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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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alters war: es ist der ununterbrochene bewaffnete Schutz des schwimmenden
Eigenthums auch selbst für denjenigen Staat, welcher im tiefen Frieden lebt,
erforderlich.

Die Kriegsflotten der secmächtigen Staaten haben in neuerer Zeit freilich
die europäischen und zum größten Theil auch die amerikanischen Meere von
Seeräubern gereinigt; die Seeräubern beschränkt sich, von einzelnen zeitweilig
unsicher" Punkten des mittelländischen Meeres abgesehen, gegenwärtig auf die
westlichen Gewässer des Stillen Meeres, und wirklich gefahrvoll sind dem
Schiffer nur noch diejenigen Meeresgegenden, an welchen malayische Völker¬
schaften wohnen.

Aber die Seeräuberei des Mittelalters ragt auch noch in Europa in
einem durch völkerrechtliche Jurisprudenz organisirten Stücke selbst in die
neueste Zeit hinein, -- in der Behandlung, welche den Neutralen von den
Kriegführenden zu Theil werden kann. Freilich but vor Kurzem der Pariser
Kongreß das schwimmende Eigenthum der Neutralen im Allgemeinen als un¬
verletzlich anerkannt, aber abgesehen davon, daß die vier Sätze dieses Kon¬
gresses, außer von Brasilien, nur von den Staaten Europas anerkannt worden
sind, so ist doch der willkürlichen Behandlung der Neutralen durch die Dehn¬
barkeit der Begriffe der Contrebande, des Untcrsuchungsrechts und der Blockade
noch eine weite Thüre offen geblieben, und nur 'derjenige Staat, der die Ver¬
letzung der Rechte seiner Flagge nöthigenfalls rächen, der seinen Handelsschiffen
durch Kriegsschiffe einen unmittelbaren Schutz gewähren kann, darf hoffen, daß
die Neutralität seiner Flagge wirkliche Achtung finde.

Jene Rechtsunsicherheit des europäischen Mittelalters findet sich aber noch
heute unausgesetzt in den halbbarbarischen Küstenländern jenseits des Meeres
und macht für die civilisirten Völker die unausgesetzte Beschützung ihrer Staats¬
angehörigen zur Nothwendigkeit.

In Europa ist gegenwärtig die Rechtssicherheit in dem ausgedehnten Maaße
vorhanden, daß der Fremde überall das gleiche Recht wie der Einheimische
findet. Der Handel und die Schifffahrt führen aber den Deutschen an Küsten,
wo diese Rechtsgleichheit sür Alle keineswegs stattfindet und wo sie noch nicht
einmal für die Einheimischen begründet ist.

An den Küsten West- und Ostafrikas, Ostasiens und in dem ganzen ehe¬
mals spanischen, jetzt in die Barbarei zurücksinkenden Amerika hat der Fremde
nur in so weit die Anerkennung seiner Rechte zu erwarten, als diese Anerken¬
nung den momentanen und vermeintlichen Interessen der Bevölkerung entspricht-
er darf sich namentlich dann, wenn seine Rechte mit den Interessen der Macht'
Haber cvllidiren, auf die rücksichtsloseste Behandlung gefaßt machen.

Die Regierungen dieser Länder und zum Theil auch die Privaten bezahlen
dem Fremden selbst gewöhnliche Schulden oft nur Angesichts der geöffneten


alters war: es ist der ununterbrochene bewaffnete Schutz des schwimmenden
Eigenthums auch selbst für denjenigen Staat, welcher im tiefen Frieden lebt,
erforderlich.

Die Kriegsflotten der secmächtigen Staaten haben in neuerer Zeit freilich
die europäischen und zum größten Theil auch die amerikanischen Meere von
Seeräubern gereinigt; die Seeräubern beschränkt sich, von einzelnen zeitweilig
unsicher» Punkten des mittelländischen Meeres abgesehen, gegenwärtig auf die
westlichen Gewässer des Stillen Meeres, und wirklich gefahrvoll sind dem
Schiffer nur noch diejenigen Meeresgegenden, an welchen malayische Völker¬
schaften wohnen.

Aber die Seeräuberei des Mittelalters ragt auch noch in Europa in
einem durch völkerrechtliche Jurisprudenz organisirten Stücke selbst in die
neueste Zeit hinein, — in der Behandlung, welche den Neutralen von den
Kriegführenden zu Theil werden kann. Freilich but vor Kurzem der Pariser
Kongreß das schwimmende Eigenthum der Neutralen im Allgemeinen als un¬
verletzlich anerkannt, aber abgesehen davon, daß die vier Sätze dieses Kon¬
gresses, außer von Brasilien, nur von den Staaten Europas anerkannt worden
sind, so ist doch der willkürlichen Behandlung der Neutralen durch die Dehn¬
barkeit der Begriffe der Contrebande, des Untcrsuchungsrechts und der Blockade
noch eine weite Thüre offen geblieben, und nur 'derjenige Staat, der die Ver¬
letzung der Rechte seiner Flagge nöthigenfalls rächen, der seinen Handelsschiffen
durch Kriegsschiffe einen unmittelbaren Schutz gewähren kann, darf hoffen, daß
die Neutralität seiner Flagge wirkliche Achtung finde.

Jene Rechtsunsicherheit des europäischen Mittelalters findet sich aber noch
heute unausgesetzt in den halbbarbarischen Küstenländern jenseits des Meeres
und macht für die civilisirten Völker die unausgesetzte Beschützung ihrer Staats¬
angehörigen zur Nothwendigkeit.

In Europa ist gegenwärtig die Rechtssicherheit in dem ausgedehnten Maaße
vorhanden, daß der Fremde überall das gleiche Recht wie der Einheimische
findet. Der Handel und die Schifffahrt führen aber den Deutschen an Küsten,
wo diese Rechtsgleichheit sür Alle keineswegs stattfindet und wo sie noch nicht
einmal für die Einheimischen begründet ist.

An den Küsten West- und Ostafrikas, Ostasiens und in dem ganzen ehe¬
mals spanischen, jetzt in die Barbarei zurücksinkenden Amerika hat der Fremde
nur in so weit die Anerkennung seiner Rechte zu erwarten, als diese Anerken¬
nung den momentanen und vermeintlichen Interessen der Bevölkerung entspricht-
er darf sich namentlich dann, wenn seine Rechte mit den Interessen der Macht'
Haber cvllidiren, auf die rücksichtsloseste Behandlung gefaßt machen.

Die Regierungen dieser Länder und zum Theil auch die Privaten bezahlen
dem Fremden selbst gewöhnliche Schulden oft nur Angesichts der geöffneten


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[0372] alters war: es ist der ununterbrochene bewaffnete Schutz des schwimmenden Eigenthums auch selbst für denjenigen Staat, welcher im tiefen Frieden lebt, erforderlich. Die Kriegsflotten der secmächtigen Staaten haben in neuerer Zeit freilich die europäischen und zum größten Theil auch die amerikanischen Meere von Seeräubern gereinigt; die Seeräubern beschränkt sich, von einzelnen zeitweilig unsicher» Punkten des mittelländischen Meeres abgesehen, gegenwärtig auf die westlichen Gewässer des Stillen Meeres, und wirklich gefahrvoll sind dem Schiffer nur noch diejenigen Meeresgegenden, an welchen malayische Völker¬ schaften wohnen. Aber die Seeräuberei des Mittelalters ragt auch noch in Europa in einem durch völkerrechtliche Jurisprudenz organisirten Stücke selbst in die neueste Zeit hinein, — in der Behandlung, welche den Neutralen von den Kriegführenden zu Theil werden kann. Freilich but vor Kurzem der Pariser Kongreß das schwimmende Eigenthum der Neutralen im Allgemeinen als un¬ verletzlich anerkannt, aber abgesehen davon, daß die vier Sätze dieses Kon¬ gresses, außer von Brasilien, nur von den Staaten Europas anerkannt worden sind, so ist doch der willkürlichen Behandlung der Neutralen durch die Dehn¬ barkeit der Begriffe der Contrebande, des Untcrsuchungsrechts und der Blockade noch eine weite Thüre offen geblieben, und nur 'derjenige Staat, der die Ver¬ letzung der Rechte seiner Flagge nöthigenfalls rächen, der seinen Handelsschiffen durch Kriegsschiffe einen unmittelbaren Schutz gewähren kann, darf hoffen, daß die Neutralität seiner Flagge wirkliche Achtung finde. Jene Rechtsunsicherheit des europäischen Mittelalters findet sich aber noch heute unausgesetzt in den halbbarbarischen Küstenländern jenseits des Meeres und macht für die civilisirten Völker die unausgesetzte Beschützung ihrer Staats¬ angehörigen zur Nothwendigkeit. In Europa ist gegenwärtig die Rechtssicherheit in dem ausgedehnten Maaße vorhanden, daß der Fremde überall das gleiche Recht wie der Einheimische findet. Der Handel und die Schifffahrt führen aber den Deutschen an Küsten, wo diese Rechtsgleichheit sür Alle keineswegs stattfindet und wo sie noch nicht einmal für die Einheimischen begründet ist. An den Küsten West- und Ostafrikas, Ostasiens und in dem ganzen ehe¬ mals spanischen, jetzt in die Barbarei zurücksinkenden Amerika hat der Fremde nur in so weit die Anerkennung seiner Rechte zu erwarten, als diese Anerken¬ nung den momentanen und vermeintlichen Interessen der Bevölkerung entspricht- er darf sich namentlich dann, wenn seine Rechte mit den Interessen der Macht' Haber cvllidiren, auf die rücksichtsloseste Behandlung gefaßt machen. Die Regierungen dieser Länder und zum Theil auch die Privaten bezahlen dem Fremden selbst gewöhnliche Schulden oft nur Angesichts der geöffneten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/372>, abgerufen am 24.08.2024.