Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Tapferkeit, sondern nur Jähzorn und Stumpfheit sein. Es bliebe mir noch
übrig, von einer großen Sphäre des menschlichen Lebens zu sprechen, die ich
bisher bei keiner Gelegenheit erwähnt habe, ich meine -- von der Religion.
Die Wahrheit ist. daß ich sie von keiner Seite ber in das sociale Leben habe
hineinragen sehen, und daß ich deshalb offen bekennen muß, von ihr äußerst
wenig zu wissen. Ich will nicht sagen, daß sie hier nicht ein ebenso wichtiger
Factor für die Gestaltung der ganzen Lebensanschauung und aller daraus
resultirenden Verhältnisse sei als irgend wo anders; aber man sieht dies Ge.
statten nirgends; sie wirkt hier entschieden geräuschlos und ohne Prätension.
Ich weiß nur, daß es zwei Hauptreligionen, die des Buddha und des Sinto,
und daneben einige dreißig Secten gibt, die alle in friedlichster Eintracht neben
einander leben. Am wunderbarsten war mir. daß sich unter diesen Secten
eine unbelüstigt und unverfolgt befinden darf, welche einem trockenen Vernunft-
cultus huldigt, sich im Allgemeinen an die Lehren des chinesischen Confucius
anschließt und mit unseren modernen rationalistischen Secten auffallende Aehn-
lichkeit besitzt. Zahlreiche Tempel der verschiedenen Religionen, geschmückt mit
den verschiedensten Gottheiten, stehen überall am Wege, wenn thunlich an
Abhängen, mitten unter grünen Bäumen, Camelien und Lorbeeren. Dorthin
geht Jeder, wenn er Zeit und Neigung hat, sein Gebet zu verrichten; er
thut dies kurz und ohne viel Ceremonien, ein Priester sitzt da. scheinbar ohne
andere Beschäftigung als das Einkassiren der kleinen Kupfermünzen; er scheint
auf freundschaftlichem und gemüthlichem Fuße mit seinen Göttern zu stehen,
denn sie ertragen es geduldig, daß der Rauch aus der kleinen Pfeife ihres
Priesters ununterbrochen in blauen Ringen ihre göttlichen Nasen umlagert.

Die Japaner sind ohne allen religiösen Fanatismus und die im vorigen
Jahrhundert spielende grausame Christenverfolgung, welcher 30--40,000 Men¬
schen zum Opfer sielen, ist weit mehr einer politischen Reflexion als einem
religiösen Fanatismus zuzuschreiben. Es liegt in der Natur der christlichen
Religion, daß sie neugestaltend in die Gesellschaft, in den Staat eingreift.
Die Einführung der christlichen Religion trug in Europa den Keim vieler
politischen Revolutionen in sich; die japanesischen Herrscher haben dies viel¬
leicht erkannt und geahnt. Die japanischen Religionen erfüllen und befrie¬
digen offenbar alle religiösen Bedürfnisse der Bewohner; sie ergänzen Alles,
was fehlt; sie halten das Gegengewicht gegen die Trübe und Schwerfälligkeit
des sonstigen Lebens, sie heilen die Wunden, die ein finsterer Despotismus
ihnen schlägt. Alles ist in diesen Religionen besänftigend, heiter und sonnig
wie ihre Tempel an den grünen Abhängen; alle religiösen Feierlichkeiten sind
Feste der Freude, begleitet von Musik, Tanz und Spiel; nirgends etwas von
finsterem pfäffischen Zclotismus. Daß Humanität und Toleranz ein wesent¬
liches Product aller dieser Religionen sein muß. zeigt das friedliche Neben-
einanderleben von 38 Secten.


Tapferkeit, sondern nur Jähzorn und Stumpfheit sein. Es bliebe mir noch
übrig, von einer großen Sphäre des menschlichen Lebens zu sprechen, die ich
bisher bei keiner Gelegenheit erwähnt habe, ich meine — von der Religion.
Die Wahrheit ist. daß ich sie von keiner Seite ber in das sociale Leben habe
hineinragen sehen, und daß ich deshalb offen bekennen muß, von ihr äußerst
wenig zu wissen. Ich will nicht sagen, daß sie hier nicht ein ebenso wichtiger
Factor für die Gestaltung der ganzen Lebensanschauung und aller daraus
resultirenden Verhältnisse sei als irgend wo anders; aber man sieht dies Ge.
statten nirgends; sie wirkt hier entschieden geräuschlos und ohne Prätension.
Ich weiß nur, daß es zwei Hauptreligionen, die des Buddha und des Sinto,
und daneben einige dreißig Secten gibt, die alle in friedlichster Eintracht neben
einander leben. Am wunderbarsten war mir. daß sich unter diesen Secten
eine unbelüstigt und unverfolgt befinden darf, welche einem trockenen Vernunft-
cultus huldigt, sich im Allgemeinen an die Lehren des chinesischen Confucius
anschließt und mit unseren modernen rationalistischen Secten auffallende Aehn-
lichkeit besitzt. Zahlreiche Tempel der verschiedenen Religionen, geschmückt mit
den verschiedensten Gottheiten, stehen überall am Wege, wenn thunlich an
Abhängen, mitten unter grünen Bäumen, Camelien und Lorbeeren. Dorthin
geht Jeder, wenn er Zeit und Neigung hat, sein Gebet zu verrichten; er
thut dies kurz und ohne viel Ceremonien, ein Priester sitzt da. scheinbar ohne
andere Beschäftigung als das Einkassiren der kleinen Kupfermünzen; er scheint
auf freundschaftlichem und gemüthlichem Fuße mit seinen Göttern zu stehen,
denn sie ertragen es geduldig, daß der Rauch aus der kleinen Pfeife ihres
Priesters ununterbrochen in blauen Ringen ihre göttlichen Nasen umlagert.

Die Japaner sind ohne allen religiösen Fanatismus und die im vorigen
Jahrhundert spielende grausame Christenverfolgung, welcher 30—40,000 Men¬
schen zum Opfer sielen, ist weit mehr einer politischen Reflexion als einem
religiösen Fanatismus zuzuschreiben. Es liegt in der Natur der christlichen
Religion, daß sie neugestaltend in die Gesellschaft, in den Staat eingreift.
Die Einführung der christlichen Religion trug in Europa den Keim vieler
politischen Revolutionen in sich; die japanesischen Herrscher haben dies viel¬
leicht erkannt und geahnt. Die japanischen Religionen erfüllen und befrie¬
digen offenbar alle religiösen Bedürfnisse der Bewohner; sie ergänzen Alles,
was fehlt; sie halten das Gegengewicht gegen die Trübe und Schwerfälligkeit
des sonstigen Lebens, sie heilen die Wunden, die ein finsterer Despotismus
ihnen schlägt. Alles ist in diesen Religionen besänftigend, heiter und sonnig
wie ihre Tempel an den grünen Abhängen; alle religiösen Feierlichkeiten sind
Feste der Freude, begleitet von Musik, Tanz und Spiel; nirgends etwas von
finsterem pfäffischen Zclotismus. Daß Humanität und Toleranz ein wesent¬
liches Product aller dieser Religionen sein muß. zeigt das friedliche Neben-
einanderleben von 38 Secten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0324" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/111756"/>
            <p xml:id="ID_1080" prev="#ID_1079"> Tapferkeit, sondern nur Jähzorn und Stumpfheit sein. Es bliebe mir noch<lb/>
übrig, von einer großen Sphäre des menschlichen Lebens zu sprechen, die ich<lb/>
bisher bei keiner Gelegenheit erwähnt habe, ich meine &#x2014; von der Religion.<lb/>
Die Wahrheit ist. daß ich sie von keiner Seite ber in das sociale Leben habe<lb/>
hineinragen sehen, und daß ich deshalb offen bekennen muß, von ihr äußerst<lb/>
wenig zu wissen. Ich will nicht sagen, daß sie hier nicht ein ebenso wichtiger<lb/>
Factor für die Gestaltung der ganzen Lebensanschauung und aller daraus<lb/>
resultirenden Verhältnisse sei als irgend wo anders; aber man sieht dies Ge.<lb/>
statten nirgends; sie wirkt hier entschieden geräuschlos und ohne Prätension.<lb/>
Ich weiß nur, daß es zwei Hauptreligionen, die des Buddha und des Sinto,<lb/>
und daneben einige dreißig Secten gibt, die alle in friedlichster Eintracht neben<lb/>
einander leben. Am wunderbarsten war mir. daß sich unter diesen Secten<lb/>
eine unbelüstigt und unverfolgt befinden darf, welche einem trockenen Vernunft-<lb/>
cultus huldigt, sich im Allgemeinen an die Lehren des chinesischen Confucius<lb/>
anschließt und mit unseren modernen rationalistischen Secten auffallende Aehn-<lb/>
lichkeit besitzt. Zahlreiche Tempel der verschiedenen Religionen, geschmückt mit<lb/>
den verschiedensten Gottheiten, stehen überall am Wege, wenn thunlich an<lb/>
Abhängen, mitten unter grünen Bäumen, Camelien und Lorbeeren. Dorthin<lb/>
geht Jeder, wenn er Zeit und Neigung hat, sein Gebet zu verrichten; er<lb/>
thut dies kurz und ohne viel Ceremonien, ein Priester sitzt da. scheinbar ohne<lb/>
andere Beschäftigung als das Einkassiren der kleinen Kupfermünzen; er scheint<lb/>
auf freundschaftlichem und gemüthlichem Fuße mit seinen Göttern zu stehen,<lb/>
denn sie ertragen es geduldig, daß der Rauch aus der kleinen Pfeife ihres<lb/>
Priesters ununterbrochen in blauen Ringen ihre göttlichen Nasen umlagert.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1081"> Die Japaner sind ohne allen religiösen Fanatismus und die im vorigen<lb/>
Jahrhundert spielende grausame Christenverfolgung, welcher 30&#x2014;40,000 Men¬<lb/>
schen zum Opfer sielen, ist weit mehr einer politischen Reflexion als einem<lb/>
religiösen Fanatismus zuzuschreiben. Es liegt in der Natur der christlichen<lb/>
Religion, daß sie neugestaltend in die Gesellschaft, in den Staat eingreift.<lb/>
Die Einführung der christlichen Religion trug in Europa den Keim vieler<lb/>
politischen Revolutionen in sich; die japanesischen Herrscher haben dies viel¬<lb/>
leicht erkannt und geahnt. Die japanischen Religionen erfüllen und befrie¬<lb/>
digen offenbar alle religiösen Bedürfnisse der Bewohner; sie ergänzen Alles,<lb/>
was fehlt; sie halten das Gegengewicht gegen die Trübe und Schwerfälligkeit<lb/>
des sonstigen Lebens, sie heilen die Wunden, die ein finsterer Despotismus<lb/>
ihnen schlägt. Alles ist in diesen Religionen besänftigend, heiter und sonnig<lb/>
wie ihre Tempel an den grünen Abhängen; alle religiösen Feierlichkeiten sind<lb/>
Feste der Freude, begleitet von Musik, Tanz und Spiel; nirgends etwas von<lb/>
finsterem pfäffischen Zclotismus. Daß Humanität und Toleranz ein wesent¬<lb/>
liches Product aller dieser Religionen sein muß. zeigt das friedliche Neben-<lb/>
einanderleben von 38 Secten.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0324] Tapferkeit, sondern nur Jähzorn und Stumpfheit sein. Es bliebe mir noch übrig, von einer großen Sphäre des menschlichen Lebens zu sprechen, die ich bisher bei keiner Gelegenheit erwähnt habe, ich meine — von der Religion. Die Wahrheit ist. daß ich sie von keiner Seite ber in das sociale Leben habe hineinragen sehen, und daß ich deshalb offen bekennen muß, von ihr äußerst wenig zu wissen. Ich will nicht sagen, daß sie hier nicht ein ebenso wichtiger Factor für die Gestaltung der ganzen Lebensanschauung und aller daraus resultirenden Verhältnisse sei als irgend wo anders; aber man sieht dies Ge. statten nirgends; sie wirkt hier entschieden geräuschlos und ohne Prätension. Ich weiß nur, daß es zwei Hauptreligionen, die des Buddha und des Sinto, und daneben einige dreißig Secten gibt, die alle in friedlichster Eintracht neben einander leben. Am wunderbarsten war mir. daß sich unter diesen Secten eine unbelüstigt und unverfolgt befinden darf, welche einem trockenen Vernunft- cultus huldigt, sich im Allgemeinen an die Lehren des chinesischen Confucius anschließt und mit unseren modernen rationalistischen Secten auffallende Aehn- lichkeit besitzt. Zahlreiche Tempel der verschiedenen Religionen, geschmückt mit den verschiedensten Gottheiten, stehen überall am Wege, wenn thunlich an Abhängen, mitten unter grünen Bäumen, Camelien und Lorbeeren. Dorthin geht Jeder, wenn er Zeit und Neigung hat, sein Gebet zu verrichten; er thut dies kurz und ohne viel Ceremonien, ein Priester sitzt da. scheinbar ohne andere Beschäftigung als das Einkassiren der kleinen Kupfermünzen; er scheint auf freundschaftlichem und gemüthlichem Fuße mit seinen Göttern zu stehen, denn sie ertragen es geduldig, daß der Rauch aus der kleinen Pfeife ihres Priesters ununterbrochen in blauen Ringen ihre göttlichen Nasen umlagert. Die Japaner sind ohne allen religiösen Fanatismus und die im vorigen Jahrhundert spielende grausame Christenverfolgung, welcher 30—40,000 Men¬ schen zum Opfer sielen, ist weit mehr einer politischen Reflexion als einem religiösen Fanatismus zuzuschreiben. Es liegt in der Natur der christlichen Religion, daß sie neugestaltend in die Gesellschaft, in den Staat eingreift. Die Einführung der christlichen Religion trug in Europa den Keim vieler politischen Revolutionen in sich; die japanesischen Herrscher haben dies viel¬ leicht erkannt und geahnt. Die japanischen Religionen erfüllen und befrie¬ digen offenbar alle religiösen Bedürfnisse der Bewohner; sie ergänzen Alles, was fehlt; sie halten das Gegengewicht gegen die Trübe und Schwerfälligkeit des sonstigen Lebens, sie heilen die Wunden, die ein finsterer Despotismus ihnen schlägt. Alles ist in diesen Religionen besänftigend, heiter und sonnig wie ihre Tempel an den grünen Abhängen; alle religiösen Feierlichkeiten sind Feste der Freude, begleitet von Musik, Tanz und Spiel; nirgends etwas von finsterem pfäffischen Zclotismus. Daß Humanität und Toleranz ein wesent¬ liches Product aller dieser Religionen sein muß. zeigt das friedliche Neben- einanderleben von 38 Secten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/324
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/324>, abgerufen am 28.09.2024.