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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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danke/der sich durch die Geschichte Japans verfolgen läßt, ist die Entstehung
und das Wachsthum einer weltlichen Macht, welche dem Mikado (Papst) den
Schein einer religiösen Macht überlassen, sich selbst aber emancipirt. und alle
einzelnen souveränen Gewalten im Lande in eine einzige concentrirt hat.
Es ist gleichzeitig die Trennung des Staats von der Kirche und der Ueber¬
gang aus dem alten Reichsfeudalsysteme in die reine und unumschränkte
Monarchie. Die Großen des Landes haben also ihre Souveränetät allmälig
eingebüßt; sie sind allmälig stolze Vasallen und zuletzt gehorsame Unter¬
thanen geworden; man ließ ihnen den Fürstenmantel, aber alle ihre schein¬
baren Vorrechte sind durch die schlaueste Staatskunst in Waffen gegen sie
selbst verwandelt. In diesem Kampfe, der sich durch 4--5 Jahrhunderte hin¬
zieht und noch nicht ganz beendigt ist, haben die Großen den Kürzeren gezo¬
gen; mit sehnsüchtigem Blick schauen sie rückwärts; traumhaft schwanken vor
ihrer Phantasie die Tage ihrer dahingeschwundener Größe; vorne beugen
sie Kniee und Haupt demüthig sklavisch zur Erde, aber ihre Hände sind hinter¬
rücks geschäftig, geheimnißvolle Fäden zu spinnen, den versunkenen Schatz
wieder zum Tageslicht herauszuheben. Statt den Blick muthig und männlich
nach vorne zu richten und mitten im Neuen sich Neues zu schaffen, versplit-
tern und verschütten sie bei dem Versuche, hinter sich zu graben, nutzlos ihre
besten Kräfte. Es ist einmal der Lauf der Welt, und "thöricht, auf Besserung
der Thoren zu harren!" Aber glücklich können sie nicht sein. Ihrer Vorrechte
beraubt, den größten Theil des Lebens von ihren Familien getrennt, die mit
dem Schein der Höflichkeit und Gastfreundschaft als Geißeln am Hofe zu
Jeddo zurückgehalten werden, persönlich verantwortlich sür Alles, was inner-
halb ihrer Ländereien oder ihrer Regierungsbezirke geschieht, gezwungen, ihre
Einkünfte durch einen unfruchtbaren und genußlosen Luxus dahin zu geben;
eingeschlossen in ihren Palästen; ohne Umgang, der allzugcfährlich ist; zu
hoch gestellt, um auf der Straße oder an öffentlichen Orten gesehn zu wer¬
den. -- bleibt ihnen nichts, als das entnervende Vergnügen eines Sarda-
"apal. Arme Scheinbilder des Reichthums und der Macht! Und sie sollten
glücklich sein?

Nun. wenn also Niemand glücklich ist. als möglicher Weise der große
Haufe, das Volk im engeren Sinne, das hier wie überall nur vegetirt. nicht
^de. dessen einziges Bedürfniß die Stillung des Hungers und des Durstes ist. --
so berechtigt das noch nicht von dem Glücke der Nation zu sprechen. Aber selbst
^eher große Haufe! Neben den wenigen Bedingungen seines Glücks, wie viel
Keime des Leidens und der Unzufriedenheit. Der gemeine Mann, fast immer
gebannt an die niedere Sphäre, in der er geboren, stets bewacht von Spionen,
die in das Innere seines Hauses, in den Schooß seiner Familie einzudringen
wissen. -- wem darf er vertrauen, mit wem darf er klagen oder hoffen?


Grenzboten II. 1861. 35

danke/der sich durch die Geschichte Japans verfolgen läßt, ist die Entstehung
und das Wachsthum einer weltlichen Macht, welche dem Mikado (Papst) den
Schein einer religiösen Macht überlassen, sich selbst aber emancipirt. und alle
einzelnen souveränen Gewalten im Lande in eine einzige concentrirt hat.
Es ist gleichzeitig die Trennung des Staats von der Kirche und der Ueber¬
gang aus dem alten Reichsfeudalsysteme in die reine und unumschränkte
Monarchie. Die Großen des Landes haben also ihre Souveränetät allmälig
eingebüßt; sie sind allmälig stolze Vasallen und zuletzt gehorsame Unter¬
thanen geworden; man ließ ihnen den Fürstenmantel, aber alle ihre schein¬
baren Vorrechte sind durch die schlaueste Staatskunst in Waffen gegen sie
selbst verwandelt. In diesem Kampfe, der sich durch 4—5 Jahrhunderte hin¬
zieht und noch nicht ganz beendigt ist, haben die Großen den Kürzeren gezo¬
gen; mit sehnsüchtigem Blick schauen sie rückwärts; traumhaft schwanken vor
ihrer Phantasie die Tage ihrer dahingeschwundener Größe; vorne beugen
sie Kniee und Haupt demüthig sklavisch zur Erde, aber ihre Hände sind hinter¬
rücks geschäftig, geheimnißvolle Fäden zu spinnen, den versunkenen Schatz
wieder zum Tageslicht herauszuheben. Statt den Blick muthig und männlich
nach vorne zu richten und mitten im Neuen sich Neues zu schaffen, versplit-
tern und verschütten sie bei dem Versuche, hinter sich zu graben, nutzlos ihre
besten Kräfte. Es ist einmal der Lauf der Welt, und „thöricht, auf Besserung
der Thoren zu harren!" Aber glücklich können sie nicht sein. Ihrer Vorrechte
beraubt, den größten Theil des Lebens von ihren Familien getrennt, die mit
dem Schein der Höflichkeit und Gastfreundschaft als Geißeln am Hofe zu
Jeddo zurückgehalten werden, persönlich verantwortlich sür Alles, was inner-
halb ihrer Ländereien oder ihrer Regierungsbezirke geschieht, gezwungen, ihre
Einkünfte durch einen unfruchtbaren und genußlosen Luxus dahin zu geben;
eingeschlossen in ihren Palästen; ohne Umgang, der allzugcfährlich ist; zu
hoch gestellt, um auf der Straße oder an öffentlichen Orten gesehn zu wer¬
den. — bleibt ihnen nichts, als das entnervende Vergnügen eines Sarda-
"apal. Arme Scheinbilder des Reichthums und der Macht! Und sie sollten
glücklich sein?

Nun. wenn also Niemand glücklich ist. als möglicher Weise der große
Haufe, das Volk im engeren Sinne, das hier wie überall nur vegetirt. nicht
^de. dessen einziges Bedürfniß die Stillung des Hungers und des Durstes ist. —
so berechtigt das noch nicht von dem Glücke der Nation zu sprechen. Aber selbst
^eher große Haufe! Neben den wenigen Bedingungen seines Glücks, wie viel
Keime des Leidens und der Unzufriedenheit. Der gemeine Mann, fast immer
gebannt an die niedere Sphäre, in der er geboren, stets bewacht von Spionen,
die in das Innere seines Hauses, in den Schooß seiner Familie einzudringen
wissen. — wem darf er vertrauen, mit wem darf er klagen oder hoffen?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/283>, abgerufen am 03.07.2024.