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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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desselben ist so unverfänglich, daß Niemand daran Anstoß nehmen kann; frei¬
lich ist auch das Interesse ziemlich gering.

Aber zu, einem halten wir den Verfasser für verpflichtet. Es erscheinen
jetzt so viel Correspondenzen von Verstorbenen, daß sich leicht die Industrie
dieses Geschäftszweiges bemächtigen kann; und nach unserer Ansicht haben
die Herausgeber, wo Vcrdachtsgründe vorliegen, die Pflicht, die Echtheit
ihrer Briefe zu erweisen. Viele von den hier mitgetheilten Briefen sind un¬
zweifelhaft echt; bei andern haben wir starken Anstoß genommen, bei den
Briefen an Steinmann überhaupt und namentlich bei dem letzten aus dem
Jahr 18S1, der die Epigramme auf die berliner Nationalversammlung ent¬
hält. Daß diese Epigramme von Heine sind, würden wir nur glauben,
wenn wir seine Handschrift sehen: 1. weil sie namenlos elend sind (nicht
etwa beißend, im Gegentheil ledern!), 2. weil Heine von den besproche¬
nen Persönlichkeiten und Details wahrscheinlich gar keine Kenntniß,
gewiß dafür nicht das geringste Interesse gehabt hat. -- Dem Herausgeber
ist es leicht, wenn er Recht hat, diese Anklage zu widerlegen. -- Aus dem
übrigen Inhalt einige Notizen.

Den 12. Dec. 1709 gibt Heine an Taillandier als seinen Geburtstag
an -- bekanntlich ist darüber Streit gewesen.

Den 3. Sept. 1820 geht er von Bonn nach Got.klugen, hört dort eifrig
bei Benecke altdeutsche Literatur, wundert sich darüber, daß dieser nur neun
Zuhörer hat; schreibt an Arndt, seinen ehemaligen Lehrer, schließt im No¬
vember den 3. Act des Almansor. ("Wenn das Stück auch nicht gefallen
wird, so wird es wenigstens großes Aufsehen erregen. In dieses Stück habe
ich mein eignes Selbst hineingeworfen, mit sammt meinen Paradoxien. meiner
Weisheit, meiner Liebe, meinem Haß und meiner ganzen Verrücktheit.") -- Ein
Epigramm: Ochse, deutscher Jüngling, endlich, reite deine Schwänze nach!
Einst bereu'se du, daß du schändlich hast versäumet manchen Tag."

4. Febr. 1821, an Steinmann: er hat wegen Uebertretung der Duell-
gesetze das Consilium abeundi erhalten und will in drei Tagen (1. S. 44)
"ne Harzreise machen. -- Im Februar?! -- Den 6. Febr. 1S21 schreibt, er
(2. S. 81) demselben aus Berlin, und zwar in einem Ton, als ob er
schon länger da wäre. -- Wie hängt das zusammen?

Den 6. Februar meldet er aus Berlin, er habe in drei Tagen den Red-
^sse geschrieben, und bezieht dieses dann auf seine Liebe zu Eveline; (2 S.
81). demselben schreibt er 4. Febr. aus Göttingen: "Ich habe mit aller Kraft-
Anstrengung daran gearbeitet, kein Herzblut und keinen Gehirnschweiß dabei
geschont, habe b'is auf einen halben Act das Ganze fertig, und zu meinem
Mischen finde ich, daß dieses von mir selbst angestaunte und vergötterte Pracht-
gar nicht einmal den Namen einer Tragödie verdient. Entzückend schöne


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desselben ist so unverfänglich, daß Niemand daran Anstoß nehmen kann; frei¬
lich ist auch das Interesse ziemlich gering.

Aber zu, einem halten wir den Verfasser für verpflichtet. Es erscheinen
jetzt so viel Correspondenzen von Verstorbenen, daß sich leicht die Industrie
dieses Geschäftszweiges bemächtigen kann; und nach unserer Ansicht haben
die Herausgeber, wo Vcrdachtsgründe vorliegen, die Pflicht, die Echtheit
ihrer Briefe zu erweisen. Viele von den hier mitgetheilten Briefen sind un¬
zweifelhaft echt; bei andern haben wir starken Anstoß genommen, bei den
Briefen an Steinmann überhaupt und namentlich bei dem letzten aus dem
Jahr 18S1, der die Epigramme auf die berliner Nationalversammlung ent¬
hält. Daß diese Epigramme von Heine sind, würden wir nur glauben,
wenn wir seine Handschrift sehen: 1. weil sie namenlos elend sind (nicht
etwa beißend, im Gegentheil ledern!), 2. weil Heine von den besproche¬
nen Persönlichkeiten und Details wahrscheinlich gar keine Kenntniß,
gewiß dafür nicht das geringste Interesse gehabt hat. — Dem Herausgeber
ist es leicht, wenn er Recht hat, diese Anklage zu widerlegen. — Aus dem
übrigen Inhalt einige Notizen.

Den 12. Dec. 1709 gibt Heine an Taillandier als seinen Geburtstag
an — bekanntlich ist darüber Streit gewesen.

Den 3. Sept. 1820 geht er von Bonn nach Got.klugen, hört dort eifrig
bei Benecke altdeutsche Literatur, wundert sich darüber, daß dieser nur neun
Zuhörer hat; schreibt an Arndt, seinen ehemaligen Lehrer, schließt im No¬
vember den 3. Act des Almansor. („Wenn das Stück auch nicht gefallen
wird, so wird es wenigstens großes Aufsehen erregen. In dieses Stück habe
ich mein eignes Selbst hineingeworfen, mit sammt meinen Paradoxien. meiner
Weisheit, meiner Liebe, meinem Haß und meiner ganzen Verrücktheit.") — Ein
Epigramm: Ochse, deutscher Jüngling, endlich, reite deine Schwänze nach!
Einst bereu'se du, daß du schändlich hast versäumet manchen Tag."

4. Febr. 1821, an Steinmann: er hat wegen Uebertretung der Duell-
gesetze das Consilium abeundi erhalten und will in drei Tagen (1. S. 44)
"ne Harzreise machen. — Im Februar?! — Den 6. Febr. 1S21 schreibt, er
(2. S. 81) demselben aus Berlin, und zwar in einem Ton, als ob er
schon länger da wäre. — Wie hängt das zusammen?

Den 6. Februar meldet er aus Berlin, er habe in drei Tagen den Red-
^sse geschrieben, und bezieht dieses dann auf seine Liebe zu Eveline; (2 S.
81). demselben schreibt er 4. Febr. aus Göttingen: „Ich habe mit aller Kraft-
Anstrengung daran gearbeitet, kein Herzblut und keinen Gehirnschweiß dabei
geschont, habe b'is auf einen halben Act das Ganze fertig, und zu meinem
Mischen finde ich, daß dieses von mir selbst angestaunte und vergötterte Pracht-
gar nicht einmal den Namen einer Tragödie verdient. Entzückend schöne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/301>, abgerufen am 03.07.2024.