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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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Jahr wurden seine Werke wärmer und inniger, ohne daß sie doch je das
lebendige plastische Stilgefühl, das er sich unter der Einwirkung Rauchs er¬
arbeitet hatte, überschritten oder verläugnet hätten. Wer sich über künstlerische
Eindrücke Rechenschaft zu geben weiß, wird gestehen, das; grade dieses wunder¬
bare Ineinander tiefster Gcmüthswärme und ächt plastischer Hoheit und Grob¬
heit der eigenste Reiz und die geschichtliche Bedeutung Rietschcls ist.

Das erste große Werk, welches Rietschel in Dresden ausführte, ist die
Kolossalstatue des Königs Friedrich August im Zwinger. Sie stellt den König
sitzend dar; die Gewandung ist ein wallender Hermelinmantel, die rechte Hand
hält den Scepter, die Linke ruht aus dem Gesetzbuch. Der Entwurf der
Skizze fällt noch in die Zeit vor der italienischen Reise; man sieht deutlich
die Befangenheit, mit welcher der junge Künstler das Vorbild, das ihm Rauch
soeben in seiner Münchner Maxstatue gegeben, nachahmte. Es ist jetzt Mode
geworden, auf diese allerdings noch vielfach unzulängliche Arbeit hoch¬
fahrend herabzusehen; und Rietschel selbst pflegte sie oft seine Jugendsünde
zu nennen. Aber immerhin ist man schuldig zu sagen, daß, wenn sie auch
noch nicht der vollen Eigenthümlichkeit der reifenden Meisterschaft Nietschels
entspricht, sie doch in allen ihren Einzelheiten äußerst sorgfältig und liebevoll
durchgebildet ist. Die Postamentsiguren sind sogar von höchster Vollendung.

Es war lediglich der Zufall des äußeren Anlasses gewesen, welcher Riet¬
schel seine erste selbständige Wirksamkeit mit einem Werke der Monumen¬
talplastik beginnen ließ. Die nächsten Jahre führten ihn vorzugsweise in die
Jdealplasttt.

Wir folgen daher, nur der Zeitfolge der Thatsachen, wenn wir zunächst
uns der Betrachtung seiner idealen Schöpfungen zuwenden. Es ist Unrecht,
wenn wir bei Rietschel fast ausschließlich immer nur, von seinen Mo-
numentalstatuen sprechen. Er hat in diesen den höchsten Ruhm, seine
Volksthümlichkeit und seine epochemachende Stellung erlangt; aber seine Werke
der frei erfindenden idealen Plastik sind nicht minder zahlreich und kaum
winter beachtenswert!). Ja, es ist die'Frage, ob jene unbeirrbare Sicher,
den des plastischen Formgefühls, mit welcher Rietschel in seinen Monumental-
statuen trotz schärfster Naturwirklichkeit immer die unverbrüchlichen Forderungen
>dcaler Kunstschönheit festhält, von Rietschel erreicht wäre, hätte er sich nicht
vorher so vielseitig und langjährig innerhalb des strengsten Jdealstils
bewegt und bethätigt.

Die hervorragendsten Werke dieser Art sind: die zwölf Neliefdarstellungen
aus der Kulturgeschichte der Menschheit sür die Univcrsitätsaula in Leipzig
1835. die beiden Giebelfelder des Theaters in Dresden 1839 und 1840, das
Giebelfeld sür das Opernhaus in Berlin 1844 und 1845. das Relief des
^hnstengels 1845, die Pinel,. (Maria mit den Leichnam Christi), jetzt in der


Jahr wurden seine Werke wärmer und inniger, ohne daß sie doch je das
lebendige plastische Stilgefühl, das er sich unter der Einwirkung Rauchs er¬
arbeitet hatte, überschritten oder verläugnet hätten. Wer sich über künstlerische
Eindrücke Rechenschaft zu geben weiß, wird gestehen, das; grade dieses wunder¬
bare Ineinander tiefster Gcmüthswärme und ächt plastischer Hoheit und Grob¬
heit der eigenste Reiz und die geschichtliche Bedeutung Rietschcls ist.

Das erste große Werk, welches Rietschel in Dresden ausführte, ist die
Kolossalstatue des Königs Friedrich August im Zwinger. Sie stellt den König
sitzend dar; die Gewandung ist ein wallender Hermelinmantel, die rechte Hand
hält den Scepter, die Linke ruht aus dem Gesetzbuch. Der Entwurf der
Skizze fällt noch in die Zeit vor der italienischen Reise; man sieht deutlich
die Befangenheit, mit welcher der junge Künstler das Vorbild, das ihm Rauch
soeben in seiner Münchner Maxstatue gegeben, nachahmte. Es ist jetzt Mode
geworden, auf diese allerdings noch vielfach unzulängliche Arbeit hoch¬
fahrend herabzusehen; und Rietschel selbst pflegte sie oft seine Jugendsünde
zu nennen. Aber immerhin ist man schuldig zu sagen, daß, wenn sie auch
noch nicht der vollen Eigenthümlichkeit der reifenden Meisterschaft Nietschels
entspricht, sie doch in allen ihren Einzelheiten äußerst sorgfältig und liebevoll
durchgebildet ist. Die Postamentsiguren sind sogar von höchster Vollendung.

Es war lediglich der Zufall des äußeren Anlasses gewesen, welcher Riet¬
schel seine erste selbständige Wirksamkeit mit einem Werke der Monumen¬
talplastik beginnen ließ. Die nächsten Jahre führten ihn vorzugsweise in die
Jdealplasttt.

Wir folgen daher, nur der Zeitfolge der Thatsachen, wenn wir zunächst
uns der Betrachtung seiner idealen Schöpfungen zuwenden. Es ist Unrecht,
wenn wir bei Rietschel fast ausschließlich immer nur, von seinen Mo-
numentalstatuen sprechen. Er hat in diesen den höchsten Ruhm, seine
Volksthümlichkeit und seine epochemachende Stellung erlangt; aber seine Werke
der frei erfindenden idealen Plastik sind nicht minder zahlreich und kaum
winter beachtenswert!). Ja, es ist die'Frage, ob jene unbeirrbare Sicher,
den des plastischen Formgefühls, mit welcher Rietschel in seinen Monumental-
statuen trotz schärfster Naturwirklichkeit immer die unverbrüchlichen Forderungen
>dcaler Kunstschönheit festhält, von Rietschel erreicht wäre, hätte er sich nicht
vorher so vielseitig und langjährig innerhalb des strengsten Jdealstils
bewegt und bethätigt.

Die hervorragendsten Werke dieser Art sind: die zwölf Neliefdarstellungen
aus der Kulturgeschichte der Menschheit sür die Univcrsitätsaula in Leipzig
1835. die beiden Giebelfelder des Theaters in Dresden 1839 und 1840, das
Giebelfeld sür das Opernhaus in Berlin 1844 und 1845. das Relief des
^hnstengels 1845, die Pinel,. (Maria mit den Leichnam Christi), jetzt in der


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[0305] Jahr wurden seine Werke wärmer und inniger, ohne daß sie doch je das lebendige plastische Stilgefühl, das er sich unter der Einwirkung Rauchs er¬ arbeitet hatte, überschritten oder verläugnet hätten. Wer sich über künstlerische Eindrücke Rechenschaft zu geben weiß, wird gestehen, das; grade dieses wunder¬ bare Ineinander tiefster Gcmüthswärme und ächt plastischer Hoheit und Grob¬ heit der eigenste Reiz und die geschichtliche Bedeutung Rietschcls ist. Das erste große Werk, welches Rietschel in Dresden ausführte, ist die Kolossalstatue des Königs Friedrich August im Zwinger. Sie stellt den König sitzend dar; die Gewandung ist ein wallender Hermelinmantel, die rechte Hand hält den Scepter, die Linke ruht aus dem Gesetzbuch. Der Entwurf der Skizze fällt noch in die Zeit vor der italienischen Reise; man sieht deutlich die Befangenheit, mit welcher der junge Künstler das Vorbild, das ihm Rauch soeben in seiner Münchner Maxstatue gegeben, nachahmte. Es ist jetzt Mode geworden, auf diese allerdings noch vielfach unzulängliche Arbeit hoch¬ fahrend herabzusehen; und Rietschel selbst pflegte sie oft seine Jugendsünde zu nennen. Aber immerhin ist man schuldig zu sagen, daß, wenn sie auch noch nicht der vollen Eigenthümlichkeit der reifenden Meisterschaft Nietschels entspricht, sie doch in allen ihren Einzelheiten äußerst sorgfältig und liebevoll durchgebildet ist. Die Postamentsiguren sind sogar von höchster Vollendung. Es war lediglich der Zufall des äußeren Anlasses gewesen, welcher Riet¬ schel seine erste selbständige Wirksamkeit mit einem Werke der Monumen¬ talplastik beginnen ließ. Die nächsten Jahre führten ihn vorzugsweise in die Jdealplasttt. Wir folgen daher, nur der Zeitfolge der Thatsachen, wenn wir zunächst uns der Betrachtung seiner idealen Schöpfungen zuwenden. Es ist Unrecht, wenn wir bei Rietschel fast ausschließlich immer nur, von seinen Mo- numentalstatuen sprechen. Er hat in diesen den höchsten Ruhm, seine Volksthümlichkeit und seine epochemachende Stellung erlangt; aber seine Werke der frei erfindenden idealen Plastik sind nicht minder zahlreich und kaum winter beachtenswert!). Ja, es ist die'Frage, ob jene unbeirrbare Sicher, den des plastischen Formgefühls, mit welcher Rietschel in seinen Monumental- statuen trotz schärfster Naturwirklichkeit immer die unverbrüchlichen Forderungen >dcaler Kunstschönheit festhält, von Rietschel erreicht wäre, hätte er sich nicht vorher so vielseitig und langjährig innerhalb des strengsten Jdealstils bewegt und bethätigt. Die hervorragendsten Werke dieser Art sind: die zwölf Neliefdarstellungen aus der Kulturgeschichte der Menschheit sür die Univcrsitätsaula in Leipzig 1835. die beiden Giebelfelder des Theaters in Dresden 1839 und 1840, das Giebelfeld sür das Opernhaus in Berlin 1844 und 1845. das Relief des ^hnstengels 1845, die Pinel,. (Maria mit den Leichnam Christi), jetzt in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/305>, abgerufen am 01.07.2024.