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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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des Staates hoffte. Am 24. December v. I. erließ der neue Staatsminister
Schmerling sein bekanntes Programm, und schon am 7. Januar d. I. be¬
gannen unsere Pfaffen im Vereine mit einigen Junkern, die über die getäuschte
Hoffnung aus Rothfrack und Orden ergrimmt waren, zu Berg und Thal ins¬
geheim Unterschriften für eine Adresse an den Kaiser zu erlisten, die dem Mi¬
nister wegen der Auflassung des ständischen Princips schweres "Unrecht", und
Ansteckung mit dem "Pesthauch einer schlechten Zeit" vorwarf. Der Fürstbi¬
schof von Brixen sandte sie an seine Dekane und Pfarrer, das ganze schwarze
Chor war auf den Beinen, um von den einfältigen Bauern, welche ihre Ber-
schreibung für das alte Sklavenjoch entweder gar nicht lesen dursten, oder nicht
verstanden, Unterschrist und Gemeindesicgel zu entlocken. Ueber 200 Gemeinde¬
vorstände wurden zur Unterzeichnung des blöden Machwerks durch das
Vorgeben verleitet, es gelte nur eine Erklärung, daß sie "katholisch bleiben,
und nicht lutherisch werden wollen", oder wie man Anderen bedeutete, einen
Protest gegen die Ausrandung der Klöster. Der nächste Zweck, die Umhängung
des alten ständischen Maulkorbs, ward sorglich vertuscht. Der größere Theil
des Adels, der den Fallstrick erkannte, bloß die Immatriculirten, etwa 137 an
der Zahl und meistens ausgezeichnet durch angestammte Gcisteseinfalt, durch 14
aus ihrer Mitte auf dem Landtag vertreten zu lassen, enthielt sich der^Unter-
schrift, nur die Giovanelli's, die für die Urheber des bäuerlich trotzigen Acten-
stückes gehalten werden, drängten zum Kreuzzug, und einer ihrer Sancho Pan-
sa's vertheilte in betreßtem Wams Guldenzettel für die Unterschriften durstiger
Ehrenmänner. Selbst in dem Kreise der Auserlesenen, die der Erzherzog um
sich versammelt, wurde die Adresse herumgeboten, sein eigener Obersthofmeister
betrieb das noble Geschäft. Daß der Erzherzog-Statthalter wußte, was unter
seinen Augen vorging, daß der Mann seines unbedingten Vertrauens, der
Bischof von Brixen, sich zum bestgemeinten Werke seine Zustimmung erbat
und erhielt, darf wol kaum bezweifelt werden. Der Minister beschwerte sich
während der Anwesenheit des Erzherzogs in Wien darüber persönlich bei ihm,
und als dieser durch die Verweisung auf die einem kaiserlichen Prinzen gebüh¬
rende Achtung der unliebsamen Jnterpellation ausweichen zu können glaubte,
erinnerte ihn Schmerling, daß er nicht zu diesem, sondern zum Statthalter
von Tirol spreche, der die Absichten und Pläne der Regierung nicht durch¬
kreuzen dürfe.

Noch vor und während dieser Ränke begannen die Gemeindewahlen.
In Innsbruck gingen sie in auffallender Eile vor, so daß es schien, als hätte
den Wählern vor dem Einfluß des Erzherzogs gebangt, der auch schon da¬
mals auf kurze Zeit in Wien verweilte. Sie konnten es aber nicht verbin-
den, daß durch den regen Glaubenseifer des Professor Greuter, der die
Affiliirtm des katholischen Vereins "an das Kreuz des heiligen Gehorsams


des Staates hoffte. Am 24. December v. I. erließ der neue Staatsminister
Schmerling sein bekanntes Programm, und schon am 7. Januar d. I. be¬
gannen unsere Pfaffen im Vereine mit einigen Junkern, die über die getäuschte
Hoffnung aus Rothfrack und Orden ergrimmt waren, zu Berg und Thal ins¬
geheim Unterschriften für eine Adresse an den Kaiser zu erlisten, die dem Mi¬
nister wegen der Auflassung des ständischen Princips schweres „Unrecht", und
Ansteckung mit dem „Pesthauch einer schlechten Zeit" vorwarf. Der Fürstbi¬
schof von Brixen sandte sie an seine Dekane und Pfarrer, das ganze schwarze
Chor war auf den Beinen, um von den einfältigen Bauern, welche ihre Ber-
schreibung für das alte Sklavenjoch entweder gar nicht lesen dursten, oder nicht
verstanden, Unterschrist und Gemeindesicgel zu entlocken. Ueber 200 Gemeinde¬
vorstände wurden zur Unterzeichnung des blöden Machwerks durch das
Vorgeben verleitet, es gelte nur eine Erklärung, daß sie „katholisch bleiben,
und nicht lutherisch werden wollen", oder wie man Anderen bedeutete, einen
Protest gegen die Ausrandung der Klöster. Der nächste Zweck, die Umhängung
des alten ständischen Maulkorbs, ward sorglich vertuscht. Der größere Theil
des Adels, der den Fallstrick erkannte, bloß die Immatriculirten, etwa 137 an
der Zahl und meistens ausgezeichnet durch angestammte Gcisteseinfalt, durch 14
aus ihrer Mitte auf dem Landtag vertreten zu lassen, enthielt sich der^Unter-
schrift, nur die Giovanelli's, die für die Urheber des bäuerlich trotzigen Acten-
stückes gehalten werden, drängten zum Kreuzzug, und einer ihrer Sancho Pan-
sa's vertheilte in betreßtem Wams Guldenzettel für die Unterschriften durstiger
Ehrenmänner. Selbst in dem Kreise der Auserlesenen, die der Erzherzog um
sich versammelt, wurde die Adresse herumgeboten, sein eigener Obersthofmeister
betrieb das noble Geschäft. Daß der Erzherzog-Statthalter wußte, was unter
seinen Augen vorging, daß der Mann seines unbedingten Vertrauens, der
Bischof von Brixen, sich zum bestgemeinten Werke seine Zustimmung erbat
und erhielt, darf wol kaum bezweifelt werden. Der Minister beschwerte sich
während der Anwesenheit des Erzherzogs in Wien darüber persönlich bei ihm,
und als dieser durch die Verweisung auf die einem kaiserlichen Prinzen gebüh¬
rende Achtung der unliebsamen Jnterpellation ausweichen zu können glaubte,
erinnerte ihn Schmerling, daß er nicht zu diesem, sondern zum Statthalter
von Tirol spreche, der die Absichten und Pläne der Regierung nicht durch¬
kreuzen dürfe.

Noch vor und während dieser Ränke begannen die Gemeindewahlen.
In Innsbruck gingen sie in auffallender Eile vor, so daß es schien, als hätte
den Wählern vor dem Einfluß des Erzherzogs gebangt, der auch schon da¬
mals auf kurze Zeit in Wien verweilte. Sie konnten es aber nicht verbin-
den, daß durch den regen Glaubenseifer des Professor Greuter, der die
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[0336] des Staates hoffte. Am 24. December v. I. erließ der neue Staatsminister Schmerling sein bekanntes Programm, und schon am 7. Januar d. I. be¬ gannen unsere Pfaffen im Vereine mit einigen Junkern, die über die getäuschte Hoffnung aus Rothfrack und Orden ergrimmt waren, zu Berg und Thal ins¬ geheim Unterschriften für eine Adresse an den Kaiser zu erlisten, die dem Mi¬ nister wegen der Auflassung des ständischen Princips schweres „Unrecht", und Ansteckung mit dem „Pesthauch einer schlechten Zeit" vorwarf. Der Fürstbi¬ schof von Brixen sandte sie an seine Dekane und Pfarrer, das ganze schwarze Chor war auf den Beinen, um von den einfältigen Bauern, welche ihre Ber- schreibung für das alte Sklavenjoch entweder gar nicht lesen dursten, oder nicht verstanden, Unterschrist und Gemeindesicgel zu entlocken. Ueber 200 Gemeinde¬ vorstände wurden zur Unterzeichnung des blöden Machwerks durch das Vorgeben verleitet, es gelte nur eine Erklärung, daß sie „katholisch bleiben, und nicht lutherisch werden wollen", oder wie man Anderen bedeutete, einen Protest gegen die Ausrandung der Klöster. Der nächste Zweck, die Umhängung des alten ständischen Maulkorbs, ward sorglich vertuscht. Der größere Theil des Adels, der den Fallstrick erkannte, bloß die Immatriculirten, etwa 137 an der Zahl und meistens ausgezeichnet durch angestammte Gcisteseinfalt, durch 14 aus ihrer Mitte auf dem Landtag vertreten zu lassen, enthielt sich der^Unter- schrift, nur die Giovanelli's, die für die Urheber des bäuerlich trotzigen Acten- stückes gehalten werden, drängten zum Kreuzzug, und einer ihrer Sancho Pan- sa's vertheilte in betreßtem Wams Guldenzettel für die Unterschriften durstiger Ehrenmänner. Selbst in dem Kreise der Auserlesenen, die der Erzherzog um sich versammelt, wurde die Adresse herumgeboten, sein eigener Obersthofmeister betrieb das noble Geschäft. Daß der Erzherzog-Statthalter wußte, was unter seinen Augen vorging, daß der Mann seines unbedingten Vertrauens, der Bischof von Brixen, sich zum bestgemeinten Werke seine Zustimmung erbat und erhielt, darf wol kaum bezweifelt werden. Der Minister beschwerte sich während der Anwesenheit des Erzherzogs in Wien darüber persönlich bei ihm, und als dieser durch die Verweisung auf die einem kaiserlichen Prinzen gebüh¬ rende Achtung der unliebsamen Jnterpellation ausweichen zu können glaubte, erinnerte ihn Schmerling, daß er nicht zu diesem, sondern zum Statthalter von Tirol spreche, der die Absichten und Pläne der Regierung nicht durch¬ kreuzen dürfe. Noch vor und während dieser Ränke begannen die Gemeindewahlen. In Innsbruck gingen sie in auffallender Eile vor, so daß es schien, als hätte den Wählern vor dem Einfluß des Erzherzogs gebangt, der auch schon da¬ mals auf kurze Zeit in Wien verweilte. Sie konnten es aber nicht verbin- den, daß durch den regen Glaubenseifer des Professor Greuter, der die Affiliirtm des katholischen Vereins „an das Kreuz des heiligen Gehorsams

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/336>, abgerufen am 22.07.2024.