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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Friedenskirche zu Potsdam 1847, ein Crucifix mit Maria Magdalena zu-
Füßen des Gekreuzigten 1850. die vier Neliefdarstellungcn der Tageszeiten
1850. zwei Reliefs von Amor auf dem Panther 1852. die Medaillons und
Zmickelfigurcn für das neue Museum in Dresden 1851--54, die kolossale
Quadriga für das herzogliche Schloß in Braunschweig 1859.

Nach der Natur der dargestellten Gegenstande mußte sich der Künstler in
den einen mehr den antikisircndcn, in den anderen mehr der christlich mittel¬
alterlichen Formengebung zuneigen. Aber das Große ist, daß er weder hier
noch dort äußerlich nachahmte, sondern frcischöpferisch sein eigenstes We¬
sen gab.

Betrachten wir zunächst die Werke der antikisircndcn Art. Die Giebel-
figuren des Dresdener Theaters führen als Sinnbild der Tragödie die Ver¬
folgung und Sühnung des Orest, als Sinnbild der Oper die Wirkung der
Musik vor. Wir können uns nicht verhehlen, daß diese Kruppen durchaus
nicht jene architektonische Einfachheit und Strenge haben, welche die Alten in
solchen Darstellungen immer festhielten und welche mit unverletzlicher Natm-
Nothwendigkeit aus dem Wesen dieser Kunstart entspringt. Sie sind unruhig
und überladen; die einzelnen Gestalten treten nicht in klarer Sonderung scharf
auseinander; das Erstreben perspectivischer Wirkung fällt in das Malerische,
Es scheint, als sei sich Rietschel selbst dieses Mangels bewußt worden, den"
das Giebelfeld des Berliner Opernhauses, mit Hinweisung auf Oper und
Ballet in ähnlichen Gestalten die Freuden der Musik und des Tanzes schil¬
dernd, ist trotz all der frischen Lebendigkeit, welche an die bacchischen Dar¬
stellungen des Alterthums gemahnt, unendlich einfacher, auseinandergehaltener
und übersichtlicher. Wir müssen hinzusetzen, daß selbst dort, wo wir uns
mit der Komposition als solcher nicht einverstanden erklären, doch die Anlage
und Durchführung des Einzelnen die vollste Bewunderung fordert. Es ist
die antike Hoheit; aber nach Maßgabe der besten Renaissance individueller,
wärmer und weicher. Daher kommt es auch, daß, wo der Künstler freie se"'
tuarische Gestalten antikisirendcr Art schafft, er oft grade in diesen die alleruntadel-
hafteste und unvergänglichste Schönheit erreicht; ein Wort, das besonders Den¬
jenigen gesagt sei. die in neidischer Verkleinerungssucht bei Rietschel immer
nur von Naturalismus zu sprechen wissen. Wie jene Erstlingsarbeiten', die
allegorischen Figuren der vier Cardinaltugenden, weiche das Postament des
Dresdener Königsdenkmals zieren, zum Vollendetsten gehören, was Rietschel g"'
schaffen hat. so ist eines seiner letzten Werke, die kolossale Brunonia auf der
für Braunschweig bestimmten Quadriga, in ihrer einfach edlen Bildung,
Haltung und Gewandung und in der liebevollen Sorgfalt ihrer Durchfüh'
rung eine Gestalt von so seltener Trefflichkeit, daß innerhalb der modernen
Plastik wol nur sehr Weniges ihr zur Seite gestellt werdet! kann. Vielleicht nur


Friedenskirche zu Potsdam 1847, ein Crucifix mit Maria Magdalena zu-
Füßen des Gekreuzigten 1850. die vier Neliefdarstellungcn der Tageszeiten
1850. zwei Reliefs von Amor auf dem Panther 1852. die Medaillons und
Zmickelfigurcn für das neue Museum in Dresden 1851—54, die kolossale
Quadriga für das herzogliche Schloß in Braunschweig 1859.

Nach der Natur der dargestellten Gegenstande mußte sich der Künstler in
den einen mehr den antikisircndcn, in den anderen mehr der christlich mittel¬
alterlichen Formengebung zuneigen. Aber das Große ist, daß er weder hier
noch dort äußerlich nachahmte, sondern frcischöpferisch sein eigenstes We¬
sen gab.

Betrachten wir zunächst die Werke der antikisircndcn Art. Die Giebel-
figuren des Dresdener Theaters führen als Sinnbild der Tragödie die Ver¬
folgung und Sühnung des Orest, als Sinnbild der Oper die Wirkung der
Musik vor. Wir können uns nicht verhehlen, daß diese Kruppen durchaus
nicht jene architektonische Einfachheit und Strenge haben, welche die Alten in
solchen Darstellungen immer festhielten und welche mit unverletzlicher Natm-
Nothwendigkeit aus dem Wesen dieser Kunstart entspringt. Sie sind unruhig
und überladen; die einzelnen Gestalten treten nicht in klarer Sonderung scharf
auseinander; das Erstreben perspectivischer Wirkung fällt in das Malerische,
Es scheint, als sei sich Rietschel selbst dieses Mangels bewußt worden, den»
das Giebelfeld des Berliner Opernhauses, mit Hinweisung auf Oper und
Ballet in ähnlichen Gestalten die Freuden der Musik und des Tanzes schil¬
dernd, ist trotz all der frischen Lebendigkeit, welche an die bacchischen Dar¬
stellungen des Alterthums gemahnt, unendlich einfacher, auseinandergehaltener
und übersichtlicher. Wir müssen hinzusetzen, daß selbst dort, wo wir uns
mit der Komposition als solcher nicht einverstanden erklären, doch die Anlage
und Durchführung des Einzelnen die vollste Bewunderung fordert. Es ist
die antike Hoheit; aber nach Maßgabe der besten Renaissance individueller,
wärmer und weicher. Daher kommt es auch, daß, wo der Künstler freie se"'
tuarische Gestalten antikisirendcr Art schafft, er oft grade in diesen die alleruntadel-
hafteste und unvergänglichste Schönheit erreicht; ein Wort, das besonders Den¬
jenigen gesagt sei. die in neidischer Verkleinerungssucht bei Rietschel immer
nur von Naturalismus zu sprechen wissen. Wie jene Erstlingsarbeiten', die
allegorischen Figuren der vier Cardinaltugenden, weiche das Postament des
Dresdener Königsdenkmals zieren, zum Vollendetsten gehören, was Rietschel g«'
schaffen hat. so ist eines seiner letzten Werke, die kolossale Brunonia auf der
für Braunschweig bestimmten Quadriga, in ihrer einfach edlen Bildung,
Haltung und Gewandung und in der liebevollen Sorgfalt ihrer Durchfüh'
rung eine Gestalt von so seltener Trefflichkeit, daß innerhalb der modernen
Plastik wol nur sehr Weniges ihr zur Seite gestellt werdet! kann. Vielleicht nur


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[0306] Friedenskirche zu Potsdam 1847, ein Crucifix mit Maria Magdalena zu- Füßen des Gekreuzigten 1850. die vier Neliefdarstellungcn der Tageszeiten 1850. zwei Reliefs von Amor auf dem Panther 1852. die Medaillons und Zmickelfigurcn für das neue Museum in Dresden 1851—54, die kolossale Quadriga für das herzogliche Schloß in Braunschweig 1859. Nach der Natur der dargestellten Gegenstande mußte sich der Künstler in den einen mehr den antikisircndcn, in den anderen mehr der christlich mittel¬ alterlichen Formengebung zuneigen. Aber das Große ist, daß er weder hier noch dort äußerlich nachahmte, sondern frcischöpferisch sein eigenstes We¬ sen gab. Betrachten wir zunächst die Werke der antikisircndcn Art. Die Giebel- figuren des Dresdener Theaters führen als Sinnbild der Tragödie die Ver¬ folgung und Sühnung des Orest, als Sinnbild der Oper die Wirkung der Musik vor. Wir können uns nicht verhehlen, daß diese Kruppen durchaus nicht jene architektonische Einfachheit und Strenge haben, welche die Alten in solchen Darstellungen immer festhielten und welche mit unverletzlicher Natm- Nothwendigkeit aus dem Wesen dieser Kunstart entspringt. Sie sind unruhig und überladen; die einzelnen Gestalten treten nicht in klarer Sonderung scharf auseinander; das Erstreben perspectivischer Wirkung fällt in das Malerische, Es scheint, als sei sich Rietschel selbst dieses Mangels bewußt worden, den» das Giebelfeld des Berliner Opernhauses, mit Hinweisung auf Oper und Ballet in ähnlichen Gestalten die Freuden der Musik und des Tanzes schil¬ dernd, ist trotz all der frischen Lebendigkeit, welche an die bacchischen Dar¬ stellungen des Alterthums gemahnt, unendlich einfacher, auseinandergehaltener und übersichtlicher. Wir müssen hinzusetzen, daß selbst dort, wo wir uns mit der Komposition als solcher nicht einverstanden erklären, doch die Anlage und Durchführung des Einzelnen die vollste Bewunderung fordert. Es ist die antike Hoheit; aber nach Maßgabe der besten Renaissance individueller, wärmer und weicher. Daher kommt es auch, daß, wo der Künstler freie se"' tuarische Gestalten antikisirendcr Art schafft, er oft grade in diesen die alleruntadel- hafteste und unvergänglichste Schönheit erreicht; ein Wort, das besonders Den¬ jenigen gesagt sei. die in neidischer Verkleinerungssucht bei Rietschel immer nur von Naturalismus zu sprechen wissen. Wie jene Erstlingsarbeiten', die allegorischen Figuren der vier Cardinaltugenden, weiche das Postament des Dresdener Königsdenkmals zieren, zum Vollendetsten gehören, was Rietschel g«' schaffen hat. so ist eines seiner letzten Werke, die kolossale Brunonia auf der für Braunschweig bestimmten Quadriga, in ihrer einfach edlen Bildung, Haltung und Gewandung und in der liebevollen Sorgfalt ihrer Durchfüh' rung eine Gestalt von so seltener Trefflichkeit, daß innerhalb der modernen Plastik wol nur sehr Weniges ihr zur Seite gestellt werdet! kann. Vielleicht nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/306>, abgerufen am 02.07.2024.