu Gebote stehen, seine vaterländische Regirung wird, wenn er so thöricht ist, sich an dieselbe zu wenden, ihrer¬ seits nur bitten tonnen. Den prägnantesten Ausdruck findet das Gesagte darin, daß vor Kurzem Hamburg über einen Vertrag, irren wir nicht mit Venezuela, unterhandeln ließ, in welchem die alte Hansestadt im Voraus auf jeden Ersatz des Schadens, welcher Hamburgern in bestimmten Fällen bei den dort gewöhnlichen inneren Unruhen ^gefügt werden möchte, verzichtete. Wir wissen nicht, ob der Hamburger Senat diesen Vertrag ratisicirt hat, die Ratification stand indeß so nahe be¬ vor, daß von Berlin ans dieser Scandnl, welcher durch jene zum ersten Male einen, jener halbbarbarischen Staaten zugestandene Bedingung künftige Ver. ^'agsabschlüssc des Zollvereins mit jenen Staaten sehr erschweren müßte, of- stciös zur Sprache gebracht wurde. Es ist aus Hauseatischen Nachrichten bekannt, daß nur das Erscheinen 46»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/373
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/373>, abgerufen am 24.08.2024.