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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Glied knieend, ein zweites stehend, auf den Schultern des letztern ein paar
Andere, zuletzt einer ganz oben die Spitze bildend. Mit dieser Tollheit, die
den Zweck haben sollte, alle Gewehre aus einmal in's Feuer zu bringen, gaben
sie in mehren Städten Gastvorstellungen. Der Einfall wäre recht hübsch für
eine Seiltänzerbude gewesen, hier sollte er den Ernst des Krieges bedeuten,
und alle Welt glaubte daran, ja in Neuyork, wo die Presse eine ganze Woche
von nichts Anderem als den Zuaven von Chicago zu reden wußte, ging ein
Milizoberst sogar an's Werk, der Stadt eine gleiche Truppe einzurichten. Ob
der Mann sich nicht hat denken können, daß die ganze schöne Pyramide vor
dem Knall eines einzigen blinden Kanonenschusses zusammenfallen würde, wie
ein Kartenhaus vom Hauch eines Kindes.

Kriegstüchtig also sind die Milizen von Neuyork nicht, und dazu kommt
noch, daß sie in der Mehrzahl nicht geneigt sein werden, außer ihrem Staat
zu dienen, einmal weil das unbequem ist, und dann, weil die demokratische
Partei überwiegt. Etwas besser steht es in Massachusetts und in den west¬
lichen Staaten, wo die Republikaner die Oberhand haben. Doch genügen
auch diese Kräfte nicht zu energischem Einschreiten. Man wird also Frei¬
willige aufrufen, und da die Amerikaner unter sich Ueberfluß an kecken Aden-
teuerern, das Leben gering achtenden Burschen, Rausbolden und anderem halb¬
wilden Volk haben, so wird man rasch ein paar Dutzend Regimenter formiren
und mit strenger Disciplin in einigen Monaten ein ziemlich gutes Heer
schassen können, das aber immerhin nur zum kleinen Krieg zu brauchen sein
wird. Diese "Volunteers", zu welchen die sogenannten "Wide Awakes",
d. h. die in gewissem Maaß schon militärisch organisirten Abolitionisten
ein stattliches Contingent stellen werden, wühlen sich ihre Offiziere und treten
dann mit dem Sold, der Bewaffnung und der Disciplin des regulären Heeres
in den Dienst der Union, oder es werben Einzelne für ihr eignes Geld frei¬
willige Corps und bekommen dafür von der Centralrcgierung. je nachdem sie
eine Compagnie oder ein Regiment gesammelt, das Ccipitän- oder das Ober¬
sten-Patent. So war es beim Kriege mit Mexiko und so werden sich die
Dinge jetzt auch im Süden gestalten. Dauert der Krieg lange, so wird sich
aus demselben ein Geist entwickeln, vor dem die bisherige sast schrankenlose
Willkür, die man Freiheit nennt, nicht bestehen kann. Der Degen hat die
Eigenschaft, gern Scepter werden zu wollen, und es wird nicht alle Tage ein
Washington geboren, der ihn, bevor er sein Ziel erreicht, in die Scheide begräbt.

Zum Schluß noch einige Notizen über die Flotte der Vereinigten Staa¬
ten. Während des Unabhängigkeitskrieges bestand die amerikanische Seemacht
"ur aus Kaperschiffen und Kreuzern. Nach dem Frieden verkaufte man diese
Fahrzeuge wegen Untauglichkeit und aus Geldmangel. Später wollte man
Zwanzig Kriegsschiffe, darunter vier Linienschiffe von je 74, drei von 50 und


Grenzboten II. 1861. 44

Glied knieend, ein zweites stehend, auf den Schultern des letztern ein paar
Andere, zuletzt einer ganz oben die Spitze bildend. Mit dieser Tollheit, die
den Zweck haben sollte, alle Gewehre aus einmal in's Feuer zu bringen, gaben
sie in mehren Städten Gastvorstellungen. Der Einfall wäre recht hübsch für
eine Seiltänzerbude gewesen, hier sollte er den Ernst des Krieges bedeuten,
und alle Welt glaubte daran, ja in Neuyork, wo die Presse eine ganze Woche
von nichts Anderem als den Zuaven von Chicago zu reden wußte, ging ein
Milizoberst sogar an's Werk, der Stadt eine gleiche Truppe einzurichten. Ob
der Mann sich nicht hat denken können, daß die ganze schöne Pyramide vor
dem Knall eines einzigen blinden Kanonenschusses zusammenfallen würde, wie
ein Kartenhaus vom Hauch eines Kindes.

Kriegstüchtig also sind die Milizen von Neuyork nicht, und dazu kommt
noch, daß sie in der Mehrzahl nicht geneigt sein werden, außer ihrem Staat
zu dienen, einmal weil das unbequem ist, und dann, weil die demokratische
Partei überwiegt. Etwas besser steht es in Massachusetts und in den west¬
lichen Staaten, wo die Republikaner die Oberhand haben. Doch genügen
auch diese Kräfte nicht zu energischem Einschreiten. Man wird also Frei¬
willige aufrufen, und da die Amerikaner unter sich Ueberfluß an kecken Aden-
teuerern, das Leben gering achtenden Burschen, Rausbolden und anderem halb¬
wilden Volk haben, so wird man rasch ein paar Dutzend Regimenter formiren
und mit strenger Disciplin in einigen Monaten ein ziemlich gutes Heer
schassen können, das aber immerhin nur zum kleinen Krieg zu brauchen sein
wird. Diese „Volunteers", zu welchen die sogenannten „Wide Awakes",
d. h. die in gewissem Maaß schon militärisch organisirten Abolitionisten
ein stattliches Contingent stellen werden, wühlen sich ihre Offiziere und treten
dann mit dem Sold, der Bewaffnung und der Disciplin des regulären Heeres
in den Dienst der Union, oder es werben Einzelne für ihr eignes Geld frei¬
willige Corps und bekommen dafür von der Centralrcgierung. je nachdem sie
eine Compagnie oder ein Regiment gesammelt, das Ccipitän- oder das Ober¬
sten-Patent. So war es beim Kriege mit Mexiko und so werden sich die
Dinge jetzt auch im Süden gestalten. Dauert der Krieg lange, so wird sich
aus demselben ein Geist entwickeln, vor dem die bisherige sast schrankenlose
Willkür, die man Freiheit nennt, nicht bestehen kann. Der Degen hat die
Eigenschaft, gern Scepter werden zu wollen, und es wird nicht alle Tage ein
Washington geboren, der ihn, bevor er sein Ziel erreicht, in die Scheide begräbt.

Zum Schluß noch einige Notizen über die Flotte der Vereinigten Staa¬
ten. Während des Unabhängigkeitskrieges bestand die amerikanische Seemacht
"ur aus Kaperschiffen und Kreuzern. Nach dem Frieden verkaufte man diese
Fahrzeuge wegen Untauglichkeit und aus Geldmangel. Später wollte man
Zwanzig Kriegsschiffe, darunter vier Linienschiffe von je 74, drei von 50 und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/355>, abgerufen am 24.08.2024.