Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

kutes an, das für Tirol fast noch mehr als für die drei nicht ungarischen
Nachbarprovinzen "im Sinne ihrer früheren Verfassungen" ausgedacht war.
Außer der Intelligenz der höchsten Landesstellen, Jesuiten und vielen Geist¬
lichen weilt dort mancher kluge und unabhängige Handelsmann, und die wis¬
sensdurstige Jugend, der die Zukunft Tirols gehört. Das Statut war be¬
kanntlich aus der Redaction des k.k. Geheimrathes Clemens Grafen von
Brandis, ehemaligen Gouverneurs von Tirol, hervorgegangen, in dessen Fa¬
milie die Vorliebe für historische Alterthümer erblich ist. Der Erzherzog-Statt¬
halter hatte ihn. der früher auf seinen Gütern in Steiermark fast in klöster¬
licher Abgeschiedenheit nur philosophischen Studien über den "christlichen Staat"
und seinen Freunden, den Jesuiten, lebte, herbeigerufen, um seine Meisterhand
an das schwierige Werk der Restauration eines im Lauf der Zeiten vermoderten
Pergaments zu legen, und als seine Gesellen, der Fürstbischof von Brixen
und der Gras v. Wolkenstein, es probehaltig befunden, ward den Leuten, die
sich Heransnahmen darüber anders zu denken, das "Befremden" des Erzherzogs
zu erkennen gegeben. Trotz des Stillschweigens, das der vorsichtige Statthalter
schon im Voraus ein paar politisch verdächtigen Zeitungen auferlegt, ließ sich
ein vielseitiger Unwille über das, antiquirte Geschenk denn doch nicht ganz
unterdrücken. Der gelungene Entwurf des frommen Staatsmanns war in der
Werkstätte des Grafen Goluchvwsky der regelrechten Form angepaßt, und zeich¬
nete sich, ohne auf den Neid anderer Provinzen zu achten, durch strenges Fest¬
halten am Rechte der Privilegirten aus. Nur vier Stände, Klerus. Adel,
Städte und Bauern sollten in Tirol wie vor 500 Jahren eine Vertretung er¬
halten, damit, wie sich ein Witzblatt ausdrückte: "Viermal vierzehn Stimmen
im harmonischen Verbände süß wie Sphärenklang ertönen."

Einen Mißton konnten höchstens die Städte durch ungeschickte Wahlen ah¬
nen lassen, aber wer weiß nicht, daß ein solcher oft nur scheinbar, ja in der Hand
eines Beethoven nur zur Steigerung der Wirkung dient. Das Landhaus ward
also zur Feier der wiederkehrenden Nacht beleuchtet, die Häuser der Bürger
aber blieben finster, selbst im Theater, wo das Bild des Kaisers hinter dem
aufgerollten Vorhang erschien, und die östreichische Hymne ertönte, herrschte
tiefes Schweigen. Dagegen ward dem Redacteur der "Bozner Zeitung" Dr.
Weller, der daselbst die erste Lanze für eine vermehrte Vertretung des Bürger¬
und Bauernstandes einlegte, von den Bürgern unter wiederholtem vielstim¬
migen Hoch ein Fackelzug gebracht und das deutsche Lied gesungen, was den
Erzherzog-Statthalter bewog, für Bozen ein Polizcicommissariat zu stiften.

Die Pfaffen schalten als "Freimaurer" alle Jene, die sich nicht beugten
vor den steinernen Tafeln der alten tiroler Bundeslade, und siehe da, es stand
nicht lange an, daß sie ihren frechen Schimpf auch auf Denjenigen übertrugen,
von dessen Willens- und Thatkraft jeder Ehrenmann in Oestreich die Rettung


kutes an, das für Tirol fast noch mehr als für die drei nicht ungarischen
Nachbarprovinzen „im Sinne ihrer früheren Verfassungen" ausgedacht war.
Außer der Intelligenz der höchsten Landesstellen, Jesuiten und vielen Geist¬
lichen weilt dort mancher kluge und unabhängige Handelsmann, und die wis¬
sensdurstige Jugend, der die Zukunft Tirols gehört. Das Statut war be¬
kanntlich aus der Redaction des k.k. Geheimrathes Clemens Grafen von
Brandis, ehemaligen Gouverneurs von Tirol, hervorgegangen, in dessen Fa¬
milie die Vorliebe für historische Alterthümer erblich ist. Der Erzherzog-Statt¬
halter hatte ihn. der früher auf seinen Gütern in Steiermark fast in klöster¬
licher Abgeschiedenheit nur philosophischen Studien über den „christlichen Staat"
und seinen Freunden, den Jesuiten, lebte, herbeigerufen, um seine Meisterhand
an das schwierige Werk der Restauration eines im Lauf der Zeiten vermoderten
Pergaments zu legen, und als seine Gesellen, der Fürstbischof von Brixen
und der Gras v. Wolkenstein, es probehaltig befunden, ward den Leuten, die
sich Heransnahmen darüber anders zu denken, das „Befremden" des Erzherzogs
zu erkennen gegeben. Trotz des Stillschweigens, das der vorsichtige Statthalter
schon im Voraus ein paar politisch verdächtigen Zeitungen auferlegt, ließ sich
ein vielseitiger Unwille über das, antiquirte Geschenk denn doch nicht ganz
unterdrücken. Der gelungene Entwurf des frommen Staatsmanns war in der
Werkstätte des Grafen Goluchvwsky der regelrechten Form angepaßt, und zeich¬
nete sich, ohne auf den Neid anderer Provinzen zu achten, durch strenges Fest¬
halten am Rechte der Privilegirten aus. Nur vier Stände, Klerus. Adel,
Städte und Bauern sollten in Tirol wie vor 500 Jahren eine Vertretung er¬
halten, damit, wie sich ein Witzblatt ausdrückte: „Viermal vierzehn Stimmen
im harmonischen Verbände süß wie Sphärenklang ertönen."

Einen Mißton konnten höchstens die Städte durch ungeschickte Wahlen ah¬
nen lassen, aber wer weiß nicht, daß ein solcher oft nur scheinbar, ja in der Hand
eines Beethoven nur zur Steigerung der Wirkung dient. Das Landhaus ward
also zur Feier der wiederkehrenden Nacht beleuchtet, die Häuser der Bürger
aber blieben finster, selbst im Theater, wo das Bild des Kaisers hinter dem
aufgerollten Vorhang erschien, und die östreichische Hymne ertönte, herrschte
tiefes Schweigen. Dagegen ward dem Redacteur der „Bozner Zeitung" Dr.
Weller, der daselbst die erste Lanze für eine vermehrte Vertretung des Bürger¬
und Bauernstandes einlegte, von den Bürgern unter wiederholtem vielstim¬
migen Hoch ein Fackelzug gebracht und das deutsche Lied gesungen, was den
Erzherzog-Statthalter bewog, für Bozen ein Polizcicommissariat zu stiften.

Die Pfaffen schalten als „Freimaurer" alle Jene, die sich nicht beugten
vor den steinernen Tafeln der alten tiroler Bundeslade, und siehe da, es stand
nicht lange an, daß sie ihren frechen Schimpf auch auf Denjenigen übertrugen,
von dessen Willens- und Thatkraft jeder Ehrenmann in Oestreich die Rettung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111767"/>
          <p xml:id="ID_1104" prev="#ID_1103"> kutes an, das für Tirol fast noch mehr als für die drei nicht ungarischen<lb/>
Nachbarprovinzen &#x201E;im Sinne ihrer früheren Verfassungen" ausgedacht war.<lb/>
Außer der Intelligenz der höchsten Landesstellen, Jesuiten und vielen Geist¬<lb/>
lichen weilt dort mancher kluge und unabhängige Handelsmann, und die wis¬<lb/>
sensdurstige Jugend, der die Zukunft Tirols gehört. Das Statut war be¬<lb/>
kanntlich aus der Redaction des k.k. Geheimrathes Clemens Grafen von<lb/>
Brandis, ehemaligen Gouverneurs von Tirol, hervorgegangen, in dessen Fa¬<lb/>
milie die Vorliebe für historische Alterthümer erblich ist. Der Erzherzog-Statt¬<lb/>
halter hatte ihn. der früher auf seinen Gütern in Steiermark fast in klöster¬<lb/>
licher Abgeschiedenheit nur philosophischen Studien über den &#x201E;christlichen Staat"<lb/>
und seinen Freunden, den Jesuiten, lebte, herbeigerufen, um seine Meisterhand<lb/>
an das schwierige Werk der Restauration eines im Lauf der Zeiten vermoderten<lb/>
Pergaments zu legen, und als seine Gesellen, der Fürstbischof von Brixen<lb/>
und der Gras v. Wolkenstein, es probehaltig befunden, ward den Leuten, die<lb/>
sich Heransnahmen darüber anders zu denken, das &#x201E;Befremden" des Erzherzogs<lb/>
zu erkennen gegeben. Trotz des Stillschweigens, das der vorsichtige Statthalter<lb/>
schon im Voraus ein paar politisch verdächtigen Zeitungen auferlegt, ließ sich<lb/>
ein vielseitiger Unwille über das, antiquirte Geschenk denn doch nicht ganz<lb/>
unterdrücken. Der gelungene Entwurf des frommen Staatsmanns war in der<lb/>
Werkstätte des Grafen Goluchvwsky der regelrechten Form angepaßt, und zeich¬<lb/>
nete sich, ohne auf den Neid anderer Provinzen zu achten, durch strenges Fest¬<lb/>
halten am Rechte der Privilegirten aus. Nur vier Stände, Klerus. Adel,<lb/>
Städte und Bauern sollten in Tirol wie vor 500 Jahren eine Vertretung er¬<lb/>
halten, damit, wie sich ein Witzblatt ausdrückte: &#x201E;Viermal vierzehn Stimmen<lb/>
im harmonischen Verbände süß wie Sphärenklang ertönen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1105"> Einen Mißton konnten höchstens die Städte durch ungeschickte Wahlen ah¬<lb/>
nen lassen, aber wer weiß nicht, daß ein solcher oft nur scheinbar, ja in der Hand<lb/>
eines Beethoven nur zur Steigerung der Wirkung dient. Das Landhaus ward<lb/>
also zur Feier der wiederkehrenden Nacht beleuchtet, die Häuser der Bürger<lb/>
aber blieben finster, selbst im Theater, wo das Bild des Kaisers hinter dem<lb/>
aufgerollten Vorhang erschien, und die östreichische Hymne ertönte, herrschte<lb/>
tiefes Schweigen. Dagegen ward dem Redacteur der &#x201E;Bozner Zeitung" Dr.<lb/>
Weller, der daselbst die erste Lanze für eine vermehrte Vertretung des Bürger¬<lb/>
und Bauernstandes einlegte, von den Bürgern unter wiederholtem vielstim¬<lb/>
migen Hoch ein Fackelzug gebracht und das deutsche Lied gesungen, was den<lb/>
Erzherzog-Statthalter bewog, für Bozen ein Polizcicommissariat zu stiften.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1106" next="#ID_1107"> Die Pfaffen schalten als &#x201E;Freimaurer" alle Jene, die sich nicht beugten<lb/>
vor den steinernen Tafeln der alten tiroler Bundeslade, und siehe da, es stand<lb/>
nicht lange an, daß sie ihren frechen Schimpf auch auf Denjenigen übertrugen,<lb/>
von dessen Willens- und Thatkraft jeder Ehrenmann in Oestreich die Rettung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0335] kutes an, das für Tirol fast noch mehr als für die drei nicht ungarischen Nachbarprovinzen „im Sinne ihrer früheren Verfassungen" ausgedacht war. Außer der Intelligenz der höchsten Landesstellen, Jesuiten und vielen Geist¬ lichen weilt dort mancher kluge und unabhängige Handelsmann, und die wis¬ sensdurstige Jugend, der die Zukunft Tirols gehört. Das Statut war be¬ kanntlich aus der Redaction des k.k. Geheimrathes Clemens Grafen von Brandis, ehemaligen Gouverneurs von Tirol, hervorgegangen, in dessen Fa¬ milie die Vorliebe für historische Alterthümer erblich ist. Der Erzherzog-Statt¬ halter hatte ihn. der früher auf seinen Gütern in Steiermark fast in klöster¬ licher Abgeschiedenheit nur philosophischen Studien über den „christlichen Staat" und seinen Freunden, den Jesuiten, lebte, herbeigerufen, um seine Meisterhand an das schwierige Werk der Restauration eines im Lauf der Zeiten vermoderten Pergaments zu legen, und als seine Gesellen, der Fürstbischof von Brixen und der Gras v. Wolkenstein, es probehaltig befunden, ward den Leuten, die sich Heransnahmen darüber anders zu denken, das „Befremden" des Erzherzogs zu erkennen gegeben. Trotz des Stillschweigens, das der vorsichtige Statthalter schon im Voraus ein paar politisch verdächtigen Zeitungen auferlegt, ließ sich ein vielseitiger Unwille über das, antiquirte Geschenk denn doch nicht ganz unterdrücken. Der gelungene Entwurf des frommen Staatsmanns war in der Werkstätte des Grafen Goluchvwsky der regelrechten Form angepaßt, und zeich¬ nete sich, ohne auf den Neid anderer Provinzen zu achten, durch strenges Fest¬ halten am Rechte der Privilegirten aus. Nur vier Stände, Klerus. Adel, Städte und Bauern sollten in Tirol wie vor 500 Jahren eine Vertretung er¬ halten, damit, wie sich ein Witzblatt ausdrückte: „Viermal vierzehn Stimmen im harmonischen Verbände süß wie Sphärenklang ertönen." Einen Mißton konnten höchstens die Städte durch ungeschickte Wahlen ah¬ nen lassen, aber wer weiß nicht, daß ein solcher oft nur scheinbar, ja in der Hand eines Beethoven nur zur Steigerung der Wirkung dient. Das Landhaus ward also zur Feier der wiederkehrenden Nacht beleuchtet, die Häuser der Bürger aber blieben finster, selbst im Theater, wo das Bild des Kaisers hinter dem aufgerollten Vorhang erschien, und die östreichische Hymne ertönte, herrschte tiefes Schweigen. Dagegen ward dem Redacteur der „Bozner Zeitung" Dr. Weller, der daselbst die erste Lanze für eine vermehrte Vertretung des Bürger¬ und Bauernstandes einlegte, von den Bürgern unter wiederholtem vielstim¬ migen Hoch ein Fackelzug gebracht und das deutsche Lied gesungen, was den Erzherzog-Statthalter bewog, für Bozen ein Polizcicommissariat zu stiften. Die Pfaffen schalten als „Freimaurer" alle Jene, die sich nicht beugten vor den steinernen Tafeln der alten tiroler Bundeslade, und siehe da, es stand nicht lange an, daß sie ihren frechen Schimpf auch auf Denjenigen übertrugen, von dessen Willens- und Thatkraft jeder Ehrenmann in Oestreich die Rettung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/335
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/335>, abgerufen am 03.07.2024.